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Stadtleben

Tabuisiertes Mehrheitsthema

Spanien will den Menstruationsurlaub einführen – in Leipzig wird er nur am Rande diskutiert

  Tabuisiertes Mehrheitsthema | Spanien will den Menstruationsurlaub einführen – in Leipzig wird er nur am Rande diskutiert

 306.585 Frauen leben in Leipzig und bilden somit die Mehrheit der über 600.000 Menschen in der Stadt (Statistik: Leipzig Info 2021). Viele von ihnen menstruieren einmal im Monat und leiden oftmals unter Periodenbeschwerden. Ob Unterleibsschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit, Durchfall oder gar Endometriose: An Arbeiten ist bei starken Symptomen für viele während der Periode gar nicht zu denken. Die Idee des sogenannten Menstruationsurlaubes gibt es schon seit über 70 Jahren: Menstruierende Personen sollen während ihrer Periode nicht arbeiten müssen, ohne Urlaub zu nehmen oder sich krankschreiben zu lassen. In Japan wurde er bereits 1947 in das Arbeitsstandardgesetz aufgenommen. Die spanische Regierung stimmte vergangene Woche für einen Gesetzesentwurf, der vorsieht, dass Frauen mit ärztlichem Attest, das starke Regelschmerzen bestätigt, bis zu fünf Tage im Monat »Menstruationsurlaub« nehmen können. Der Entwurf muss nun im Senat verabschiedet werden und gegebenenfalls nochmal an das Parlament zurückgehen, bevor er Gesetz werden kann. Damit wäre Spanien das erste Land in Europa, dass diese Regelung einführt. Ähnliche Regelungen gibt es außerhalb Europas neben Japan auch in Südkorea, Indonesien, Taiwan und Sambia.

Die gesellschaftliche Debatte in Deutschland über eine solche Regelung, die durch Spaniens Beschluss angeregt wurde, ist inzwischen wieder so gut wie eingeschlafen. Dies läge an der fehlenden Dringlichkeit und Öffentlichkeit des Themas, erklärt Monika Lazar, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen im Leipziger Stadtrat. Themen wie Klimawandel und die Energiekrise seien derzeit wichtiger und präsenter. Trotz dessen sei sie grundsätzlich für eine solche Regelung. Aber den Begriff Menstruationsurlaub findet sie unpassend: Urlaub beschreibe Freizeit und nicht »mit Schmerzen im Bett liegen«. Laut eigener Aussage wird das Thema in ihrer Fraktion diskutiert – um zum Beispiel Regelungen für Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung zu ermöglichen –, müsse jedoch insgesamt auf Bundesebene gestellt werden. Dort sei es in Bundestag und Bundesregierung aber leider noch kein Thema. Lazar glaubt deshalb nicht an eine baldige Einführung, da »es immer eine gewisse Diskussion und öffentliche Wahrnehmung darüber brauche, die ich in absehbarer Zeit nicht sehe«.

Auch die Linke beschäftigt sich im innerparteilichen Diskurs mit dem Thema, doch hier ist es ebenso kein Hauptthema. Susanne Scheidereiter, Sprecherin für Feminismus und Gleichstellung im sächsischen Landesvorstand der Partei, hält den Menstruationsurlaub für einen guten Schritt, »dieses Tabu Menstruation aufzubrechen« und Frauen die Möglichkeit zu geben, auf die Zeichen des Körpers zu achten, der während der Menstruation oft Ruhe und Entspannung braucht. Zwar sei sie an sich für eine solche Regelung, doch der praktischen Umsetzung stehe sie sehr skeptisch gegenüber. So zweifelt sie an der Nutzung einer solchen Regelung vor allem in unterbesetzten Branchen. Und Unterstützung für das Thema von der CDU kann sich Scheidereiter auch nicht vorstellen, da die Partei in den letzten 30 Jahren, in denen sie die sächsische Regierung stellte, wenige bis keine feministischen Schwerpunkte vertreten habe. Über ihre eigene Partei sagt Scheidereiter: »Leider fallen spezielle Themen, die Frauen und FLINTA-Personen betreffen, oft hinten herunter, weil es angeblich immer wichtigere Themen gibt«. Eva Brunnemann – wie Scheidereiter Mitglied der AG LISA, der Linken Sozialistische Arbeitsgemeinschaft in der Partei – sieht als Lösung des Problems nur die Abschaffung des Kapitalismus: Es sei »alles so prekär und so auf Kante genäht« in der Arbeitswelt, obwohl überall so viel Personal zur Verfügung stehen müsse, »dass nicht gleich alles zusammenbricht, wenn mal jemand fehlt«.

