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Stadtleben

»Der Umbau der Städte kann nur partizipativ und demokratisch passieren«

Stella Schaller von Reinventing Society über die Motivation, die von Utopien ausgeht

  »Der Umbau der Städte kann nur partizipativ und demokratisch passieren« | Stella Schaller von Reinventing Society über die Motivation, die von Utopien ausgeht

Der Verein Reinventing Society möchte Impulse geben und Veränderungsprozesse hin zu einer lebenswerten Zukunft begleiten. Im Juli erscheint sein Buch »Zukunftsbilder 2045« als »narrativer Bildband eines klimaneutralen Deutschlands«, dem das Titelbild dieses kreuzer entstammt. Stella Schaller ist Mitbegründerin des Vereins und spricht mit uns über die Motivation, die von Utopien ausgeht, die Bedeutung von Gefühlen für Debatten und darüber, wie ihr Verein zu einer regenerativen Zukunft beitragen will.

Was war die Idee für das Buch?

Wenn wir in die Medien schauen, sehen wir vor allem Krisen, Katastrophenbilder, Zukunft als einen Ort ohne Hoffnung. Wir wollen mit dem Buch dafür sorgen, dass man sich in eine regenerative Zukunft hineinversetzen kann. Die Psychologie und Kommunikationswissenschaft sagen uns, dass wir positive Impulse brauchen, um handlungsfähig zu sein. Diese Impulse soll das Buch bieten.

 

Wie real sind die Utopien darin? Orientieren sie sich an der Forschung oder sind es rein erdachte Zukunftsvisionen?

Wir sind ein Team aus Nachhaltigkeitsexperten, Ökonomen und Sozialwissenschaftlern. Unser Buch speist sich größtenteils aus aktueller Forschung führender Institute. Der Ansatz ist realutopisch, also sowohl utopisch als auch auf real existierenden Ansätzen aufbauend.

 

Das Buch konzentriert sich auf Städte. Warum?

Städte sind die Orte, an denen Gesellschaft gestaltet wird. Auf engstem Raum werden die zentralen Faktoren der Transformation abgedeckt, Verkehr, Energie, Bauen, Abfallwirtschaft. Städte stoßen rund 70 Prozent der CO2-Emissionen aus und sind damit gleichzeitig Hebelpunkte für Transformation und Akteure der Regeneration. Zum Beispiel ließe sich sehr viel CO2 durch den Bausektor einsparen. Gleichzeitig wollten wir die Veränderung erfahrbar machen und mit den Städten Identifikationspunkte anbieten. Jeder war schon einmal in Berlin, München oder Hamburg und weiß, wie es dort aussieht. Man kann sich die mögliche Veränderung besser vorstellen.

 

Vorstellung, Identifikationspunkte, positive Impulse – auch im Kapitel über Leipzig geht es um die Kraft der Gefühle. Warum sind diese in Ihren Augen so wichtig für den Transformationsprozess?

Wir haben Gefühle in der Debatte um das Klima und unsere Zukunft lange massiv unterschätzt. Gefühle sind enorm wichtig, weil sie unser Verhalten und unsere Einstellung gegenüber Neuem beeinflussen. Beim Thema Klimawandel herrschen oft Wut, Hilflosigkeit und Trauer vor – diese Gefühle lähmen. Zudem sehen wir viele verhärtete Konfliktfronten in unserer Gesellschaft, wo tief liegende Emotionen Lösungen verkomplizieren. Wir haben unsere Gefühle zu lange ignoriert und müssen nun erst wieder die Kompetenz aufbauen, mit ihnen umzugehen.

 

Wie entwickelt man diese Kompetenz?

Zuerst einmal müssen wir aufhören, Gefühle entweder zu tabuisieren und abzuspalten oder zu dramatisieren. Wir müssen Räume schaffen, in denen wir uns begegnen und uns austauschen können. Methoden wie die gewaltfreie Kommunikation können dabei helfen, in Verbindung zu bleiben. Auch Bildung ist wichtig: In Schulen müsste emotionale Intelligenz und Achtsamkeit gelehrt werden, also die Fähigkeit, mit sich und der Umwelt freundlich in Verbindung zu sein. Das würde auch unserem Gesundheitssystem zugutekommen.

 

In Ihren Städte-Utopien gibt es viele dieser öffentlichen Begegnungsräume. Sollen und können sie direkt zu dieser Gefühlskompetenz beitragen?

Der Umbau der Städte kann nur partizipativ und demokratisch passieren. Dafür muss eine Wiederverbindung mit dem Quartier entstehen. Engagement der Bürgerinnen und Bürger entsteht dadurch, dass sie sich mit ihrem Viertel verbunden fühlen. Außerdem braucht es solche Plätze und Agoras, um Konflikte auszutragen und Zukunftsvisionen zu entwickeln.

 

In den Utopien sind die Städte auffallend grün. Warum das?

Stadtgrün hat einen sehr großen Wert: für die Gesundheit, für das Wohlbefinden, aber auch für das Klima. Studien zeigen zum Beispiel, dass Patienten, die im Krankenhaus Grün vor dem Fenster haben, schneller genesen als ohne. Einen ähnlich positiven Effekt auf unser Wohlbefinden haben auch Pflanzen im Büro. Gleichzeitig haben Bäume einen starken Kühlungseffekt. In heißen Sommermonaten können sie eine Stadt um 10 bis 20 Grad Celcius herunterkühlen. Außerdem ist eine Begrünung wichtig für die Biodiversität und natürlich für die Minderung von Treibhausgasen und Schadstoffen.

 

Nun haben wir viel über Utopien, also den Idealzustand gesprochen. Wie kommen wir denn vom Träumen ins Handeln, auf dass sich wirklich etwas verändert?

Solche Visionen zeigen vor allem die Richtung. Sie sind wie ein Kompass, der uns führt, an dem wir uns ausrichten können. Von den Visionen kann man dann zurückrechnen und sich fragen: Was muss jetzt geschehen, damit wir dort landen? Sie bieten einen Ausgangspunkt, um ins Gespräch zu gehen und Fragen auch abseits von Parteilinien auszudiskutieren. Sie sollen motivieren. Gleichzeitig enthält unser Buch schon viele Lösungen und Initiativen, die bereits heute relevant sind. Es gibt Ideen, in welchen Initiativen man sich engagieren kann. Es ist wichtig, die Richtung zu stärken, die diese Visionen vorgeben.


> www.realutopien.de 

> Stella Schaller, Lino Zeddies, Ute Scheub und Sebastian Vollmar: Zukunftsbilder 2045: Reise in eine Welt von morgen. München: Oekom 2023. 174 S., 33 €


Foto: Jacqueline Schulz. Realutopien.


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