Neunmal Nordisches: Die Kinobar Prager Frühling zeigt die Bandbreite des skandinavischen Kinos mit ausgewählten Neuheiten. Darunter ist »Grump«, der neue Film von Altmeister Mika Kaurismäki, die norwegische Non-Rom-Com »Sick of Myself« und die Doku »Nelly & Nadine« über eine Liebe im Konzentrationslager. Das dänische Kino ist wie immer mit den Publikumslieblingen von Thomas Vinterberg und Anders Thomas Jensen vertreten.
»Nordische Woche«: 24.–30.11., Kinobar Prager Frühling
Film der Woche: Ihre Mutter verstarb früh, ihre jüngsten Schwestern im Kindesalter an Tuberkulose. Anne und Emily und auch ihr Bruder Bramwell wurden nicht älter als dreißig. Das tragische Schicksal der Familie Brontë führte zu einigen der größten Werke englischsprachiger Literatur. Alleine Emily Brontës »Wuthering Heights« wurde weltweit über zwanzig Mal verfilmt. Die Schauspielerin Frances O’Conner (»Mansfield Park«) hat sich für ihr Regiedebüt die Entstehung des Romans vorgenommen. Sie zeigt Emily als Sonderling der Familie Brontë. Ihre große Schwester Charlotte studiert, unterrichtet und heiratet und lebt die an sie erfüllten Erwartungen. Selbst ihre jüngere Schwester Anne hat die Phantasiewelten ihrer Kindheit abgelegt. Doch Emily hält daran fest und beobachtet ihre Umwelt mit großen, neugierigen Augen. Ihr Bruder Bramwell zieht ohnehin alle Aufmerksamkeit auf sich. Auch jene von Emily, doch sein Hang zu Alkohol und Opium wird zunehmend zum Problem. Emily wendet sich stattdessen dem neuen Pfarrer der Gemeinde, Weightman, zu. Dessen strahlende Erscheinung, die den jungen Damen den Atem raubt, bekommt jedoch bald empfindliche Risse – was Emilys Anziehung nur verstärkt. Die windumtosten Höhen von Yorkshire sind der offensichtlichste Verweis auf die »Sturmhöhe« in Emilys Roman, die ambivalente Beziehung zu Weightman die deutliche Inspiration für Heathcliff. O’Conner erzählt mit Leidenschaft und künstlerisch versiert von einer tragischen Liebe, aus der große Literatur entstand.
»Emily«: ab 24.11., Regina-Palast, Schauburg
Kann man sich tatsächlich in einem Konzentrationslager inmitten all des Todes und des Grauens ineinander verlieben? »Nelly & Nadine – Eine wahrhaft unglaubliche Liebesgeschichte« von Magnus Gertten tritt den Beweis an, dass dies tatsächlich möglich ist. Zusammen mit Sylvie Bianchi, der Enkelin der Opernsängerin Nelly Mousset-Vos, begibt sich der schwedische Regisseur auf Spurensuche, sichtet mit Bianchi alte Fotos, Tagebucheinträge und Super-8-Filme. Daraus geht hervor, dass Nelly, eine zweifache Mutter, die im französischen Widerstand tätig war, 1944 im KZ Ravensbrück auf die chinesisch-stämmige Nadine Hwang traf und sich in sie verliebte. Nach Kriegsende fanden sich die beiden wieder und zogen gemeinsam nach Venezuela, blieben bis zu Nadines Tod ein Paar. Magnus Gertten muss in seinem Film eine Liebe bebildern, die nur noch auf wenigen Filmdokumenten in Bewegtbildern erhalten ist. Aber in Kombination mit den mitreißenden Tagebuchaufzeichnungen Nellys, unzähligen Fotos und der spannenden Recherche ihrer Enkelin ist ihm mit diesem Film das bewegende Porträt einer langen und aufrichtigen Liebe gelungen. Dass Nadine zum engeren Kreis der in den 1920er Jahren gegründeten Académie des Femmes der Feministin und Autorin Natalie Barney gehörte, macht diese Dokumentation neben der starken persönlichen Komponente zusätzlich auch kulturhistorisch höchst interessant. FRANK BRENNER
»Nelly & Nadine«: ab 24.11., Passage-Kinos, Luru-Kino in der Spinnerei
Die Kommunarden stehen im Kreis. Otto (Clemens Schick) sitzt von ihnen abgewandt auf seinem Thron, während die Übrigen zwei aus ihrer Mitte vor das Tribunal stellen. Simone und Holger haben sich verliebt und das ist in der Kommune verboten. Was folgt, ist Demütigung. Für Jeanne (Jana McKinnon) ist das Leben in der Kommune mit ihren strengen Regeln, die der Gemeinschaft dienen sollen, selbstverständlich. Die 14-Jährige wuchs hier auf. Dennoch kann sie sich nicht wehren, als sie sich in den zwei Jahre älteren Jean (Leo Altaras) verliebt. »Servus Papa, see you in hell« schildert das Leben in der Otto-Muehl-Kommune in den 1980er Jahren aus der Perspektive einer Heranwachsenden. Die Schauspielerin und Drehbuchautorin Jeanne Tremsal wuchs selbst in der Kommune auf und verarbeitete mit dem Drehbuch ihr eigenes Trauma. Otto Muehl wurde schließlich wegen Kindesmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt. Regisseur Christopher Roth (»Baader«) inszeniert die faschistoiden Strukturen innerhalb der Gemeinschaft als groteskes Theater, das den Zuschauer fordert.
