Der Widerstand gegen die stille Entmietung in der Koch- und August-Bebel-Straße wird lauter: Die verbliebenen Mieterinnen und Mieter solidarisieren und vernetzen sich, auch der Stadtrat beschäftigt sich mit dem Thema – die LWB gerät unter Zugzwang.
Als wir uns zum Hintergrundgespräch treffen, kommt Robin von der Vernetzung Süd mit zahlreichen Aktenordnern unter den Armen. Während er sie auf dem großen Tisch ausbreitet, beginnt er zu erzählen: »Seit 2016 organisieren sich Mieterinnen und Mieter der LWB. Wir von der Vernetzung Süd unterstützen ihre Anliegen seitdem.« Die Vernetzung Süd ist eine Stadtteilinitiative, die laut Website »die Themen Stadtteilentwicklung, steigende Mieten und Verdrängung möglichst breit und öffentlich anzugehen« versucht.
Ziel sei es, dass Betroffene sich besser vernetzen können, und sie bei ihren Anliegen zu unterstützen. Nach LWB-Aussagen zu Modernisierungsvorhaben im Leipziger Süden in der LVZ haben sich 2016 erstmals Mieterinnen und Mieter bei der Vernetzung gemeldet. Damals hieß es, in elf Objekten in der Südvorstadt und Connewitz würden bis 2022 insgesamt 340 Wohnungen modernisiert. Realisiert wurde dies bis heute in knapp 200 dieser Wohnungen. Großteils zogen die Bewohnerinnen und Bewohner dieser nun modernisierten Wohnungen aus. Viele mussten den Stadtteil verlassen. Die verbliebenen Mieterinnen und Mieter der drei Blöcke Kochstraße 13–15 und 59–63 sowie August-Bebel-Straße 81–83 möchten in der Südvorstadt bleiben und fordern Mitsprache bei der Sanierung. Der kürzlich eingereichte Stadtratsantrag »Südvorstadt für alle« erhöht ihre Chancen, weil das Thema damit an die Öffentlichkeit und zu mehr politischen Entscheiderinnen und Entscheidern gelangt.
Stadtbezirksbeirat Süd bringt das Thema in den Stadtrat
Protestkundgebungen und ein Hoffest haben im Sommer 2021 die Anliegen und die nachbarschaftliche Verbundenheit der Bewohner:innen in der Kochstraße öffentlich werden lassen«, berichtet Robin. Es folgte auch ein Gespräch mit Mieterinnen und Mietern sowie der Vernetzung Süd in der LWB-Zentrale – ein Novum, nachdem die LWB zuvor ausschließlich mit einzelnen Mieterinnen und Mietern verhandelte und diese häufig zu Umzug in andere Stadtteile bewog. Für die drei Blöcke hat der Stadtbezirksbeirat Süd nun im vergangenen Jahr den Stadtratsantrag »Südvorstadt für alle« eingebracht, basierend auf Vorschlägen von Vernetzung Süd und engagierten Bewohnerinnen und Bewohnern. Im Antrag geht es darum, die Wohnungen in den Blöcken auch nach der Sanierung für Menschen mit geringem Einkommen anzubieten und die Gebäude klimagerecht zu sanieren. Außerdem sollen partizipative Mietkonzepte ermöglicht werden.
