Im Februar jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine zum ersten Mal. Die Schaubühne Lindenfels hat in den vergangenen Monaten vielfach ihre Solidarität mit ukrainischen Regisseurinnen und Regisseuren gezeigt. Die Reihe »Kultura: UA« wirft nun einen weiteren Blick auf die Lebensrealität der Menschen mit preisgekrönten Festivalfilmen. Den Anfang macht der Dokumentarfilm »Mizh Nebom Ta Horamy - Mountains And Heaven In Between«, der vor wenigen Wochen beim Dok Leipzig seine Premiere feierte.
»Kultura: UA«: 27.1., Schaubühne Lindenfels
Film der Woche: Wenige Monate vor dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar sitzt Slawik auf einer Bühne und erzählt von der Entscheidung, vor der er stand. Mit dem Gewehr gegen seine Stirn gerichtet, überlegt er: Sterben oder nicht sterben? Kurz darauf kommt er in Gefangenschaft russischer Separatisten. Um seine Erlebnisse zu verarbeiten, nimmt Slawik mit vier weiteren jungen Menschen an einer Theaterinszenierung teil, die die eigene Kriegserfahrung in den Zusammenhang mit Hamlets Dilemma setzen soll. Da gibt es Rodion, der auf der Bühne steht und brüllt: »Sorgt lieber dafür, dass man in diesem Land kein Held sein muss. Ich will nicht.« Als Teil der LGBTIQ-Community will er kein Aushängeschild sein, kein Held, der die Ukraine ein paar Schritte weiter zur EU treibt. Da gibt es Katja, die sich im Oktober 2014 fragte: Hinfahren oder nicht hinfahren?
Der Dokumentarfilm von Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski folgt den fünf Menschen einfühlsam. Mit behutsamer Erzählbewegung, als verstünde es die Kamera, wann sie weiter filmen und sich näher an ein Schicksal herantasten dürfte. Erst nachdem einer der fünf Menschen beginnt, auf der Bühne über ein Erlebnis zu sprechen, wirft die Kamera einen Blick in ihr Leben und ihre Familien.
Aufnahmen von Kriegshandlungen werden nur sporadisch eingesetzt. Vielmehr bietet der 85-minütige Film eine Antwort auf die Frage, wie die Körperlichkeit des Krieges erzählt werden kann, ohne den Krieg zu zeigen. Die Kulisse spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Bühne als Ort der Bewältigung bringt alle regelmäßig an ihre Grenzen. Die Teilnehmenden brechen Szenen ab, streiten sich und finden an unterschiedlichen Stellen doch wieder zusammen. Wie soll die ukrainische Flagge genutzt werden, zu welchem Symbol kann sie werden? Die fünf jungen Menschen fechten Konflikte aus, die weitaus weiter als die bloßen 20 Quadratmeter der Bühne reichen. Es geht um einen Krieg, der nicht erst mit dem 24. Februar 2022 begann und um die Frage: Wie können wir in diesem Kriegszustand leben?
LEONIE ZIEM
»Das Hamlet-Syndrom«: ab 19.1. in den Passage-Kinos, am 22.1., 13 Uhr in Anwesenheit der Regisseurin, ab 26.1. in der Schaubühne Lindenfels
Der Regisseur Heinz Emigholz ist seit Längerem für Experimentalfilme über Architektur und Raumentwicklung im Spätkapitalismus bekannt. Mit seiner neuesten Dokumentation »Schlachthäuser der Moderne« verwebt er widersprüchliche und räumlich weit getrennte Sphären virtuos zu einer dekolonialen Gesellschaftskritik. »Schlachthäuser der Moderne« ist die Verzweigung zweier Architekturstudien: »Salamone, Pampa« und »Mamani in El Alto«.
Mit den beiden Filmstudien zeigt Emigholz die unterschiedlichen Wege kolonial geprägter Architektur wie auch die Entwicklung postkolonialer Architektur in Südamerika. Das Humboldtforum steht formal wie inhaltlich in der Mitte als Ausgangspunkt dieser Bewegung. Emigholz, mit dem Beispiel Freddy Mamanis in El Alto, schlägt eine Entkolonisierung von Architektur vor. Denn anstatt des barocken Humboldtforums mit seiner kolonialen Herrschaftsromantik soll im Herzen Berlins ein Tanzsaal im Stile Mamanis in grellbunten Farben stehen, worin der Sänger Kiev Stingl singt: »all the modern africans hate my system«.
