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Stadtleben

»Darauf hinweisen, was möglich wäre«

Datenschützer Philipp Siedenburg im Interview über utopische Medienbildung

  »Darauf hinweisen, was möglich wäre« | Datenschützer Philipp Siedenburg im Interview über utopische Medienbildung

Der Leipziger Verein Datenhut arbeitet an einer unterbesetzten Schnittstelle. Er hat das »beste Medienbildungsangebot für und mit Kindern« und damit beim Medienpädagogischen Preis 2022 der Sächsischen Landesmedienanstalt und des Kultusministeriums gewonnen. Kinder zwischen 8 und 11 Jahren haben im Gamescamp Grünau während der Ferien eigene Computerspiele programmiert. Das kostenfreie Angebot ist nur eines von mehreren Projekten, mit denen der Verein vor allem junge Menschen mündig für den Umgang mit Medien machen will. Gründungsmitglied Philipp Siedenburg im Gespräch über Arbeit und Pläne des Vereins.

kreuzer: Was ist ein Datenhut?
Siedenburg: Ursprünglich waren wir die »Datenhüter«. Dann kamen Mitstreiterinnen dazu und wir suchten eine geschlechtsneutrale Formulierung. Jetzt haben wir in allem, was Daten betrifft, den Hut auf. Es ist auch spielerisch gemeint, Datenhut statt Aluhut. Wir haben einen positiven Ansatz und eine positive Grundeinstellung zu neuen Medien.

Es geht Ihnen nicht mehr nur um Datenschutz, sondern digitale Medienkompetenz?
Ja, eine gewisse Mündigkeit wird immer wichtiger. Wir wissen, wo es endet, wenn Menschen einfach glauben, was Youtube ihnen vorschlägt. Wir haben heute unfassbar coole Software, unbegrenzte Möglichkeiten, aber das Netz wird dominiert von großen Konzernen, die ihre giftigen Algorithmen laufen lassen. Wir wollen darauf hinweisen, was alles möglich wäre.

Sie wurden für das Gamescamp Grünau ausgezeichnet, aber das ist ja jetzt vorbei …
Das kommt wieder, es ist für die Sommerferien 2023 angedacht. Das Projekt in Grünau hat auch partizipativen Charakter; wir wollen Kinder und Familien ansprechen, die solche Angebote sonst nicht bekommen. In der Praxis ist es schwierig, Menschen in ihren unterschiedlichen Bubbles überhaupt zu erreichen, aber in der »Völkerfreundschaft« hat das super geklappt. Jetzt wird es wohl eine andere Location. Außerdem transformiert es sich und geht mehr in Richtung Robotik. Als kleineren Anteil hatten wir das Thema aber auch schon vorher.

Mit programmierbaren Robotern waren Sie auch auf den Maker Days for Kids, oder?
Genau.

Und was haben Sie noch für Projekte?
Wir planen Angebote für die sächsischen Winterferien; einfach über das Kontaktformular unserer Homepage melden und wir geben gerne umfassende Infos. Es gibt auch ein Filmdreh-Projekt, das in den letzten Herbstferien schon einmal lief.

Drehen die Kinder mit ihren Smartphones?
So können Sie sich das vorstellen, nur dass sie dabei von Pädagoginnen begleitet werden, die das professionell beherrschen, mit halbprofessionellen Apps auf entsprechenden Geräten. Und für 2023 haben wir noch ein sehr großes Projekt geplant. Wir wollen das Thema Datenschutz spielerisch verpacken. Es geht um ein Planspiel, tatsächlich in den Schulen und nicht während der Ferien. Schulkinder übernehmen verschiedene Rollen und werden Player in einem gesellschaftlichen Konflikt. In unserer Geschichte soll ein smartes Device verpflichtend an Schulen eingeführt werden – mit Funktionen, die sich die Kinder und Jugendlichen vorher selbst ausdenken. Kinder sollen auch in der Rolle der Firma dafür Werbung machen und kleine Clips erstellen. Und dann geht die Datenschutzdiskussion los: Welche Daten werden erhoben? Welche Kontrollmöglichkeiten ergeben sich? Welche Risiken gibt es? Als Player tauchen dann NGOs, Institutionen wie der CCC und Datenschutzaufsichtsbehörden auf und kämpfen argumentativ gegen die Firma. Darauf freue ich mich schon sehr! Das Spiel soll auch in eine digitale Form gelangen, aber das ist noch unter Vorbehalt und hängt von Fördergeldern ab, die fließen müssten.

Das klingt sehr ambitioniert, aber auch sehr weit weg vom Alltag vieler Schulen. Ist es schwer, mit den Verantwortlichen an Schulen ins Gespräch zu kommen?
Ja. Es gibt motivierte Leute, die etwas auf die Beine stellen wollen, aber es gibt auch vielfältigen Bedarf. Und es ist extrem reguliert, welche Formate angenommen werden können, welche Mittel ausgegeben werden können. Milliarden Euro fließen mit dem Digital-Pakt Schule jetzt für Hardware, die gekauft werden soll, aber nicht für Konzepte zum Wissensaufbau oder -austausch. Das ist verfehlt. Aber wir haben auch gute Erfahrungen damit gemacht, Schule Schule sein zu lassen und in den Ferien coole Projekte zu machen.

Sie behandeln ein grundlegendes Zukunftsthema, erreichen damit zahlenmäßig aber nur wenige Menschen. Fühlt sich die Arbeit da nicht an wie der Tropfen auf den heißen Stein?
Alles, was wir bewegt haben, haben wir bewegt. Wenn wir ein Projekt geschafft haben, ist das schon jedes Mal ein Erfolg. Aber natürlich hätten wir nichts dagegen, die Arbeit um Größenordnungen zu steigern und Projekte öfter zu machen. Wir öffnen unseren Pool der Pädagoginnen und Pädagogen, wir wollen groß denken und klein handeln. Wenn jemand Bock hat bei uns mitzumachen: Herzlich gerne! Wir sind kein geschlossener Zirkel. Im Gegenteil.


Titelbild: Christiane Gundlach


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