Ein aufgeregter Vater, der seine Kinder zum Sichtungstraining anmelden will, irrt vor der Arena herum. Wir können ihm nicht helfen – aber Lucas Krzikalla, der gerade aus der Halle vom ersten Training der DHfK-Handballer nach der Winterpause kommt, hilft gern und telefoniert dem Mann den richtigen Ansprechpartner herbei. Danach führt er uns in die Umkleide des Bundesligisten, erzählt vom Erholungsurlaub in den Alpen, tiefenentspannt und freundlich.
kreuzer: Sie sind in Leipzig aufs Sportinternat gegangen?
Lukas Krzikalla: Genau. Ursprünglich komme ich aus Großenhain. Ich bin 2010 wegen des Sports nach Leipzig gekommen, habe hier mein Abitur gemacht und bin Sachse durch und durch, würde ich meinen. Aber ich probiere mich zu beherrschen, was das Sächseln angeht. Sobald ich mal so ein kleines Bier oder einen Wein getrunken habe, kommt das aber schnell wieder zum Vorschein. (lacht) Ab 2010 war ich erst in der Marschnerstraße im Sportinternat für ein Jahr und hab mir ein Zimmer geteilt mit einem guten Kumpel. Dann sind wir in die Kolonnadenstraße. Da gab’s damals ein Wohnheim – einen ganzen Block mit getrennten Männer- und Frauen-WGs. Für die Schulzeit war das super. Ich hatte jeden Tag zweimal Training, vor und nach der Schule – alles auf den Leistungssport ausgelegt, dass man da seine Ziele verfolgen konnte, vom Verein perfekt unterstützt.
Hatten Sie da mal das Gefühl, etwas zu verpassen?
Also, du machst auf jeden Fall Abstriche, du kannst nicht auf jeder Party tanzen. Man hat schnell gelernt, Prioritäten zu setzen. Ich hab mich um mein Essen und die Wäsche gekümmert, in der WG mit 15, 16. Da wird man vielleicht ein bisschen früher erwachsen.
Hat sich dann ja ausgezahlt.
Ja, genau. Ein bisschen Glück ist auch mit dabei gewesen, dass dann der Verein wirklich jemanden auf meiner Position gesucht hat und diese mit einem Spieler aus der Jugend besetzen wollte. So kam ich dann in der Saison 2012/13 in die erste Mannschaft.
Haben Sie als (Rechts-)Außen eigentlich einen besonderen Wurf oder so was?
Tatsächlich, dass ich immer meine Zunge draußen habe. Auf jedem Bild sieht man das! (lacht) Wenn ich werfe: Da ist die Zunge immer mit dabei, ich merke das gar nicht mehr. Was ich aber auch gerne mache, ist, im Wurf mal anzutäuschen und dann erst zu werfen.
Wie sind Sie eigentlich beim Handball gelandet?
Ich bin damals einen kleinen Umweg gegangen. Zuerst hab ich mich mal am Fußball ausprobiert, das war aber nix. Dann bin ich zum Handball gekommen, mein Papa und mein Onkel haben früher gespielt und mein Urgroßvater hat damals sogar noch im Feld Handball gespielt. Ich hatte ein paar Freunde, die schon im Handball oder bei Spielgruppen waren. Und ich fand das cool. Ich habe dann diese kleine Familientradition weiter fortgeführt. Mit fünf habe ich angefangen – nach 23 Jahren spiele ich immer noch begeistert Handball.
Was macht für Sie die Faszination des Sports aus?
Ich mag besonders, dass es ein sehr schneller Sport ist. Du kannst mit viel Leidenschaft und Ehrgeiz im Team zusammen Spiele gewinnen. Teamsport fand ich auch immer wichtig. Klar, es ist ein bisschen robuster, du musst ein bisschen zupacken. Mich hat der Handball gefesselt, weil er mit Energie geladen ist. Und du kannst deine ganze Liebe, die du für den Sport hast, auf dem Feld lassen. Dann noch ein Publikum mit knapp 3.500 Zuschauern in Leipzig, da kriegt man schon immer so eine kleine Gänsehaut, wenn man bei einem Heimspiel aufs Feld läuft.
Wie ist Ihr Ausblick auf die Rückrunde?
In der Hinrunde haben wir schon alles mitgenommen: schlechte Phasen, gute Phasen, Trainerwechsel, da ist viel passiert. Wir hoffen, mehr Konstanz reinzubekommen, wieder in die Spur zu kommen, damit da möglichst viele Siege drin sind in der Rückrunde. Und dann wird man sehen, wofür es am Ende reicht. Jetzt zu sagen, unser Ziel ist trotzdem noch Europa, wäre, glaube ich, ein bisschen blöd. Aber ein einstelliger Tabellenplatz ist schon wünschenswert.