Vorerst hat der Stadtratsantrag »Südvorstadt für alle« die Ausschreibung der LWB zu den drei Objekten für eine Standard-Sanierung der Blöcke gestoppt. Ein politischer Teilerfolg für die verbliebenen Mieterinnen und Mieter. »Unser Ziel ist es keinesfalls, die dringend notwendige Sanierung zu verhindern«, erklärt Ella*, eine Bewohnerin. »Wir möchten unsere Rechte schützen, vor allem aber auch mitreden, und wünschen uns, auch künftig in der Südvorstadt wohnen zu können, auch als Menschen mit kleinem Einkommen.«
Zurück an den Tisch zu Robin. Wir sprechen über die Geschichte der Organisierung von LWB-Mieterinnen und -Mietern seit 2016 bis zum besagten Stadtratsantrag. Zu jeder Frage, die wir haben, hat er den passenden Ordner und das passende Dokument. Es gab rund um das Thema in den letzten Jahren Stadtratsanfragen, Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, Demonstrationen, Nachbarschaftsfeste, Hintergrundgespräche mit der LWB, dem Baubürgermeister und Professoren der HTWK. »Der Antrag kann bewirken, dass die LWB einen sozialeren und ökologisch nachhaltigeren Weg der Modernisierung einschlägt als bislang von ihr geplant. Dafür ist es wichtig, dass das Thema und die Idee des Antrags noch bekannter werden«, ist sich Robin sicher.
Der Stadtratsantrag
Die Vorverfahren zum Antrag sind inzwischen abgeschlossen. Was fehlt, ist der Verwaltungsstandpunkt, also die Position der Stadtverwaltung. »Dabei sind vor allem Förderkulissen und der Status des Projekts als Pilotversuch wichtig«, erklärt Ella. Wenn dieser vorliege, könne der Antrag zur Abstimmung in den Stadtrat.
»Bestandsmieter:innen brauchen Mitspracherecht bei der Sanierung – auf Augenhöhe«, ist Ella überzeugt. »Viele kennen aber ihre Rechte nicht und haben Angst, ihr Umfeld und die bezahlbare Wohnung am vertrauten Ort zu verlieren. Ich habe am Antrag mitgewirkt, um dieses Ziel zu unterstützen. Tatsächlich geht der Antrag aber darüber hinaus, indem auch das baukulturliche Erbe der Blöcke geschützt und eine im Einklang damit stehende klimagerechte Sanierung realisiert werden soll.«
Der Antrag ist im Ratsinformationssystem der Stadt Leipzig öffentlich einsehbar. Darin steht, er sei »Chance für die Stadt Leipzig, mit ihrer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft ein Zeichen zu setzen und eine Vorreiterrolle für andere europäische Städte einzunehmen«, und eine Chance, »dem Klimastadtvertrag auf Wohnungsbauebene zu entsprechen«.
Konkret soll für die 105 Wohnungen in den drei Blöcken ein Modell erarbeitet werden: Einerseits soll eine »ressourcenschonende, nachhaltige, kostensparende und klimaangepasste Sanierung« erfolgen, andererseits sollen die Neuvermietungen langfristig mindestens auf dem Niveau des sozialen Wohnungsbaus liegen, also bei einer Kaltmiete von maximal 6,50 Euro je Quadratmeter.
Damit würde sowohl der Leitlinie »Preisgünstige Wohnungen vor allem im Bestand erhalten und schaffen« des wohnungspolitischen Konzepts der Stadt Leipzig als auch dem Klimastadtvertrag Rechnung getragen werden, der Leipzig im Rahmen des 112 Städte umfassenden EU-Projekts Net-Zero-Cities bis 2030 klimaneutral machen soll.
»Einbauschränke, Türen, Böden, Treppen – das muss nicht einfach rausgerissen und ersetzt werden«, findet Ella. Einerseits gehe es dabei um die sogenannte graue Energie, andererseits um das baukulturliche Erbe der Blöcke, die mittlerweile unter Denkmalschutz stehen. Im Zuge der Recherchen für die Vorlage des Antrags »Südvorstadt für alle« sei man auf Aussagen von Stadtplanerinnen der Universität Cottbus und auf entsprechende Ausschreibungen des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gestoßen, die Forschungs- und Erfahrungslücken bei der Sanierung von Bauten aus den 1950er und 1960er Jahren dokumentieren. Auch hier knüpft der Antrag mit der Idee eines Modellprojektes an. Dieses soll wissenschaftlich begleitet und gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Partnern wie dem Netzwerk Leipziger Freiheit umgesetzt werden, das sich um die Stärkung kooperativer Wohnformen bemüht.
* Name geändert.