In der Leipziger SPD sei es noch zu keinem Beschluss gekommen, doch Gespräche und Debatten würden geführt, erzählt Nadja Meißner, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF). Es sei »gut und begrüßenswert, dass Frauen* und ihre Bedürfnisse mehr in den Fokus der Politik gerückt werden«, da solche Regelungen dazu anregen »sich von einem patriarchal geprägten Blick zu lösen«. Als Hürde sehe sie das Gleichbehandlungsgesetz. Es könne sein, dass nicht-menstruierende Menschen sich benachteiligt fühlen oder gegen die Regelung klagen. Ebenso schließt sie Diskriminierung in der Arbeitswelt nicht aus: Menstruierende Personen könnten »aus Sorge vor mehr Fehltagen von vornherein nicht eingestellt werden«. Auch Meißner empfindet den Begriff »Menstruationsurlaub« als irreführend, er könne zu einer einseitigen Debatte führen. Menstruation sei »in unserer Gesellschaft weiterhin stark stigmatisiert und tabuisiert«. Bis es zu einer gesetzlichen Regelung und einem gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein komme, sei noch einiges zu tun.

Auf Anfrage äußerte sich Ansbert Maciejewski, der Fraktionsgeschäftsführer der CDU in Leipzig, dass es außerhalb der Kompetenz des Leipziger Stadtrates liege, über Urlaubsregelungen zu entscheiden. Das Thema »Menstruationsurlaub in Leipzig« habe für die CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages noch keine Rolle gespielt und würde dies aus der Sicht des Pressesprechers der Fraktion des sächsischen Landtages, Christian Fischer, in näherer Zukunft auch nicht tun.

Auch bei der Stadt Leipzig stehe das Thema Menstruationsurlaub weder beim Gesundheitsamt noch beim Referat für Gleichstellung »zur Zeit auf der Agenda«, heißt es von Martina Menge-Buhk, Redakteurin aus dem Referat Kommunikation auf kreuzer-Anfrage.

Zwar gibt es viele Organisationen, Vereine und Zusammenschlüsse, die sich mit den Themen Menstruation und Feminismus beschäftigen, doch NGOs, die sich für den Menstruationsurlaub einsetzen, gibt es in Leipzig noch nicht.


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3 Kommentar(e)

Divers 19.12.2022 | um 23:13 Uhr

Brilliant. Was ist mit den Männern. Die meinen sie sind so weiblich ? Die Überlegung, dass alle 4 Wochen eine Arbeitnehmerin 1 Woche einfach mal zuhause bleibt, soll “Mann” in einer Bilanz zw AG-Aufwand und Krankenkassenminus mal darstellen. Wer krank ist, kann sich krank schreiben. Eine Generalisierung zum “Urlaub” ist eine Diskriminierung und trennt in nur Frau und Mann. Die Lehrerinnen wird’s freuen und bei den Beamtinnen wird der Kostenfaktor nicht weiter auffallen, da längst aus allen Sichtbarkeiten verbannt. Das fehlen in der Schule ist allerdings nicht akzeptabel. Außerdem ist es definitiv auch eine Frage der Privatsphäre, wenn es wieder heißt, Ja frag Schmidt ist zuhause, hat wieder ihre Tage.

Hubert Fischer 22.12.2022 | um 01:16 Uhr

Ist eher zweifelhaft und nicht feministisch, wenn man sagt alle, die menstruieren brauchen jeden Monat fünf Tage frei. Gibt Personen, die während der Menstruation nicht mehr oder weniger Ruhe und Entspannung als sonst braucht und vielleicht brauchen alle mehr Entspannung. Das klingt wie Frauen fehlt was, warum so kritisch hast du deine Tage und so weiter. Da wird doch kein TAbu gebrochen. Im Ggenteil. Irgendwas ist komisch mit denen paar Tage im MOnat und davor auch, danach vielleicht auch, die Gründe sind komisch, besser nict so genau nachfragen, Weiber halt. Da war der Feminismus schon mal weiter.

DojaCata 24.12.2022 | um 16:21 Uhr

Was nicht im Artikel steht: In Spanien wird in den ersten drei Tagen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit keine Lohnfortzahlung gewährt wird und in Japan sind Unternehmen generell nicht dazu verpflichtet, bezahlten Urlaub zu gewähren. In Indonesien wird der Menstruationsurlaub nicht als zusätzlicher Urlaub behandelt. Sollte vielleicht beim Vergleich beachtet werden.