Im Leipziger Osten findet seit kurzem ein Experiment statt: Ein Straßenabschnitt wird für ein Jahr zur verkehrsberuhigten Zone, Fuß- und Radverkehr haben hier Vorrang. Nach dem Modell des Superblock aus Barcelona sollen dadurch mehr Begegnungsorte entstehen und das Viertel lebenswerter werden. Doch nicht alle wollen die Veränderungen.
Rosa, Gelb und Grün sind die Kreise, die seit kurzem den Asphalt der Hildegardstraße färben. Darauf stehen runde Sitzbänke, in der Mitte Pflanzenkästen. Für das Mitmachforum des Vereins Superblocks Leipzig sind am Freitag, den 15. Mai viele Nachbarn und Interessierte gekommen. Darunter vor allem junge Menschen und Kinder. Statt parkender Autos findet man auf dem 60 Meter langen Straßenabschnitt Spieltische, Lastenräder und Cityroller. Es herrscht ausgelassene Stimmung. Die Initiative stellt ihr Projekt vor und beantwortet Fragen. Hier und da bleiben Passantinnen überrascht hinter den Absperrungen stehen und beobachten das Treiben: Ist hier nur heute so viel los?
Nicht unbedingt: Tatsächlich soll der Straßenabschnitt für ein ganzes Jahr verkehrsberuhigt bleiben. Das Ziel: Weniger Verkehr, mehr Austausch, mehr Lebensqualität. Autos dürfen in Zukunft zwar wieder fahren, aber nur im Schritttempo. Dafür sollen auch die Poller an der Ecke zur Ludwigstraße sorgen. Sie trennen die Kreuzung in zwei Hälften und verringern zusätzlich das Verkehrsaufkommen. Außerdem bleiben die Sitzbänke stehen und das Parken für Autos verboten.
»In den letzten Jahren gab es immer wieder Anwohnerinnen, die wegen des rücksichtslosen Autoverkehrs gefrustet waren«, erzählt Ariane Jedlitschka von Superblocks Leipzig. Die Kreuzung sei ständig zugeparkt gewesen und der Pendlerverkehr habe die Seitenstraße als Abkürzung genutzt, um die Eisenbahnstraße zu umgehen. Besonders für Kinder sei es unübersichtlich und gefährlich gewesen – einige Familien, die es sich leisten konnten, seien deshalb weggezogen.
Seit 2020 gibt es den Verein Superblocks in Leipzig. Die elf Mitglieder treffen sich in der Hildegardstraße 51 und verstehen sich als Nachbarschaftsinitiative für nachhaltige Stadtentwicklung. Ariane Jedlitschka erklärt, man kenne die Gegend schon lange und habe auch ein persönliches Interesse daran, das Quartier für alle fair und sicher zu gestalten. »Wir haben gesagt, wir können mit der Stadt zusammenarbeiten, die Ideen im Viertel begleiten und das Thema Stadtentwicklung weniger abstrakt machen«, erzählt sie. So entstand das Projekt »Neue Nähen«, gefördert durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB). Mit an Bord sind Vertreter aus der Stadtverwaltung, dem Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung und dem Verkehrs- und Tiefbauamt. Aber auch das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, dass das Projekt wissenschaftlich begleitet und Interessensverbände, wie zum Beispiel der Ökolöwe.
Ziel ist es, in den belebten Stadtteilen Volkmarsdorf und Neustadt-Neuschönefeld mehr Grün- und Freiraum zu schaffen. Und zwar für Menschen mit verschiedenen Lebensrealitäten: Familien mit Kindern, Menschen mit geringem Einkommen, Studierende. Dafür soll auch ein neues Verkehrskonzept sorgen, das mehr Platz für klimafreundliche Fortbewegung vorsieht.
