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Kinder & Familie

Kooperative Kinder

Daniel Haun, Professor für Frühkindliche Bildung und Kultur an der Universität Leipzig im Interview über das Spiel- und soziale Verhalten von Kindern

  Kooperative Kinder | Daniel Haun, Professor für Frühkindliche Bildung und Kultur an der Universität Leipzig im Interview über das Spiel- und soziale Verhalten von Kindern

Kooperative Spiele fördern das Sozialverhalten im Vorschulalter. Das hat Daniel Haun, derzeit am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie tätig, zusammen mit Susanne Hardecker, Professorin für Methodenlehre in den Gesundheits- und Sozialwissenschaften an der SRH Hochschule für Gesundheit, sowie Kollegen untersucht. Ein Interview über das Potenzial kooperativer Spiele.

kreuzer: Was wären Sie heute, wenn nicht Wissenschaftler?

Daniel Haun: Ich wäre tatsächlich Schauspieler geworden. Ich hatte einen ziemlich detaillierten Plan und habe die Aufnahmeprüfung damals nach der Schule gemacht, war einfach nicht gut genug und habe dann einen anderen Weg eingeschlagen. Das Interesse für den Menschen ist ja bei beidem grundlegend, der Psychologie und dem Schauspiel.


Wer weiß, es gibt ja immer mehrere Wege im Leben …

Ja, mal gucken (lacht).


Sie haben an einer Studie mitgewirkt, die aussagt, kooperative Spiele fördern das Sozialverhalten im Vorschulalter. Wie wurde das genau untersucht?

Da haben wir im Prinzip 96 Kinder zwischen 4 und 5 aus Leipzig eingeladen, jeweils zu zweit. Diese Kinder haben bei uns zehn Minuten lang ein Spiel gespielt, entweder auf Wettbewerbsbasis oder kooperativ. Danach haben wir ihnen die Möglichkeit gegeben – in einem zweiten Aufbau, in einem anderen Raum –, Aufkleber zu verteilen, jeweils an sich und an ein weiteres Kind. Dieses Kind kannten sie nicht und diente als Maß für Prosozialität gegenüber Fremden sowie der Bereitschaft, Dinge mit anderen, fremden Kindern zu teilen. Dann haben wir geschaut, ob die Art des Spiels sich auf das Verhalten auswirkt. Parallel haben wir ganz viele andere Sachen untersucht: zum Beispiel, ob es einen Unterschied macht, ob die Kinder ein Spiel gewonnen oder verloren haben; ob es einen Unterschied macht, ob es ein Junge oder Mädchen war. Und diese Komponenten waren alle tatsächlich nicht relevant. Es kam am Ende nur darauf an, welche Form das Spiel hatte.
 

Bereits zehn Minuten hatten einen solchen Einfluss auf das prosoziale Verhalten der Kinder?

Ja, das ist schon überraschend. Der Einfluss ist insgesamt nicht so stark, aber messbar und für eine so kurze Intervention fand ich es auch überraschend, dass es einen Effekt hatte.
 

Und je länger man kooperativ spielt, desto größer wäre dann auch der Einfluss?

Das kann ich nicht sagen. Es gibt ein paar Studien, die längerfristige Interventionen gemacht haben, die nicht genauso funktioniert haben wie das, was wir gemacht haben, aber die sich auch so auswirken: mit einem bestimmten Spiel das Spielverhalten angucken und in diesem Rahmen gibt es auch längerfristige Effekte. Ich denke, bei uns ist es so einzuschätzen, dass sich eine Art prosoziale Stimmung bei den Kindern einstellt, die aber sicher auch wieder vergänglich ist. Es ist eine kurze Intervention und eine kurze Veränderung in der Einstellung. 
 

Kompetitive Spiele existieren bereits seit Jahrtausenden. Als ältestes Brettspiel gilt das Wettbewerbsspiel Senet, das bereits 3200 v. Chr. im heutigen Ägypten gespielt wurde. Nicht selten wurde und wird im Spiel strategisches Handeln trainiert. Was genau machen im Gegensatz zu kompetitiven Spielen kooperative Spiele aus?

Es ist dann ein kooperatives Spiel, wenn alle Spieler:innen in dem Spiel ein geteiltes Ziel gemeinsam verfolgen. Sie arbeiten auf das Gleiche hin und die Handlungen ergänzen sich gegenseitig. Tatsächlich ist es gar nicht so einfach, Beispiele zu finden, die rein kooperativ sind. Die meisten Spiele sind Mischformen, indem Gruppen kooperativ gegeneinander spielen. Und das hat natürlich auch in einem gewissen Ausmaß eine kooperative Struktur, die ist eben nur in eine kompetitive Struktur eingebettet. Rein kooperative Spiele, wie wir es den Kindern angeboten haben, sind tatsächlich nicht so häufig. Das sind Spiele wie zum Beispiel Hackisack. Spiele, die gar keine kompetitiven Komponenten haben, sind in unserem Kulturkreis sehr selten.


