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Kultur

»Eine fruchtbare Durchlüftung unserer Hirne und Herzen«

Katja Gasser, die künstlerische Leiterin des Gastlandauftritts Österreichs, im Gespräch

  »Eine fruchtbare Durchlüftung unserer Hirne und Herzen« | Katja Gasser, die künstlerische Leiterin des Gastlandauftritts Österreichs, im Gespräch

Die Literaturen aus Österreich liegen uns nahe – sprachlich und räumlich. Dass diese Nähe manchmal dafür sorgt, dass man weniger genau hinsieht und es viel mehr zu entdecken gilt, als erwartet, zeigt auch das Programm des Gastlandes. Katja Gasser, die künstlerische Leiterin des Gastlandauftritts Österreichs, erklärt, warum.

Literatur aus Österreich – was bedeutet das für Leipzig? 

Dass die Leipzigerinnen und Leipziger die Möglichkeit erhalten, sich eingehend mit der österreichischen Literatur zu beschäftigen. Das Klischee ist: Die österreichische Literatur ist schräger, wilder, spielerischer, formbewusster, politisch unkorrekter. Ich habe mich sehr darum bemüht, diese Klischees in unserem Programm in Leipzig auf die Spitze zu treiben: Ich wollte die Erwartungshaltung also übertrieben bestätigen und damit zugleich auch unterwandern. Es werden also auch ganz andere Töne als die schrillen und schrägen in unserem Programm hörbar werden. Grundsätzlich muss man sagen: Literatur entsteht ja nicht im luftleeren Raum. Das gilt für die österreichische Literatur genauso wie für die deutsche. Das heißt: Sie ist von dem Kontext geprägt – historisch wie gegenwärtig – in dem sie entsteht. Das gilt also genauso für die österreichische Literatur wie für die deutsche. Ich finde, dass es an der Zeit wäre, dass sich deutsche Feuilletonisten und Literaturkritiker abgewöhnen, die österreichische Literatur als eine Art Anhängsel der deutschen zu sezieren und sie immer nur im Verhältnis zur deutschen in den Blick zu nehmen – und ich sage das aus einem radikal anti-nationalistischen Standpunkt heraus, nur um das ganz klar zu sagen. 
Ich kann allen Leipzigerinnen und Leipzigern nur ermunternd zurufen: Stürzen Sie sich in unser buntes Programm auf der Messe und außerhalb der Messe!  

Welches ist Ihr persönliches österreichisches Lieblingsbuch?

Das kann ich so nicht sagen. Ich kann aber sagen: Ohne Ilse Aichinger – sie zählt zu den wichtigsten österreichischen Autorinnen nach 1945 – wäre ich eine andere geworden. Ich habe von ihr gelernt, was Literatur ist, was alles sie sein kann: zart wie aufsässig, Erinnerung bergend wie zum Vergessen anstiftend, zum immerwährenden Umsturz aller vermeintlichen Sicherheiten ermunternd. Einer meiner liebsten Texte Ilse Aichingers, nämlich »Schnee«, wird sich versteckt auf dem Gastlandstand auf der Buchmesse finden lassen – ein kleines Geheimnis, das der Messestand in sich bergen wird. Ich zeige den Besucherinnen und Besuchern gern das Versteck! 
 

Auf der Pressekonferenz sprachen Sie vom aufrührerischen und zugleich besonnenen Charakter der Literatur. Welche Hoffnungen setzen Sie in die diesjährige Buchmesse?

Mein großer Wunsch ist, dass wir nicht zuletzt mit dem Gastland Österreich vor allem ein Fest der Freiheit der Kunst feiern – ich bin nämlich davon überzeugt, dass die Kunst entschieden gegen jede Form der Indienstnahme verteidigt werden muss. Dass wir Menschen klüger werden durch Literatur – die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass das leider nicht stimmt. Dennoch gibt es zur Arbeit an der Aufklärung und am Humanismus keine Alternative. Insofern verspreche ich mir von der Buchmesse eine fruchtbare Durchlüftung unserer Hirne und Herzen!


Katja Gasser wurde 1975 in Klagenfurt geboren. Sie dissertierte 2003 über Ilse Aichinger und Günter Eich. Seit Ende 2008 leitet sie das Literaturressort im ORF-Fernsehen. 2019 erhielt sie den Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik. Sie ist künstlerische Leiterin des Gastlandauftritts Österreichs bei der Leipziger Buchmesse 2023 und lebt als Kulturjournalistin und Literaturkritikerin in Wien.


> www.gastland-leipzig23.at

 

Das Interview erschien zuerst im logbuch. Dieses können Sie kostenlos hier als Epaper herunterladen. 


Foto: Minitta Photography


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