Steppen oder Joggen in der Mittagspause, ein Halbmarathon vorm Frühstück, nach der Arbeit in die Turnhalle, aufs Fußballfeld oder in den Boxring. Blutrausch zum Feierabend. Rund 96.000 Leipzigerinnen und Leipziger sind in Sportvereinen organisiert. Nun mag nicht jedes Mitglied wirklich aktiv Sport treiben. Dafür schwitzen aber auch viele außerhalb von Vereinen, treffen sich zum und beim Streetball, pumpen im Fitnessstudio, kräftigen ihren Körper nach Videoanleitung. Doch warum tun sich so viele das an?
Der Mensch ist nicht nur ein vernunftbegabtes und tätiges Wesen, sondern auch ein spielendes. Spielen, das bedeutet nichtzweckgerichtet tun, denn Spiel ist Selbstzweck. Aus diesem freiwilligen Handeln entfaltet sich Freiheit, es eröffnet eine Art Auszeit. Und nichts anderes als Spielen stellt der Breitensport dar, der eben kein gewinnorientierter Profisport ist. Wenn in den antiken Arenen Spitzensportler mit spitzen Gegenständen aufeinander losgingen oder heute Fußballer für Millionengagen übers Feld jagen, ist das Arbeit.
Breitensport diente dem eigenen Vergnügen im Spiel, etwa beim freundschaftlichen Ringen im Mittelalter. Wenn wie in Friedrich Ludwig Jahns Turnerbewegung der Drill das Ziel ist, um der Volkskörperertüchtigung und paramilitärischen Ausbildung zu dienen, ist von Sport im eigentlichen Sinn schwerlich zu sprechen. Auch beim Arbeitersport ging es um mehr, nämlich Festigung der Muskeln und des Klassenstandpunkts. Individualisierter Sport, wenn noch vereinsorganisiert, kommt um 1900 mit der Wander- und Skibegeisterung auf. Richtigen Boom besorgten die ersten Bodybuilding- und Fitnesswellen. Natürlich werden sie getragen von einem idealisierten Körperbild und gewissem sozialem Druck. Auch heute noch quälen sich die Leute jeden Jahresanfang aufs Neue, die eigene Bikinifigur winkt am Horizont. Aber in diesem Fahrwasser erfuhr Sport nicht nur Wertschätzung, sondern lernten viele Menschen auch Freude an der Bewegung kennen. Gerade weil die meisten Menschen ihren Körper im Alltag nicht mehr brauchen, verlagert sich die regelmäßige Bewegung in den Sport.
Weil Spaß und Lust ominös erscheinen, wird häufig auf den Gesundheitsaspekt des Sports hingewiesen; wobei sich genügend Menschen auch kaputt trainieren. Wahr ist, dass Sport eine gute Prophylaxe gegen Alterskrankheiten ist, stärkt er doch Muskeln, Sehnen und Knochen. Alternativ soll die körperliche Betätigung dazu dienen, die Arbeitskraft zu regenerieren. Aber sich schinden, um am nächsten Morgen wieder am Schreibtisch sitzen zu können, klingt zu profan als Antrieb. Fit for Job? Oh no.
Sport kann Rausch sein, die körpereigene Drogenproduktion in Gang setzen. Das macht glücklich. Bewegung im Team hat auch soziale und kollegiale Aspekte, spielerische Konkurrenz und gegenseitiger Respekt spielen bei Kampfsportarten eine Rolle. Und immer ist man es letztlich selbst, gegen den man antritt und mit dem man sich misst. Wer regelmäßig Sport treibt, verspürt alsbald ein Verlangen nach Bewegung und vermisst sie, war sie ihm ein paar Tage nicht möglich.
Dahinter steckt aber noch etwas anderes, denn der Körper ist für viele Menschen das einzig frei Verfügbare, gerade in einer Zeit, in der äußerer Druck von Werbung, Social-Media & Co den Körper zum Schlachtfeld machen. Aber man kann ihn formen, wo sich alles andere dem persönlichen Zugriff entzieht. Und man spürt sich unmittelbar, gerade auch unter Anstrengungen oder im abklingenden Schmerz. Das macht den Muskelkater gegenüber dem inneren Schweinehund so reizvoll. Wie immer lauert hier das falsche Bewusstsein an der Hintertür, wenn Fitness und Fairness als Leitkategorien auch in die Berufswelt eingezogen sind. Und andersherum Business-Denke Teile des Sports bestimmen, Stichwort: quantifiziertes Selbst. Mit technischem Schnickschnack setzt sich das Individuum unter Druck, wo es eigentlich spielen will. Da droht Fremdbestimmtheit durch Zahlen, wo man sich eigentlich über den geilen Schlenzer und kräftigen Kraulschlag, die Dreiminutenplanke oder den sauberen Säbelstich freuen sollte
Titelfoto: Leon Joshua Dreischulte.