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Stadtleben

Ausbildung mit Hörbehinderung

Das Berufsbildungswerk Leipzig möchte Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen

  Ausbildung mit Hörbehinderung | Das Berufsbildungswerk Leipzig möchte Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen

An der Endhaltestelle Knautkleeberg hört man nur die Schritte der aussteigenden Gäste. Nach zehn Minuten Fußweg findet man ein Areal mit mehreren Gebäudeelementen: das Berufsbildungswerk Leipzig (BBW), eine diakonische Einrichtung, die jungen Menschen mit Hör-, Sprach- oder Kommunikationsbeeinträchtigung eine Ausbildung in verschiedenen Berufen bietet. Insgesamt gibt es elf Fachbereiche, in denen man eine Ausbildung beginnen kann, zum Beispiel als Tischlerin, Büromanager oder Köchin.

Amir Kohzad hat eine Hörbehinderung und macht hier seit Oktober 2022 eine Ausbildung zum Fachpraktiker für Zerspanungsmechanik. Kohzad betritt den Raum mit einem freundlichen Lächeln und einer zum Wink erhobenen Hand. Ermöglicht wird unser Interview von zwei Dolmetscherinnen für Gebärdensprache. Im Raum hört man bald nur noch das Aneinanderreiben von Händen, die die Worte des Auszubildenden formen.

Amir Kohzad ist im Iran taub zur Welt gekommen. Schon in seiner Kindheit träumt er davon, später Autos zu bauen. Vor wenigen Jahren flüchtet er nach Deutschland, hier möchte er Arbeit finden. Dafür lernt Kohzad die Deutsche Gebärdensprache und absolviert den Kurs bis  zum Level B2, erzählt er stolz. An der Sprachschule habe ihn ein Lehrer auf das BBW aufmerksam gemacht, da es spezialisiert ist auf Hörbehinderung und Gebärdensprache. In der Folge kommt Amir Kohzad in Kontakt mit Jaqueline Löbe, der Integrationsberaterin im Kompetenzzentrum für Vermittlung und Integration des BBW. Der erste Schritt auf dem Weg zur Ausbildungsstelle ist ein Informationsgespräch. Löbe habe viele Fragen gestellt, erzählt Kohzad. Wo es hingehen solle oder wo er beruflich herkomme. Weil er Erfahrungen in der Automobilbranche hat, schlägt Löbe ihm eine Ausbildung in der Metalltechnik vor.

Es gibt bestimmte Voraussetzungen für einen Ausbildungsplatz am Berufsbildungswerk. Christine Heuer, Pressesprecherin der BBW-Leipzig-Gruppe, erklärt im Gespräch mit dem kreuzer, dass zunächst die Kostenübernahme – durch zum Beispiel die Agentur für Arbeit – genehmigt werden müsse. Danach könnten Bewerber und Bewerberinnen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Zugelassen würden nur Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und Personen mit besonderem Förderbedarf beim Hören, in der Sprache und Kommunikation. Die Ausbildungsinhalte, die Dauer der Ausbildung und die Prüfungsinhalte im Berufsbildungswerk unterscheiden sich nicht von denen einer Ausbildung in einem Unternehmen oder Betrieb. Nur die Bedingungen und die Förderangebote sind besonders. Diese werden außerdem an die jeweiligen Behinderungen der Auszubildenden angepasst. Insbesondere zu Beginn werden die Auszubildenden von sogenannten Case-Managern begleitet und unterstützt: »Sie koordinieren und überprüfen alle Maßnahmen der Förderung, leiten Lösungsschritte bei Problemen ein und haben die Erreichung der beruflichen Ziele immer fest im Blick«, sagt Christine Heuer. Diese Case-Manager sind für die Auszubildenden auch bis zum Abschluss feste Bezugspersonen. Zusätzlich werden sie von Psychologinnen, Sozialpädagoginnen, Stütz- und Förderlehrern und Logopädinnen unterstützt.