Die Verbindung verschiedener Entwicklungen postkolonialer Architekturgeschichte durch das Humboldtforum ist für Zuschauer nicht einfach nachzuvollziehen. Doch Emigholz präsentiert sie in einer Kompromisslosigkeit, die manchmal vor den Kopf stößt und eine grundsätzliche Debatte über das architektonische Erbe europäischer Kolonialgeschichte anregt. EYCK-MARCUS WENDT
»Schlachthäuser der Moderne«: ab 19.1., Cinémathèque in der Nato, Luru-Kino in der Spinnerei
Weitere Filmtermine der Woche
Co:memorate
D 2022, Dok, R: Judith Schein, Birgit Said, Alexander Kramer, Antonio Quarta, 45 min
Der Dokumentarfilm zeigt alltägliche Orte, an denen rassistische Gewalt verübt wurde. Auf diesem Weg möchten die Filmschaffenden an Taten und Opfer, vor allem aber an Menschen, an Lebensgeschichten und Spuren erinnern, die allzu schnell im Alltag verwischen.
Kinobar Prager Frühling, 19.01. 17:00 (Premiere, mit den Filmschaffenden und Zeitzeugen)
Shorts Attack: Tatendrang
Volle Kraft durchs Leben: Kurzfilme im Rahmen der queeren Filmwoche.
UT Connewitz, 20.01., 20 Uhr
Moderne Zeiten
USA 1936, R: Charlie Chaplin, D: Charles Chaplin, Paulette Goddard, Henry Bergman, 87 min
Ein großer Klassiker: Fabrikarbeiter Charlie Chaplin im Kampf mit einer Maschine und um sein Liebesglück. Vertont wird von David Timm an Orgel und Konzertflügel.
Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli, 20.01., 19:30 Uhr
Slapstick mit Chaplin und Keaton
Stummfilmpianist Richard Siedhoff präsentiert humoristische Perlen früher Stummfilm-Meisterwerke an der historischen Kino-Orgel mit analoger 16mm-Projektion vom ratternden Filmprojektor.
Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig, 22.01., 16 Uhr
Zeiten des Umbruchs
USA 2022, R: James Gray, D: Anne Hathaway, Jeremy Strong, Banks Repeta, 115 min
Im New York der 1980er Jahre lebt Paul in einer wohlhabenden Familie, in der er nicht zurechtkommt. Einzig sein Großvater versteht ihn. Als Paul sich mit einem schwarzen Jungen anfreundet, versuchen seine Eltern die Freundschaft wegen der Rassentrennung zu unterbinden.
Regina-Palast, 22.01., 17 Uhr (Der Sonntagsfilm um 5)
Beautiful Beings
ISL/DK/S/NL/CS 2022, R: Gudmundur Arnar Gudmundsson, D: Birgir Dagur Bjarkason, Áskell Einar Pálmason, Viktor Benóný Benediktsson, 123 min
Der 14-jährige Außenseiter Balli wird von seinen Mitschülern gemobbt und von seinem Stiefvater immer wieder schwer misshandelt, während die Junkie-Mutter nichts unternimmt. Als der Junge endlich Freunde findet, eskaliert die Situation.
Ost-Passage-Theater, 25.01., 20 Uhr
Trendresistent: Crimes of the Future
CDN/GR/F 2022, R: David Cronenberg, D: Viggo Mortensen, Léa Seydoux, Kristen Stewart, 107 min
Die seltsame, surrealistische Zukunftsvision um eine radikale Körperkultur ist Cronenberg pur.
Cinémathèque in der Nato, 24.01., 19:30 Uhr (mit Diskussion, OmU)
Daniel Richter
D 2022, Dok, R: Pepe Danquart, 118 min
Pepe Danquart begleitet den gefeierten Gegenwartskünstler und geht der Frage nach, wie politisch ein berühmter Maler in einem Umfeld des turbokapitalistischen Kunstmarkts eigentlich sein kann.
Passage-Kinos, 21.01., 18 Uhr (Kunst trifft Film, Premiere in Anwesenheit von Regisseur Pepe Danquart)
Das Blau des Kaftans
F/M 2022, R: Maryam Touzani, D: Lubna Azabal, Saleh Bakri, Ayoub Missioui, 124 min
Der marokkanische Schneider Halim betreibt mit seiner Frau Mina ein Atelier für Gewänder. Mina weiß, dass ihr Mann homosexuell ist und man hat sich miteinander arrangiert. Doch als sie an Krebs erkrankt und ein junger Lehrling eingestellt wird, kommt es zu Veränderungen.
Passage-Kinos, 25.01., 20:30 Uhr (OmU, QueerBLICK)
Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht
D 2022, Dok, R: Sabine Lamby, Cornelia Partmann, Isabel Gathof, 98 min
In dem Dokumentarfilm sprechen Überlebende des KZ Stutthof, Zeitzeugen und Experten unbequeme Wahrheiten aus.
Cinémathèque in der Nato, 26.01., 19:30 Uhr (Vorpremiere)
Marek Edelman … und es gab Liebe im Ghetto
PL/D 2019, Dok, R: Jolanta Dylewska
Auch in der Hölle des Ghettos konnten die Menschen nicht ohne Liebe leben – auch wenn es meist eine Liebesgeschichte ohne Happy End war. Eine dokumentarische Begegnung mit Marek Edelman.
