»Die ganz ursprüngliche These war: Vielfalt ist nichts, was man erzwingt«, sagt Tom Fröhlich über die Grundidee seines Films »Das perfekte Schwarz«. »Wir haben dann darüber nachgedacht, wo man die geringste Vielfalt erwarten würde, und kamen auf Schwarz, weil das ja die Abwesenheit von allem, also auch Licht oder Farbe, ist.«
Mit welcher Vielfalt Schwarz in all seinen Dimensionen wider Erwarten dann doch aufwartet, lässt schon die Auswahl der Protagonistinnen und Protagonisten des Films erahnen: Astrophysiker Eike Günther erklärt beispielsweise, dass das vollkommene Schwarz zwar theoretisch zu beschreiben ist, im Universum aber eigentlich nicht existiert; die Professorin Antje Boetius ist Meeresbiologin und erforscht die lichtfreie Tiefsee, deren Artenvielfalt Aufschluss über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Meere gibt; die Synästhetikerin und Orchestermusikerin Katja Krüger kann Schwarz hören und der Kunstdrucker Dieter Kirchner möchte das tiefe Schwarz einer Pfeilspitze aus Obsidian treffend auf Papier wiedergeben.
Dann sind da noch Gerd Wiesbeck, ein Blackwork-Tattoo-Künstler, der Schwarz als etwas Finales, Unumkehrbares versteht, und die Künstlerin und Trauerbegleiterin Dorothea Stockmar, für die Schwarz eher ein lose gewobener Vorhang zu sein scheint. Wäre Schwarz eine Skala, dann stünden sie sich an den jeweiligen Enden gegenüber. »Der Kontakt zu Gerd Wiesbeck entstand über Marek Bäuerlein, der die Grafik für unseren letzten Film ›Ink of Yam‹ gemacht hat. Wiesbeck wollte uns lange nicht in seinem Studio drehen lassen. Schlussendlich konnten wir ihn aber von unserem Film und der Idee dahinter überzeugen«, so Fröhlich.
Im Film erläutert Wiesbeck feinsinnig, warum er sein Studio als einen geschützten Ort versteht und warum Blackwork eine ganz besondere Stilrichtung des Tätowierens darstellt. Zum einen sei es besonders schmerzhaft und langwierig, eine große Fläche der Haut schwarz einzufärben, weswegen ein solches Tattoo wenig mit Modeerscheinungen zu tun hat und oft eine bedeutende persönliche Entscheidung darstellt. Weiter erklärt der Künstler: »Schwarz ist die letzte Farbe, die wir verwenden können, zum Überstechen. Man kann es dann nicht mehr auslöschen. Das ist der Endpunkt.«
Dorothea Stockmars Schwarz scheint durchlässiger zu sein. Die Trauerbegleiterin, die ursprünglich wegen ihrer eigenen Nahtoderfahrung als Protagonistin angefragt wurde, spricht im Film über das Leben nach dem Tod ihres Sohnes. Darüber, wie ihr Mann lange nur noch in Cis-Moll auf dem Klavier spielte. »Während der Dreharbeiten stupste sie dann ihren Ehemann an, forderte ihn auf: ›Spiel doch mal Cis-Moll, Axel!‹«, erinnert sich Fröhlich. Und Axel fing an zu spielen. »Da wusste ich nicht, wohin mit mir, weil es so ein schwerer Moment war und man dieser tiefen Trauer auch nicht entkam«, so der Regisseur.
»Nach und nach kamen dann aber immer wieder frohe, helle Noten in das Cis-Moll«, sagt Stockmar im Film rückblickend. Ihr eigener Trauerprozess ist zum Zeitpunkt der Dreharbeiten schon weit fortgeschritten. Vielleicht war es deshalb möglich, dass das Filmteam ein paar Stunden nach diesem Moment immenser Trauer lachend mit dem Paar Wein unterm Apfelbaum im Garten trank.
»Das perfekte Schwarz« ist Tom Fröhlichs zweiter Film. »Ink of Yam«, mit dem er sein Filmstudium in Darmstadt abschloss, erzählt die Geschichte eines Tattoo-Studios in Jerusalem und damit viele kleine Geschichten der Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt. Es geht um die interessanten Begegnungen, die sich an diesem friedlichen und offenen Ort, inmitten von Bombeneinschlägen und Konflikten, ergeben. »Ink of Yam« gewann 2017 den hessischen Filmpreis als bester Hochschulfilm. Vielleicht, weil Fröhlich so viele Aspekte des Filmemachens beherrscht – vor seinem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Mediengestalter für Bild und Ton beim MDR in Leipzig. Ursprünglich stammt Fröhlich aus Rostock. Sein neuestes Projekt ist dementsprechend so etwas wie ein Heimatfilm, denn darin geht es um das Fischkombinat in der Hafenstadt, das einmal ein volkseigener Betrieb war, und darum, wie die Wende das Leben der dort Arbeitenden weitreichend veränderte.
Im Februar kommt aber nun erst einmal »Das perfekte Schwarz« nach etlichen pandemiebedingten Verzögerungen in die Kinos. Diesen Film auf der großen Leinwand zu sehen, lohnt, weil er sowohl visuell als auch emotional und intellektuell demonstriert, dass es kein homogenes, aber eben ein individuelles, perfektes Schwarz gibt.
> »Das perfekte Schwarz«: 12.2., 19.30 Uhr Premiere in Anwesenheit des Teams, weitere Vorstellungen 14.–16.2., Cinémathèque in der Nato, www.tomfroehlich.net
Titelfoto: Neue Celluloid Fabrik