»Wir wollen, dass die Stadtverwaltung sich bewegt«
Dass es rund um die Eisenbahnstraße neue Lösungen für Wohnen und Verkehr braucht, hat die Stadt bereits vor mehr als zwanzig Jahren erkannt. Damals wurde ein Förderprogramm für den »Leipziger Osten« beschlossen. Man wollte Wohnungsleerstand entgegenwirken, baufällige Gebäude sanieren und die Umgebung lebenswerter gestalten. Seitdem wurden viele Konzepte und Pläne ausgearbeitet. In Teilen schon umgesetzt ist der Parkbogen Ost: Ein Fuß- und Radweg, der an verschiedenen historischen Orten und Grünflächen vorbeiführt und den Leipziger Osten mit der Innenstadt verbinden soll.
Für Ariane Jedlischka hinkte die Umsetzung aber stark hinterher: »Wir wollen, dass die Stadtverwaltung sich bewegt und dass das, was in tausend Plänen steht, auch in die Tat umgesetzt wird«, sagt sie. Außerdem sei es wichtig, die Nachbarschaft daran zu beteiligen, bevor Pläne beschlossen würden. Dafür startete Superblocks Leipzig ein mobiles »Wunschbüro«. Das Ergebnis: »Die Mehrheit der Menschen aus diversen Sprach und Kulturkreisen fanden die Idee sehr gut«, berichtet Jedlischka. Aber nicht von überall kommt positives Feedback.
Kritik von Gewerbebetreibenden im Viertel
Eine Unterschriftenliste geht derzeit im Viertel herum, unterzeichnet haben sie 17 Gewerbetreibende der Eisenbahnstraße. Sie fordern, die verkehrsberuhigte Zone aufzuheben. Einer der Unterzeichner ist Erkan Yakut. Seit 2006 lebt er auf der Eisenbahnstraße und betreibt seit knapp zehn Jahren das Brothers, ein beliebtes Restaurant direkt auf der Ecke zur Hildegardstraße. Er wäre gerne früher informiert worden, sagt Erkan Yakut. »Wo sollen meine Kunden jetzt parken, vor allem die Älteren?« Erst vor ein paar Tagen habe er Bescheid bekommen, dass hier für ein Jahr eine Zone mit Parkverbot entstehe.
Erkan Yakut und die anderen Gewerbetreibenden haben sich persönlich an Thomas Dienberg, Leiter der Stadtentwicklungsbehörde gewandt und Hilfe bei Azim Semizoğlu vom städtischen Migrantenbeirat gesucht. Semizoğlu, der versucht zu vermitteln, sieht in dem Konflikt vor allem ein Missverständnis: »Teile der Community haben gedacht, dass nur ein Straßenfest veranstaltet wird. Sie fühlen sich jetzt übergangen. Vielleich lag es auch an Sprachbarrieren«, vermutet er. Laut dem Verein Superblocks Leipzig soll es persönliche Versuche gegeben haben, die Gewerbetreibenden mehrsprachig über den Verkehrsversuch zu informieren. Diese hätten jedoch die Stadt als Ansprechpartner vorgezogen. Warum hat dort niemand die Gewerbebetreibenden beteiligt?
Auf Nachfrage stellen das Verkehrs- und Tiefbauamt sowie auch Superblocks Leipzig klar, dass der Verein für die Beteiligung der Nachbarschaft zuständig war und ist, aber dass »nicht alle Akteure erreicht werden konnten oder für Informationen dazu offen waren.«
Wie genau es zu der Misskommunikation kam, bleibt demnach offen. Aus dem Verkehrs- und Tiefbauamt Leipzig heißt es nun, die Kommunikation werde in Zukunft frühzeitig erfolgen. Und man werde in den kommenden Wochen auf die Gewerbetreibenden zugehen und Lösungsvorschläge für Anlieferungszonen besprechen. Eine Idee seien auch sogenannte Schanigärten. Nach Wiener Vorbild, könnten das zukünftig Freisitze auf ehemaligen Parkplätzen sein.
Ariane Jedlischka freut sich über die Entwicklung: »Für uns ist es total wichtig, dass die Konflikte im Viertel zu Tage kommen und Gespräche darüber stattfinden«. Nur so kann aus dem Experiment eine dauerhafte Lösung werden, die für alle funktioniert.
Foto: Maika Schmitt