Wie ist die Stimmung im Team?
Die ist gut. Auch nach dem letzten Spiel, das wir in Berlin verloren haben. Jetzt haben wir, die nicht bei der Nationalmannschaft sind, uns nach dem Urlaub zusammengesetzt und gequatscht. Geht natürlich dann auch um das Private, jetzt mal von Handball abgesehen. Wobei die WM ja jetzt losgeht, da wird dann schon viel drüber geredet. (lacht)
Zurück nach Leipzig. Wo sind Sie am liebsten?
Wenn ich rausgehe, gerne zum Kaffeetrinken im Waldstraßenviertel. Und ich mag das Backstein in der Grassistraße. Ansonsten gehe ich hier auch gern am Elsterbecken entlang. Das ist nicht so weit weg von der Arena und da scheint die Sonne lange drauf. Dort und im Rosental kann ich gut abschalten. Hat sich dann doch bewahrheitet, dass man sich viel in dem Kiez aufhält, in dem man wohnt, ums auf Berlinerisch zu sagen. (lacht)
Wie oft trainieren Sie in der Woche?
Am Anfang der Woche trainieren wir zweimal am Tag. Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag jeweils einmal. Dann ist das Spiel am Sonntag und zwischendurch gibt es auch mal Videositzungen, in denen wir uns auf den Gegner vorbereiten. Dazu kommen Physio-Termine und Individualtraining. Und studieren tu ich ja auch noch.
Sie studieren nebenher?
Ja, Sportmanagement. Das haben meine Eltern mir so eingetrichtert: Handball spielen ist schön, aber es hat irgendwann ein Ende und ausgesorgt hat man auch nach so einer Karriere noch nicht. Meist endet die aktive Spielerzeit mit 35 und dann hat man theoretisch noch 35 Arbeitsjahre vor sich. Darauf versuche ich mich jetzt schon bestmöglich vorzubereiten.
Bleibt da noch Freizeit?
Feiern gehe ich eher selten. Klar, wenn wir ein gutes Spiel gemacht und gewonnen haben, feiern wir auch mal zusammen. Es muss ja nicht immer bis drei Uhr nachts gehen. Das möchte ich auch nicht missen. Ich habe hier viele Freunde über die Zeit gewonnen, viele sind auch von Großenhain hierhergezogen. Da ist immer noch so ein kleines Band, das nie abgerissen ist. Mein Bruder ist ja auch hier.
Haben Sie keine Ambitionen, irgendwo anders hinzugehen?
Bis jetzt nicht. Ich habe noch einen Vertrag bis 2025. So lange bleibe ich auf jeden Fall hier. Dann werden wir mal sehen. Aber eigentlich war es schon mein Ziel, in einem Verein zu bleiben. In Leipzig habe ich auch einfach das komplette Paket: eine tolle Stadt, die sich stets verändert. Genauso ist es bei uns im Verein. Hier verändert sich auch viel. Mit den Zielen kann ich total mitgehen. Und da gibt es für mich eigentlich nicht so viel zu überlegen, ich mag die Beständigkeit.
Im Oktober erschien eine MDR-Doku, in der Sie das erste Mal öffentlich über Ihre Homosexualität sprachen. Was ist seitdem passiert?
Ich bin immer noch superhappy damit und es bewegt mich jedes Mal wieder, wenn ich die Doku schaue. Verändert hat sich nicht viel, denn alle wichtigen Personen wussten das ja schon lange. Auch für das Team war es nichts Neues, mein Freund war auch da schon etabliert.
Die Reaktionen im Internet und in Briefen waren fast nur positiv. Auch von vielen Kollegen aus anderen Vereinen und sogar aus dem Basketball und dem Volleyball habe ich bestärkende Rückmeldungen bekommen. Viele Menschen haben mir geschrieben, dass sie sich in einer ähnlichen Situation befinden und ihnen mein Beispiel Mut und Kraft gibt, diesen Schritt vielleicht auch bald zu gehen. So etwas zu lesen, bewegt mich schon sehr. Da weiß ich auch, dass es die absolut richtige Entscheidung war, diesen Schritt zu gehen. Jetzt denke ich nur manchmal: Hätte ich es nur schon eher gemacht! Auch beim Coming-out vor meinen Freunden und meiner Familie habe ich mir vorher viel mehr Gedanken gemacht als nötig. Man hat einfach wieder gesehen, dass die Leute doch viel toleranter sind, als man vielleicht denkt. Ich denke, ich habe einen kleinen Teil dazu beigetragen, diese alten Vorurteile aufzubrechen.
Sie sind der erste aktive männliche Mannschaftssportler in den oberen deutschen Ligen, der sich geoutet hat. Wenn man jetzt Ihren Namen googelt, geht es hauptsächlich um ihr Coming-out. War Ihnen diese Tragweite vorher bewusst?