Prägen im Umkehrschluss kompetitive Spiele den Vergleichsdrang bei Kindern im Vorschulalter sowie das Bedürfnis nach Leistungsanerkennung?

Ohne Literatur dazu zu gut zu kennen, halte ich das für wahrscheinlich. Aber wettbewerbsorientierte Spiele fördern auch Kompetenzen, die wir als Gemeinschaft wertschätzend sehen. Dinge wie sozial verträgliches Gewinnen und Verlieren sind Dinge, die man lernen kann in diesen wettbewerbsorientierten Spielen. Das heißt, sie erfüllen wichtige Funktionen in der Vermittlung von Kompetenzen von Wertesystemen. Ich denke, sie prägen Vergleichsdrang und Leistungsanerkennung, aber fördern auch soziale Kompetenzen, die man braucht.
 

Direkt nach der Veröffentlichung der Studie trat die erste Corona-Welle Anfang 2020 auf. Distanz als Selbstschutz vor Viren wird auf lange Sicht kein Einzelfallphänomen bleiben. Wie kann kooperatives Spielen auf Distanz funktionieren, beispielsweise bei Quarantäne?

So, wie wir es jetzt strukturiert haben – ein geteiltes Ziel im Spiel gemeinsam verfolgen –, ist es im Prinzip von Raum und Zeit unabhängig. Wir haben es in einer unmittelbaren Situation getestet. Aber man kann die gleiche Struktur in der Interaktion haben, die nicht im gleichen Raum stattfindet. Das schließt sich nicht unmittelbar aus. Ob das die gleichen Effekte hat, das weiß ich nicht.
 

Können kooperative Spiele im digitalen Raum, beispielsweise bei Jugendlichen, das Sozialverhalten beeinflussen?

Das wäre erst mal meine Vermutung. Im digitalen Raum wäre die eine Frage. Und die zweite Frage, ob es sich auf die Altersgruppe überträgt. Ich könnte mir vorstellen, dass das gut funktioniert.
 

In Kitas wird vermehrt das offene Konzept umgesetzt. Im Ursprungssinn bedeutet dies, diverse Angebote in verschiedenen, offenen Räumen anzubieten. In der Realität endet das nicht selten aufgrund fehlender Ressourcen damit, dass zwar Kinder frei spielen können, jedoch Impulse immer weniger gegeben werden. Wie können Erzieherinnen und Erzieher einfache, kooperative Spielimpulse geben?

Ich bin kein frühkindlicher Pädagoge, aber basierend auf den Forschungen, die wir machen, sind Spiele kindgerechte Mittel. Ich würde also vermuten, dass bestimmte Spiele, die man in der Kita anbietet, anschließend auch vom Kind in der Selbstbeschäftigung aufgegriffen werden.
 

Weil man aus der Forschung weiß, dass Kinder im freien Spiel auf bisherige, bekannte Spielerfahrungen zurückgreifen, die sie kennen?

Ja, genau.
 

Wie könnten Eltern zu Hause kooperative Spiele im Alltag integrieren?

Ich finde, ein guter Indikator sind die Spiele des Jahres. Es gab immer mal wieder Brettspiele, die kooperativ strukturiert waren. Es gibt also eine ganze Reihe von Spielen, bei denen die Mitspieler gemeinsam ein Ziel verfolgen.
 

Wenn man eine kindgerechte Variante des Escape-Rooms konzipiert, könnte man dies auch als kooperatives Spiel sehen?

Auf jeden Fall.
 

Was ist Ihr derzeitiges Forschungsprojekt?

Wir haben uns angeguckt, inwiefern Kinder die Tendenz haben, das zu tun, was andere Kinder tun – auch, wenn sie wissen, dass es falsch ist. Wir finden, dass schon Vorschulkinder, auch über verschiedene Kulturen hinweg, der Mehrheit in dieser Form folgen –, auch wenn das Ausmaß etwas variiert. Im Allgemeinen kann man also sagen, dass Kinder in vielen Teilen der Welt manchmal Dinge tun, weil es alle tun – und nicht, weil es richtig ist.
 

Was ist Ihr Lieblingsort in Leipzig?

Alle Kanäle in Leipzig. Ich mag unheimlich die Wasserstraßen in Leipzig. Und Leute in Booten haben generell nie schlechte Laune (lacht).


Titelfoto: Daniel Haun forscht zu frühkindlicher Bildung. Copyright: Uni Jena. 


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