Polnisches Institut, 26.01., 20 Uhr
Das Tagebuch der Anne Frank
D 2016, R: Hans Steinbichler, D: Lea van Acken, Martina Gedeck, Ulrich Noethen, 128 min
Hans Steinbichler wählt einen interessanten Ansatz für seine Adaption des Schicksals einer jungen Jüdin in Amsterdam 1942. Lea van Acken überzeugt in der Hauptrolle. Die Inszenierung ist jedoch zu formelhaft geraten.
Kinobar Prager Frühling, 27.01., 16 Uhr (Holocaust‐Gedenktag)
Die Frau im Nebel
KOR 2022, R: Park Chan-wook, D: Park Hae-il, Tang Wei, Lee Jung-hyun, 139 min
Temporeich und meisterhaft zieht Park Chan-wook den Betrachter an der Nase durch sein Spiegelkabinett, bei dem manches Detail erst beim zweiten Hinschauen Sinn ergibt.
Passage-Kinos, 22.01., 16 Uhr (Preview)
Gertrud oder Die Differenz
D 2022, Dok, R: Ute Richter, 75 min
Eine künstlerische Aneignung vergessener Geschichte: Dokumentarfilm über die Schule der Arbeit in Leipzig.
Halle 14, 20.01., 19 Uhr (im Anschluss Gespräch mit Radek Krolczyk und Ute Richter)
Midwives
MMR/CAN/D 2022, Dok, R: Snow Hnin Ei Hlaing, 92 min
Der Dokumentarfilm begleitet zwei Frauen, eine Buddhistin und eine Muslima, über mehrere Jahre dabei, wie sie in einer improvisierten Klinik im Westen Myanmars gemeinsam medizinische Hilfe für Rohingya leisten.
Cinémathèque in der Nato, 25.01., 19 Uhr (mit Diskussion, OmeU, Vorpremiere)
Mizh Nebom Ta Horamy – Mountains and Heaven in between
Dokumentarfilm über medizinisches Personal in der abgelegenen ukrainischen Region Transkarpatien während der Coronavirus-Pandemie 2020.
Schaubühne Lindenfels 27.01., 19 Uhr (Filmreihe Kultura: UA, OmeU)
Na twoim miejscu
PL 2003, R: Antonio Galdámez, D: Paulina Galazka, Miron Jagniewski, Maria Pakulnis, 103 min
In der polnischen Körpertauschkomödie findet ein zerstrittenes Paar im Körper des bzw. der jeweils anderen wieder zueinander.
Cineplex, 21.01., 17 Uhr (OmU, Polnisches Kino)
Nicht verrecken
D 2021, Dok, R: Martin Gressmann, 110 min
Der Dokumentarfilm folgt den Hauptrouten der Todesmärsche durch Brandenburg und Mecklenburg‐Vorpommern, an denen heute 200 Gedenktafeln stehen, und lässt die letzten Zeugen zu Wort kommen.
Kinobar Prager Frühling, 27.01., 14 Uhr (Holocaust‐Gedenktag)
Onibaba – Die Töterinnen
J 1964, R: Kaneto Shindo, D: Nobuko Otowa, Jitsuko Yoshimura, Kei Sato, 103 min
Eine alte Frau und ihre Schwiegertochter überstehen den jahrzehntelangen Bürgerkrieg im Japan des 14. Jahrhunderts nur dadurch, dass sie verletzte Samuraikrieger überfallen, ausrauben und töten.
Luru-Kino in der Spinnerei, 25.01., 22 Uhr (Horror-Doppel mit Donis, vorher um 20 Uhr läuft »Smile – Siehst du es auch?«)
Rock N Rolla
USA 2008, R: Guy Ritchie, D: Gerard Butler, Tom Wilkinson, Mark Strong, 114 min
Stereotypes britisches Gangsterkino von Guy Ritchie, gewohnt stilsicher und temporeich inszeniert. Plottechnisch geht es um irgendwas mit Geld und Waffen.
Moritzbastei, 19.01., 20 Uhr (Moritzkino)
Schwarze Katze, weißer Kater
F/YUG/D 1997, R: Emir Kusturica, D: Branka Katic, Srdjan Todorovic, Ljubica Adzovic, 129 min
Mit dieser witzig-märchenhaften Romaballade kehrte der jugoslawische Regisseur Emir Kusturica zu seinen Wurzeln zurück.
Kinobar Prager Frühling, 20.01., 16 Uhr (Special Emir Kusturica)
Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR
D 2019, Dok, R: Barbara Wallbraun, 115 min
Die Doku porträtiert sechs lesbische Frauen, die vom Leben als Homosexuelle in der DDR berichten.
Luru-Kino in der Spinnerei, 20.01., 19 Uhr (in Anwesenheit von Regisseurin Barbara Wallbraun)
Titelbild: Copyright Kundschafter Filmproduktion GmbH