Ich war mir nicht ganz sicher, was passieren wird. Ich konnte die Nächte vor der Doku nicht wirklich schlafen, weil ich mir so viele Gedanken gemacht und eher mit negativen Reaktionen gerechnet habe. Ich hatte an dem Wochenende mein Handy dann auch aus und habe nur bei meinem Freund immer mal über die Schulter geschielt und wir haben darüber gesprochen. Ich habe aber überhaupt nicht damit gerechnet, dass es medial so durch die Decke geht und so viele positive Kommentare kommen. Das hat mich sehr bestärkt. Ich glaube, dass es ein sehr wichtiger Schritt war, denn im aktiven Profisport ist es immer noch ein krasses Tabuthema. Das wollte ich einfach nicht mehr. Die Leute sollten sehen, dass sich dadurch überhaupt nichts verändert, weder im Sportlichen noch im Privaten. Und deshalb hat es mich auch so gefreut, dass der Verein und das Team so hinter mir standen und mich unterstützt haben.
Wie feiern Sie denn morgen Ihren Geburtstag? (Das Interview fand am 13. Januar statt, Anm. d. Red.)
Das ist jedes Jahr wieder eine neue Tortur. Ich weiß nie, ob ich Training habe – und wenn ja, wann. Deshalb wird jetzt nicht riesengroß, sondern eher entspannt und spontan gefeiert. Ich schaue das Spiel von meinem Bruder, der spielt auch bei uns im Verein in der dritten Mannschaft. Die große Feier mit Familie und Freunden, die kommt dann ein bisschen später.
DHfK-Geschäftsführer Karsten Günther sagt, Sie seien einer der härtesten Jungs auf der Platte und im Kraftraum. Was drücken Sie denn auf der Bank?
Bei einer Wiederholung maximal drücke ich 115 Kilo. Ich mache Krafttraining schon gerne, gehe aber auch gerne Laufen – auch privat, denn da bekomme ich den Kopf am besten frei.
Stimmt es, dass Sie ein sehr ehrgeiziger Wizzard-Spieler (ein Kartenspiel, Anm. d. Red.) sind?
Oh ja.
Können Sie gut verlieren?
Mittlerweile geht es ein bisschen besser. Früher konnte ich gar nicht verlieren, gerade wenn ich mit meinem Bruder gespielt habe. Ich glaube, unsere Eltern hatten manchmal gar keine Lust mehr, mit uns zu spielen, weil sie genau wussten, dass es dann wieder abgeht. Inzwischen kann ich das besser aushalten, obwohl mich mein Bruder und mein Freund gerne noch tagelang provozieren, wenn sie gegen mich gewonnen haben. Aber genauso mache ich es dann auch, wenn ich mal gewinne. Das ist ein Geben und Nehmen.
Und wie ist es mit dem Verlieren beim Handball?
Ähnlich. Es dauert dann manchmal eine Weile, gerade wenn man am Abend spielt, ist das Adrenalin noch so im Körper und ich brauche ein bisschen Zeit, um runterzukommen. Aber ich kann auch nach einer Niederlage gut schlafen. Vielleicht gucke ich mir dann auch noch mal das entsprechende Spiel an. Aber dann musst du es auch abhaken können, oft ist ja Donnerstag ein Spiel und gleich am Sonntag das nächste.
Können Sie sich gut an konkrete Situationen im Spiel erinnern?
Wenn wir gestern ein Spiel gehabt hätten, dann wüsste ich schon noch alles genau. Die Erinnerung verblasst natürlich mit jedem nächsten Spiel. Aber es gibt Situationen, an die erinnerst du dich auch nach Jahren noch genau. Bei mir ist das zum Beispiel das erste Bundesligaspiel, nachdem wir aufgestiegen sind in die erste Liga. Erstes Spiel gegen den HSV, da weiß ich noch genau, wo ich hingeworfen und wann ich getroffen habe.
Abschlussfrage: Wenn nicht auf der Platte, dann…
...treffe ich mich mit Freunden und gehe gerne Kaffeetrinken. Und ich bin gerne in den Bergen unterwegs. Mein Freund wohnt in München und da ist man ja schnell in den Alpen. Da fühle ich mich schon sehr wohl an der frischen Luft und bei diesem schönen Bergpanorama. Das würde ich vielleicht an oberste Stelle stellen: Wenn nicht auf der Platte, dann in den Bergen.
> Handball-Bundesliga der Männer – erstes Heimspiel der Rückrunde: DHfK Leipzig gegen SC Magdeburg: 26.2., 16.05 Uhr, Arena
Titelfoto: Christiane Gundlach.