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Stadtleben

Die Vergebung, sie zieht aus

Die Kultkneipe in Connewitz muss raus

  Die Vergebung, sie zieht aus | Die Kultkneipe in Connewitz muss raus

Mit seiner »Vergebung« stellte Andreas Strobel über zehn Jahre eine Institution der Connewitzer Kneipenszene. Im vergangenen Jahre wurde ihm gekündigt, nun ist die Vergebung ausgezogen. Über einen Ort, der vieles war.

Für unser Gespräch sitzen wir an einem der großen Tische der Bar. Kam man abends und waren diese schon belegt, setzte man sich einfach dazu: ganz auf die Gefahr, neue Menschen kennenzulernen.  Doch will man über die Kneipe (und ihre Tische) sprechen, die Bedeutung dieses Ortes, so muss man auch über ihn sprechen: Andreas Strobel, 68 Jahre alt, geboren im Harz in Westdeutschland. Er sei ein Unterschichten-Wessi, meint Strobel, auf diese Betitelung legt er wert. »Ich bin gekommen und habe es zu nichts gebracht«. Stimmen mag das nur finanziell. Über zehn Jahren führte er, ganz ohne Work-Life-Balance, die »Vergebung«: Einen Ort, wie aus einem Ölgemälde, ein Kiez-Wohnzimmer ohne Couch. Dabei sei die Gastronomie nicht sein Traum aller Träume gewesen, meint Strobel. Er sei durch Freunde dazugekommen und weil es in seinem eigentlichen Beruf um das Jahr 2000 nicht weiterging. Da war der gelernte Straßensozialarbeiter schon seit acht Jahren in Leipzig: Nach der Arbeit mit Drogensüchtigen in Frankfurt, mit straffälligen Jugendlichen im Westerwald, mit Punks in Berlin, arbeitete er zuletzt mit rechten Jugendlichen in Grünau. Warum er nach Leipzig gezogen ist? »Alles rannte zu den Bananen, da hab ich gesagt, ich nehm die andere Richtung«. Strobel kannte die Stadt schon vor der Wende, hatte hier bereits Freunde.

Nachdem er nach 2000 keinen Job mehr im sozialen Bereich fand, kam er über das Café Abwärts im Lofft-Theater, damals noch am Lindenauer Markt, zur Gastronomie. Es folgten unterschiedliche Stationen, ein Zelt-Café auf dem Jahrtausendfeld, die Gaststätte Waldfrieden in Connewitz. Nach fünf Jahren trennen sich dort die Wege. Strobel will etwas Neues aufmachen, sucht einen Ort und findet ihn rein zufällig auf der anderen Straßenseite. Weil ihm nach der Trennung vom Waldfrieden »viel Böses« nachgesagt wurde, ergab sich auch die Idee für den neuen Namen: »Gasthaus Barabbas«, in Anlehnung an den Schwerverbrecher aus der Bibel. »Wenn alle sagen ich bin böse, dann mach ich auch eine böse Kneipe auf«, erklärt Strobel. Aus einem Bierdeckel-Aufdruck, »Die Vergebung, täglich ab 16 Uhr hinterm Kreuz im Gasthaus Barabbas«, machten die Leute schließlich den jetzt bewährten Namen.

Wirklich böse war die Kneipe dann nie. Klar, das Ambiente war da: Die vielen Kerzen, die Ölgemälde und Urnen, die Marienstatuen, auch auf dem Klo. Doch war die Kneipe für Strobel ein Projekt, in dem alle willkommen waren. So war das Publikum nur schwer einzuordnen:  Es kamen die alten und die jungen Connewitzer, Menschen von außerhalb und Besucherinnen der Buchmesse. Von manchen Gästen bekam Strobel ganze Lebensabschnitte mit: Er sah, wie sie herzogen nach Leipzig, wie sie Studienkollegen trafen, wie sie bei ihm saßen, um dann wieder zu gehen. Er bekomme nicht zusammen, wie viele Stammtische es gegeben habe, die sich nach Studiums-Ende wieder aufgelöst hätten, erzählt Strobel.

Seine Gäste versorgte Strobel mit Käseplatten und Suppe, mit Bier und Wein, der nur in Flaschen kam. War die Flasche zum Ende nicht leer, habe er geguckt, wie viel raus ist, und dann einen Preis gesagt. Ein »Mann der Wirtschaftlichkeit« sei er nicht, meint Strobel. Kleingeld am Tisch habe er nicht nachgezählt, die Leute sollten bewusst das Gefühl bekommen, dass das in Ordnung sei.

