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»Kämpfen und trotzdem lieben und trotzdem feiern«

Tupoka Ogette über ihre Arbeit als Antirassismustrainerin, ihre Wut auf das patriarchale System und ihre Kindheit in Leipzig

  »Kämpfen und trotzdem lieben und trotzdem feiern« | Tupoka Ogette über ihre Arbeit als Antirassismustrainerin, ihre Wut auf das patriarchale System und ihre Kindheit in Leipzig

Den Tag ihrer Lesung hat Tupoka Ogette in Leipzig verbracht. Mit ihrem Mann Stephen war sie bei ihren Großeltern zu Besuch, die immer noch im Leipziger Süden wohnen. Wir treffen uns zwei Stunden vor der Lesung in der Musikalischen Komödie. Das Haus ist seit dem Umbau das erste Mal wieder ausverkauft, über 600 Menschen werden Ogette zuhören. Was sie noch nicht weiß: Am Ende wird es von diesen Menschen Standing Ovations für sie geben. Ogette trägt ihre funkelnden »lucky shoes«, wie sie zu Beginn des Interviews erzählt.

Wie fühlt es sich an, wegen einer Veranstaltung wieder in Leipzig zu sein?

Sehr, sehr viele gleichzeitige Emotionen: Ich bin sehr aufgeregt, gespannt. Ich freue mich. Ich hatte noch nie in meinem Berufsleben eine Veranstaltung, auf der so viele Menschen waren, die mich als Kind schon kannten.

Was verbinden Sie mit Leipzig und was verbindet Sie mit Leipzig?

Ganz viele Dinge gleichzeitig. Zum Beispiel die große Geborgenheit, die ich durch meine Großeltern hatte. Meine Mutter hat mich sehr früh bekommen, sie war gerade 18 und noch in der Schule. Daher war ich sehr viel bei meinen Großeltern, es ging gar nicht anders. Die Wohnung meiner Großeltern. Ich kenne jede Treppe im Treppenhaus, jedes Knarzen, die Gerüche … Ich verbinde mit Leipzig aber auch meine Unizeit, die intensiv war. Ich habe hier Afrikanistik studiert und hatte mein Schwarzes Coming-out. Ich verbinde mit Leipzig mein Kind: Mein Sohn ist hier eingeschult worden. Ich verbinde damit natürlich auch Rassismus. Es ist komplex. Je näher ich an Leipzig komme, desto vulnerabler fühle ich mich.

Was meinen Sie mit dem Schwarzen Coming-out?

Damit meine ich meine Politisierung. Es ist eine kollektive Erfahrung für Schwarze Menschen, gewisse Erfahrungen zwar einordnen zu können, aber keine Sprache dafür zu haben. Ich habe lange geglaubt, dass ich das Problem, ein bisschen sensibel und ein bisschen schwierig sei. Das Schwarze Coming-out ist der Prozess, mit anderen Schwarzen Menschen durch Lektüre erstens eine Sprache zu finden für das, was ich erlebe, und zweitens das miteinander verknüpfen zu können und herauszufinden: Das bin nicht nur ich, sondern es ist eine kollektive Erfahrung und es hat einen Namen, und zwar Rassismus. Dieser Prozess ist emotional und sehr wichtig. Und für mich ist er noch nicht abgeschlossen.

In Leipzig wurden Sie auch zum ersten Mal zu einem Treffen mit anderen Schwarzen Frauen eingeladen. Wie waren Ihre Gefühle vor diesem Treffen und wie haben Sie das Treffen erlebt?

Katja Musafiri hat mich eingeladen. Das ist auch der Grund, warum sie in meiner ersten Podcast-Folge zu hören ist. Sie hat gesagt: »Wir machen da so ein Afrotreffen« – wir haben ja damals Worte benutzt, die wir heute nicht mehr unbedingt benutzen würden –, »willst du mal kommen?«. Ich weiß noch, dass ich das ein bisschen komisch fand und nicht so viel damit anfangen konnte. Aber ich war auch neugierig. Und dann war es so schön. Es war eine Mehrheitserfahrung, wir waren nur etwa zehn Leute, aber es war aufregend und etwas ganz Neues, mit zehn Schwarzen Menschen in einem Raum zu sitzen, die alle ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland hatten. Das kannte ich vorher nicht. Die Gespräche über Rassismus haben sich dann ganz langsam entwickelt.

Wie war es denn, in Leipzig zu studieren? Und was war vielleicht auch der Unterschied zum Aufwachsen hier?

Ich bin als Mutter wieder hergekommen. Ich habe meinen Sohn mit 18 bekommen und das war auch einer der Gründe, warum ich zurückgekommen bin, weil meine Großeltern hier waren. Ich habe Afrikanistik studiert, natürlich auch, weil ich auf der Suche nach mir, nach Identität war. Leipzig ist eine tolle Stadt zum Studieren: Man ist überall schnell, es ist eine tolle Fahrradstadt, es gibt viele junge Menschen und es ist sehr grün.

