Wenige Gegenstände sind so ergonomisch geformt, ergänzen die menschliche Hand so perfekt wie moderne Gamepads. Die Flanken des Plastikgeräts schmiegen sich in die Handflächen, die Daumen finden instinktiv Joystick und Face-Buttons, die Zeigefinger liegen wie von selbst auf den Schultertasten. Die aktuellen Controller von Xbox und Playstation docken so an Hände an, dass diese nie wieder loslassen wollen.
Das ist normal, oder? Das glauben nicht nur viele Spielefans, das finden viele sogar wichtig. Der Controller bleibt in der Hand. Über jedes Detail wird diskutiert, über die Lage jedes Knopfes leidenschaftlich gestritten.
Große Hände, echte Gamer
Natürlich ist wichtig, wie der Controller aussieht und wie er sich anfühlt. Gestaltet wurde er dabei offensichtlich im Sinne der Konsolen-Ultras. Er hat viele Knöpfe – je nach Modell und Zählweise etwa 18. Er ist für große Hände gemacht. Allerdings spielen nicht nur große Männer, es spielen Frauen und Kinder, es spielen Menschen mit verschiedenen körperlichen Behinderungen, sogar kleine Männer spielen. Erst vor wenigen Jahren hat Microsoft einen modularen, barrierefreien Controller eingeführt; Sony entwickelt mit Projekt Leonardo immerhin eine eigene Version, ist aber noch nicht fertig.
Wie steil die Lernkurve eines Gamepads ist, nehmen viele Gamer gar nicht mehr wahr. Spielfigur und Kamera steuern, springen, ducken, schleichen, auf verschiedene Arten attackieren, alles wird nach relativ festen Konventionen auf dem Controller verteilt. Wer Probleme bei der Fingerakrobatik zugibt, dem schallt von einem Teil der Szene ein abfälliges »git gud« entgegen – Werd gefälligst besser. Nur langsam setzt sich die Haltung durch, dass Spiele möglichst fein einstellbar sein müssten, um für verschiedene Menschen mit verschiedenen Voraussetzungen zu passen.
Mit dem ausentwickelten Gamepad in der Hand kann es so wirken, als müsste sich auch der Spieleinhalt an ein festes Schema halten. Ständig gibt es Shooter, oder halt irgendwas mit offenen Spielwelten, in denen Helden herumlaufen, lineare Missionen absolvieren, unterwegs allerlei Ausrüstung und Materialen einsammeln. Ist das Spiel zu einfach, wirkt der Controller schnell so übertrieben wie ein Cockpit fürs Fahrrad.
Spielen mit offener Hand
Gegenakzente zum Gaming-Aktionismus gibt es schon lange. 2009 hat Game-Designer und Literaturprof Ian Bogost »Guru Meditation« veröffentlicht, das nicht nur ein Meta-Witz über eine alte Fehlermeldung auf Amiga-Computern ist, sondern auch ein echtes, funktionierendes Spiel, bei dem es darum geht, möglichst regungslos auf einer Matte sitzen zu bleiben.
Nur etwas weniger absurd fühlt sich »The Longing« von 2020 an. Entwickler Anselm Pyta lässt darin ein schattenhaftes Männlein 400 Tage lang warten und wachen, bis ein König erwacht. Der Countdown läuft in Echtzeit ab. Der Witz hinter der entschleunigten Spieleerfahrung offenbart sich langsam, aber das Spiel hat ja Zeit.
Einfach nur schauen, herumlaufen und nichts tun ist in Spielen bald so erfolgreich wie in der Wirklichkeit. Es klappt auch sehr gut in Spielen, die eigentlich viel komplexer sind. Der moderne Klassiker »Red Dead Redemption 2« (siehe S. 39) verheiratet einen sehr umständlichen Western mit sehr unmittelbaren Naturerlebnissen, die auch dann wirken, wenn niemand schießt. Das fünf Jahre alte Spiel ist heute erfolgreicher denn je, wird auf dem PC von Zigtausenden Menschen gespielt.
Heutzutage haben sich ganze Szenen um einfache, einladende Spielideen gebildet. Aus den Erfahrungen mit sogenannten »Wholesome Games«, mit »Walking Sims« und mit Handyspielen wachsen neue Erfolgsideen. Ein Überraschungshit war 2022 das Spiel »Vampire Survivors«. Die Optik des Spiels ist krude, die Musik monoton, die Idee simpel: Gespielt wird mit einem Joystick. Von allen Seiten stürmen Monster heran. Die Figur kämpft automatisch, kann aber per Joystick ausweichen. In einer halben Stunde Spielzeit eskaliert das Ausweichen und Hochleveln der Spielfigur, bis sie absurd stark wird, bis sie sich eher wie eine Gottheit anfühlt. Dann kommt der Moment der Wahrheit: den Joystick loslassen, nicht mehr ausweichen und trotzdem alle Monster besiegen.
Wer sich nicht unbedingt unbesiegbar fühlen muss, aber gerne mal einen Joy-stick loslassen würde, spielt stattdessen den heimlichen Hit des letzten Jahres. Im »Placid Plastic Duck Simulator« treiben Gummientchen in einem Swimmingpool umher. Wir dürfen ihnen dabei zuschauen.
Wer klickt, hört ein abwiegelndes Quaken. Das ist okay. Wir dürfen loslassen.
■ The Longing; Entwickler: Studio Seufz, Publisher: Application-Systems Heidelberg, Plattform: PC, Preis: 15 €
■ Vampire Survivors; Entwickler + Publisher: Poncle, Plattform: PC, Handy, Xbox, Preis: 5 €
■ Placid Plastic Duck Simulator; Entwickler + Publisher: Turbolento Games, Plattform: PC, Preis: 2 €