»Servus Papa, see you in hell«: ab 24.11., Luru-Kino in der Spinnerei
Weitere Filmtermine der Woche
Heimatkunde
D 2021, Dok, R: Christian Bäucker, 89 min
Berichte vom Leben in der DDR und Erlebnisse aus dem DDR-Schulalltag. Im Anschluss Filmgespräch mit Regisseur Christian Bäucker.
Cineding, 24.–26.11., 19 Uhr
Ost-Passage-Theater, 30.11., 20 Uhr (anschl. Filmgespräch mit Regisseur Christian Bäucker, OmeU)
Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt
D 1971, R: Rosa von Praunheim, D: Berryt Bohlen, Bernd Feuerhelm, 67 min
Nach einer enttäuschenden eheähnlichen Lebensgemeinschaft mit Clemens und einer ebenso enttäuschenden Freundschaft mit einem älteren Mann wird aus Daniel ein Homosexueller, wie er nie einer sein wollte: Genau wie die anderen Schwulen beginnt auch er, schnell seine Partner zu wechseln. Frühwerk von Rosa von Praunheim.
Passage-Kinos, 25.11., 19 Uhr (Queerblick-Special zum 80. Geburtstag von Rosa von Praunheim)
Oeconomia
D 2020, Dok, R: Carmen Losmann, 89 min
Erhellende Doku über die Spielregeln des Kapitalismus.
Passage-Kinos, 24.11., 18:30 Uhr (Sondervorstellung im Rahmen von »WeitBLICK. Die unbequeme Filmreihe«, zu Gast ist Regisseurin Carmen Losmann)
Und ruhig fließt der Rhein
D 2021, Dok, R: Oliver Matthes, Volker Klotzsch
Eigentlich wollten die beiden Leipziger Filmemacher einen Film über Transidentitäten drehen. Als Caro die Nachricht erhält, dass ihr Vater im Sterben liegt, kommen Missbrauchs-Erlebnisse aus ihrer Kindheit zurück, die sie bis dahin erfolgreich verdrängt hatte. (s. auch kreuzer 06/21)
Luru-Kino in der Spinnerei, 25.11., 19 Uhr (Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen, mit Nachgespräch)
Listy do M 5
PL 2022, R: Lukasz Jaworski, D: Piotr Adamczyk, Violetta Arlak, Mateusz Banasiuk, 113 min
5. Teil der polnischen Heiligabend-Geschichten.
Cineplex, 26.11., 17 Uhr (OmeU, Polnische Filme)
Die stillen Trabanten
D 2022, R: Thomas Stuber, D: Albrecht Schuch, Martina Gedeck, Charly Hübner, 120 min
Weltpremiere des neuen Films von Thomas Stuber/Clemens Meyer in Anwesenheit des Filmteams.
Passage-Kinos, 29.11., 20:30 Uhr
Waterman – The Life of Duke Kahanamoku
USA 2022, Dok, R: Isaac Halasima, 95 min
Der Hawaiianer Duke Kahanamoku war der Inbegriff des Aloha‐Spirits. Er begründete in den 1920ern den Beachboy‐Lifestyle an den Stränden Waikikis und brachte das Surfen nach Australien und Kalifornien.
Kinobar Prager Frühling, 27.11., 20 Uhr (OF, Surffilmnacht)
Echo
D 2022, R: Mareike Wegener, D: Valery Tscheplanowa, Ursula Werner, Andreas Döhler, 103 min
Eine im Afghanistaneinsatz traumatisierte Polizeiausbilderin wird zu einem Fall um eine Moorleiche in der Provinz gerufen. Im Verlauf der Ermittlungen kommen schlimme Erinnerungen wieder an die Oberfläche.
Passage-Kinos, 25.11., 20:30 Uhr (in Anwesenheit von Regisseurin Mareike Wegener und Hauptdarstellerin Valery Tscheplanowa)
Titelbild: Filmstill aus »Emily«, Copyright Wild Bunch Germany, 2022