Aber natürlich gibt es in Leipzig auch Rassismus. Wie überall. Ich würde sagen, dass meine Politisierung noch nicht so weit war, dass ich zum Beispiel meinen Studiengang Afrikanistik hinterfragt hätte. Rückblickend war vieles daran stark eurozentristisch. Das alles habe ich damals noch nicht hinterfragt.

Sie haben im Gegensatz zu manch anderen Antirassismustrainerinnen und -trainern einen sehr liebevollen Ansatz. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich würde eher sagen: Hart in der Sache, aber sanft im Umgang. Meine Mutter ist weiß, meine Großeltern ebenso, ich bin mit weißen Menschen befreundet. Meine Frage war und ist: Was verändert Rassismus in den Beziehungen, die ich zu ihnen habe? Ich glaube an eine revolutionäre Liebe, und die ist nicht immer sanft. Ich glaube, diejenigen, die meine Rassismuskritik für sanft halten, waren noch nie in meinem Workshop. Natürlich habe ich einen wohlwollenden Ansatz, aber diese Auseinandersetzung ist und bleibt hart.

Empfinden Sie in Bezug auf Rassismus auch Wut?

Ich habe diese Arbeit begonnen, weil ich sehr wütend war und sich diese Wut gegen mich selbst gerichtet hat, sie war autoaggressiv. Die Wut entstand im Zuge der Politisierung, in der Auseinandersetzung und in dem Verstehen, was Rassismus mit mir, aber auch mit dieser Gesellschaft macht. Es hat mich besonders wütend und ohnmächtig gemacht, dass meine Kinder auch Rassismus erleben. Ich habe festgestellt: Diese Wut frisst mich auf, wenn ich nicht irgendwas tue.

Tupoka Ogette Anfang der 80er Jahre
Tupoka Ogette Anfang der 80er Jahre
Foto: privat

Sie sagten einmal, Sie dachten früher, dass Sie in Bezug auf Rassismus zu sensibel seien – bis Sie Wörter gelernt haben, die Ihre Erfahrungen beschreiben konnten. Was hat sich für Sie geändert nach dieser Wortfindung?

Wenn du eine Sprache dafür findest, was dir passiert, dann macht es das real. Du merkst, dass du nicht die einzige Person bist, der es so geht. Und du verstehst, dass du dir das alles nicht eingebildet hast. Dass deine Reaktionen berechtigt waren. Und das hat mich erst mal wütend gemacht, klar. Es ist auch schmerzhaft, weil du merkst, wo Rassismus überall sitzt. Es hat mich aber auch befreit. Ich bin klarer und mutiger geworden.

Woher nehmen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?

Ich habe ganz oft keine Kraft. In solchen Momenten ziehe ich die Kraft aus den vielen Menschen, die ebenso diesen Kampf gegen Rassismus führten oder führen. Mit Büchern, Filmen, Musik und Tanz des Widerstandes. Hier in Leipzig hat mich ein junges Schwarzes Mädchen angeschrieben, es wird heute im Publikum sitzen: Sie ist zehn Jahre alt und kämpft an ihrer Schule gegen Rassismus. Oder auch in den Workshops, wenn ich es schaffe, dass Menschen wirklich ein Verständnis dafür entwickeln, was Rassismus mit uns macht. Ich arbeite zusammen mit meinem Mann, das hat vieles verändert, weil wir gegenseitig gut auf uns aufpassen können. Ich versuche, besser auf mich zu achten. Ich gehe seit einiger Zeit zur Osteopathie, mache Sport, reise sehr gern mit meiner Familie – vor allem ans Meer oder in die Berge. Und ich mache Supervision.

Sie sprechen oft davon, dass weiße Menschen Allys sein können. Können Sie die Idee dahinter erklären und wie man Ally wird?

Ich wünsche mir, dass der Begriff als Verb gebraucht wird. Es ist eine Tätigkeit und kein Status. Es geht darum, sich gegen Diskriminierungsformen einzusetzen, von denen man selber nicht betroffen ist. Diese Entscheidung muss immer wieder neu getroffen werden. Darin liegt auch eine Chance: Du kannst dich ab sofort entscheiden, es zu machen. Und auch, wenn es nicht sofort funktioniert, kannst du sagen: Ich mache es immer wieder. Ein Ally zu sein bedeutet, sich solidarisch zu verhalten.

Wie sieht Ihre Utopie der deutschen und der globalen Gesellschaft aus?