Die Leute dankten es ihm: Die Krisen einer jeden Bar, die Pandemie, die Inflation, eine Baustelle vor der Tür stand man gemeinsam durch. Mit verschiedenen Aktionen, mit Bieranleihen und einer Biercard25 (Bahnfans verstehen die Anspielung), sammelte der Kiez in schwierigen Zeiten Geld für Strobels Kneipe. Im Dezember 2021 folgte dann eine Krise, die sich als unüberwindbar herausstellen sollte: Ein Heizstrahler von Strobel entzündete die Räume im Hinterhaus der Kneipe, von einem Defekt geht der Wirt aus. Dort hätten sich eine Werkstatt und Bibliothek, ein Lager und Büro befunden, sagt Strobel. Und der Brand, der die Kneipenräume nie selbst erreichte, erwischt diese am Ende doch.

Dabei schien die Geschichte für Strobel erledigt: In gemeinsamen Arbeitseinsätzen halfen Freunde der Bar, die vielen Flaschen von Ruß zu befreien. Eine Geldstrafe habe er bekommen, die Versicherung habe den Schaden bezahlt, erzählt Strobel. Dann sei ohne Vorwarnung, zehneinhalb Monate nach dem Brand, die Kündigung vom Vermieter gekommen, der, laut Strobel, erst kurz vor dem Brand die Immobilie übernahm. Der Vermieter wartet mit seiner eigenen Erzählung auf: Strobel habe die Remise im Hinterhaus unerlaubterweise bewohnt, erklärt die Becker & Kries Holding GmbH & Co. KG aus Berlin auf Anfrage. Diese verwaltet für die Deuter Invest GmbH & Co. KG aus Augsburg deren Leipziger Immobilien. Weil eine Heizung in den Räumen der Remise fehle, habe Strobel sich widerrechtlich einen Heizstrahler eingebaut. Glücklicherweise habe sich der Brand nicht auf die anschließende Bebauung ausgeweitet. Strobels »andere Menschen gefährdende und wiederrechtliche Verhalten« habe dann zur Kündigung geführt. Warum mit der Kündigung so lange gewartet wurde, warum sie nicht angekündigt wurde, das beantwortet der Vermieter nicht. Von dem Vorwurf, dass er in den Räumen gewohnt habe, wie es von den Vermietern und manchen Medien rezipiert wird, zeigt sich Strobel genervt. Sein Zimmer und seine Meldeadresse habe er in der Südvorstadt.

Wie es nun weitergeht mit der Vergebung, das bleibt offen. »Ich dachte in diesem Leben ist es mein letztes Projekt«, erzählt Strobel.  Wenn es irgendwo eine freie Fläche in Connewitz gäbe, ein Haus, ein Hinterhaus, ein Zirkuszelt, würde er sofort weitermachen, meint Strobel. Erschwert wird die Suche durch die hohen Mieten. Die Einrichtung lagert er erstmal in einer Halle in Grimma ein. Den Tisch und die Stühle, an denen wir sitzen, übernehme vielleicht eine Gruppe an Alt-Connewitzern. Jeden Montag hätten sie sich hier getroffen, erzählt Strobel. Nun würden sie überlegen, mit dem Tisch für ihr Treffen in eine Garage zu ziehen. Der Name der Gruppe, passend zur Situation: Tisch der Tränen. »Weil alte Leute ziemlich traurig sind, wie sich alles entwickelt.«

Draußen an das Gebäude hat jemand einen Kranz gehängt. »Danke für die schöne Zeit«, steht darauf. Wer ihn dort aufgehängt hat, weiß Strobel nicht. Es könnten viele sein.


Titelfoto: Jonas Strehl.


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3 Kommentar(e)

Maria Claessen 09.04.2023 | um 05:55 Uhr

Bis zum Schluss Sozialarbeiter! Das nenn ich mal Berufung mit kreativer Umsetzung. Der Artikel hat mir sehr gefallen. Vielen Dank

Johannes 10.04.2023 | um 16:36 Uhr

Schade, dass im Artikel nicht erklärt wird warum Andreas nicht mehr im sozialen Bereich arbeiten konnte (eigentlich wirkte er immer noch wie ein alter sozialarbeiter ;-) ). Und mich hätte auch interessiert was es mit dem Geschehen im Waldfrieden auf sich hatte. Aber eine Schande, dass die Vermieter ganz im Gentrifizierungsstyle wieder zuschlagen (wie es scheint)!

Svantewit 13.04.2023 | um 08:56 Uhr

Danke für diesen schönen und traurigen Text ! Ein Venceremos aus Stralsund :)