Weitere Unterstützung für Gebärdensprach-Nutzende bieten im Berufsbildungswerk die kleinen, im Schnitt achtköpfigen Ausbildungsgruppen, in denen man auf den individuellen Bedarf der Auszubildenden achten könne, so Heuer. Amir Kohzads Gruppe besteht aus vier Personen. Seine Ausbildung wird drei Jahre und sechs Monate dauern, immer eine Woche Theorie und zwei Wochen Praxis im Wechsel. An der Berufsschule gibt es Dolmetscher für Gebärdensprache. Als Zerspanungsmechaniker müsse man vor allem viel Mathe lernen. Dafür brauche man viel Übung, meint Kohzad. Er arbeite viel mit technischen Zeichnungen und Messwerten. Nicht alle Ausbilder könnten Gebärdensprache, weswegen häufig die anderen Auszubildenden aushelfen würden für Kohzad, der der einzige Taube in seiner Gruppe ist: »Über die schriftliche Kommunikation geht das meistens ganz gut, dann verstehe ich es besser.« In allen Ausbildungsgruppen des BBW gebe es mehrere Kommunikationsformen, zum Beispiel Lautsprache, lautsprachbegleitende Gebärde und Deutsche Gebärdensprache, zählt Christine Heuer auf. Dies stelle nicht nur die Ausbildenden, sondern auch die Auszubildenden vor Herausforderungen. Daher werde viel mit einfacher Sprache und visueller Kommunikation gearbeitet, so Heuer. Der Alltag während der Ausbildung sei gefüllt mit viel Lernen und Nachlesen. »Ich musste erst mal die ganzen Fachbegriffe zusammensuchen. Vom Metallbereich hatte ich davor keine Ahnung«, so Kohzad. Im Iran habe er ohne Lehre angefangen, in einer Autowerkstatt zu arbeiten, danach übernahm er Aufgaben in der Buchhaltung.

Zum Schluss zeigt uns Kohzad noch den Ausbildungsraum mit den Werkzeugmaschinen. Zum Rundgang im BBW erscheint auch sein Ausbilder Thomas Thierfelder. Die Frage nach speziellen Sicherheitsvorkehrungen für taube Menschen in der Werkstatt verneint er: »Die Werkstatt unterscheidet sich da nicht von anderen. Es gibt dieselben Notfallknöpfe und Vorkehrungen wie in jeder anderen Werkstatt auch.« Diese sorgten dafür, dass eine Maschine sofort stoppt, falls sich ein Kleidungsstück verfängt. Oder ein Finger. Amir Kohzad zeigt auf die Sirene mit dazugehörigem Alarmlicht, die beide in Notfällen angehen. Das optische Alarmsignal warnt auch die schwerhörigen und tauben Menschen.

Auf die Zukunft blickt Amir Kohzad hoffnungsvoll: »Mein Traum wäre es, später bei BMW zu arbeiten.« Am liebsten in der Montage, da er in diesem Bereich auch schon im Iran Erfahrungen sammeln konnte. Auch auf die Zeit nach der Lehre werden die Auszubildenden vorbereitet. Im letzten Halbjahr der Ausbildung gibt es Unterstützung bei den Bewerbungsschreiben und in der Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche. Ziel sei es, die Auszubildenden auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Dabei solle auch eine sechsmonatige Nachbetreuung durch die Integrationsberaterinnen helfen, sagt Christine Heuer. Wie es für Amir Kohzad nach der Ausbildung weitergeht, ist noch offen – er hat sie gerade erst begonnen. Bei BMW gebe es einen Automobildesigner aus dem Iran. Das habe er im Internet herausgefunden: »Es wäre schön, diese Person kennenzulernen und sich mal über den Iran zu unterhalten. Wer weiß, vielleicht treffe ich ihn mal, wenn ich dann bei BMW bin.«


Titelfoto: BBW-Leipzig


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1 Kommentar(e)

Pouyan 19.06.2023 | um 10:36 Uhr

Sehr gut