Ich hatte mal ein Interview, in dem es um »realistische Utopien« ging. Natürlich schwebt über allem die Idee einer Welt, in der es keine Kriege und keine Marginalisierung gibt, in der wir alle einfach nur sein können. Das ist natürlich eine Aufgabe, die erschlägt. Rassismus gibt es seit 500 Jahren, das Patriarchat noch länger. Da komme ich mir sehr klein vor und es ist keine Vision, die mich nachhaltig stützt. Ich habe aber Hoffnung auf eine rassismus- und diskriminierungskritische Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die hinschaut, die eine Sprache findet, die sich mit Reparationen auseinandersetzt, die Handlungsräume schafft, die Zukunftsvisionen möglich macht. Eine Welt, in der unsere Kinder und Kindeskinder ein bisschen mehr atmen können.

Wer sind Ihre Vorbilder?

Maya Angelou ist auf jeden Fall jemand, der mich sehr geprägt hat. Auch Toni Morrison, Alice Walker, James Baldwin. Ganz persönlich ist es auch meine Mutter. Durch sie habe ich gelernt, dass Systeme, nur weil sie gerade legal sind, wie es zum Beispiel die DDR-Diktatur war, nicht per se richtig sein müssen und dass man Sachen hinterfragen kann. Meine Großmütter – in Leipzig und in Mbeya (Tansania). Ich habe das Glück, von starken, mutigen, feministischen Frauen umgeben zu sein. Auch wenn sie sich selbst nicht unbedingt Feministin nennen würden.

In den letzten Jahren ist viel passiert, es wird mehr über Rassismus geredet. Aber haben Sie auch das Gefühl, dass sich wirklich etwas verändert?

Es ist ja bereits eine Veränderung, dass wir mehr darüber sprechen, dass der Diskurs auch im Mainstream sichtbarer geworden ist. Es gibt einfach mehr Vorfälle, die dokumentiert werden, wenn sie passieren. Prominentestes Beispiel dafür ist der Mord an George Floyd. Aber diese Veränderungen geschehen nicht von allein. Sie passieren, weil Menschen diese Veränderung einfordern. Und das trotz großer Verluste und großer persönlicher Opfer, die sie bringen. Und obwohl ihre Erfahrungen und ihre Forderungen immer wieder relativiert werden.

Natürlich werde ich jetzt in andere Kontexte eingeladen als vor fünf oder zehn Jahren. Gleichzeitig gibt es aber einen riesigen Backlash. Vor zwei Jahren haben viele gefragt, ob nach dem Mord an George Floyd jetzt alles ganz anders sei und ob es »geschafft« sei. Aber alle Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, wussten, dieser mediale Scheinwerfer leuchtet eine Weile und geht dann wieder aus. Diese Ausdauer, die bleibt nicht. Und jetzt ist es wieder so weit, dass viele Menschen sagen: »Na ja, jetzt ist ja auch mal wieder gut mit dieser politischen Korrektheit, Rassismus haben wir jetzt durch.« Es gibt eben beides, die Menschen, die vorpreschen, und den Backlash.

Sie machen diese Arbeit seit ziemlich genau zehn Jahren. Was sehen Sie, wenn Sie auf diese Zeit zurückblicken?

Sehr viele Gespräche und sehr, sehr viele Begegnungen. Ich sehe, dass es viele Menschen gibt, die sich mit Rassismus auseinandersetzen möchten. Ich sehe aber auch meine Zusammenbrüche – keine Frage. Ich sehe auch all die Wut und den Hass, den ich vor allem online mitbekomme. Ich sehe aber auch die viele Liebe. Ich sehe viele Schwarze Menschen, People of Color, indigene Menschen, die ich treffen durfte und darf. Die kämpfen und trotzdem lieben und trotzdem feiern. Ich sehe eine neue Generation, die viel mehr und viel früher Worte hat für das, was passiert. Das ist stärkend und berührend.

INTERVIEW: SIBEL SCHICK UND MAIKA SCHMITT



Biografie: Tupoka Ogette wurde 1980 in Leipzig geboren. Ihr tansanischer Vater studierte Landwirtschaft, die deutsche Mutter Mathematik. 1988 zog Tupoka mit ihrer Mutter nach Westberlin, wo sie bis zum Ende der Schulzeit lebte. 1998 kam sie für das Magisterstudium Afrikanistik zurück nach Leipzig. Ab 2008 studierte sie in Grenoble International Business und arbeitete dort im Anschluss für den Deutschen Akademischen Austauschdienst.

Seit 2012 ist sie als rassismuskritische Beraterin und Trainerin tätig. Inzwischen hat sie drei Bücher geschrieben, »Exit Racism« ist ein Spiegel-Bestseller. 2019 wurde sie von Edition F als eine der 25 erfolgreichsten Frauen des Jahres ausgezeichnet. Sie hat außerdem den »Tupodcast«, bietet in der »Tupokademie« Workshops und Onlinekurse an und berät Firmen und Vereine.


Titelfoto: Christiane Gundlach


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