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Politik

Kein Tag mit X

Nach dem Urteil gegen Lina E. verbietet die Stadt Soli-Demos – Leipzig wird Kontrollbereich

  Kein Tag mit X | Nach dem Urteil gegen Lina E. verbietet die Stadt Soli-Demos – Leipzig wird Kontrollbereich

»Wer gegen die Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen« – fast täglich bestätigt sich diese Aussage der Antifaschistin Esther Bejarano. Während staatliche Reaktionen gegen Nazi-Gewalt halbherzig bis gar nicht erfolgen, Urteile milde ausfallen, wenn es überhaupt zu Gerichtsprozessen kommt, wird Antifaschismus und überhaupt alles, was links aussieht, kriminalisiert. Nun hat die Stadt Leipzig fürs Wochenende sogar jedwede antifaschistische Soli-Bekundung untersagt. Im Nachgang zum Antifa-Ost-Prozess bedeutet das faktisch ein Bewegungsverbot für alle, die die Polizei als linke Sympathisanten deuten könnte. Das ist ein gravierender Einschnitt in die Grundrechte.

Am Mittwoch endete der Prozess gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte, denen Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wurde. Wacklig war die juristische Konstruktion aus Indizien, Zeugenaussagen verurteilter Nazis und eines suspekten Kronzeugen. Seit Monaten bereits riefen Gruppen zum »Tag X« – einer in der Linken erprobten Praxis – auf: Am Samstag nach dem Urteilsspruch sollen Menschen zu einer bundesweite Soli-Demo in Leipzig zusammenkommen. Gründe, für eine antifaschistische Bewegung und gegen Repression gegen Linke zu demonstrieren, gibt es viele, gerade angesichts sächsischer Verhältnisse. Ein Positionspapier hat das Linxxnet dazu veröffentlicht. 

Diese Demonstration wird wahrscheinlich so nicht stattfinden. Denn in einer Allgemeinverfügung vom Dienstag untersagte die Stadt Leipzig alle entsprechenden Demos, die nicht bis zum Mittwochabend (31. Mai) angezeigt  wurden.  Es werden also auch keine Spontanversammlungen möglich sein. Ob eine bereits angezeigte Kundgebung noch untersagt wird, bleibt abzuwarten. Ein entsprechendes Schreiben will das Ordnungsamt erst im Laufe des Donnerstags verschicken. Die Stadt begründet das Verbot mit einem hohen Aufkommen an Veranstaltungen in Leipzig – Stadtfest, Herbert-Grönemeyer-Konzert, Fußball-Sachsenpokal im Bruno-Plache-Stadion, Public-Viewing des DFB-Pokalfinales – und im Netz kursierenden vermeintlich linksautonomen Militanz-Aufrufen. Das ist dürftig und vage, zumal die Allgemeinverfügung es in puncto Grundrechtseinschnitt wirklich in sich hat.

Für Samstag und Sonntag sind alle öffentlichen Versammlungen untersagt, »welche sich inhaltlich auf den Antifa-Ost-Prozess bzw. dessen Angeklagte beziehen«, so die Verfügung. Das ist derart allgemein formuliert, dass jeder ins Visier der Polizei geraten kann. Denn laut Versammlungsgesetz ist eine Versammlung »eine örtliche Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.« Wenn zwei Leute mit Antifa-Shirt durch die Straßen laufen, kann das folglich unter Umständen als Versammlung mit Bezug auf den Prozess gedeutet werden. Jeder »#Freelina«-Aufnäher mag in Augen der Exekutive suspekt genug sein und sie zum Handeln animieren. Der weite Kontrollbereich umfasst die halbe Stadt. Die Polizei darf von Freitag, 18 Uhr bis Sonntag, 18 Uhr vom Bahnhof bis nach Connewitz und Probstheida, von Lindenau bis Neustadt-Neuschönefeld verdachtsunabhängige, also willkürliche Personenkontrollen durchführen, die Menschen durchsuchen und Platzverweise aussprechen.

Das strukturelle Problem, das folgt, wenn Grundrechte ausgesetzt werden, kommt hier voll zum Tragen. Die Polizei hat als Exekutive mitunter sowieso rechtsetzende Kompetenz (legislativ) und rechtinterpretierende Kompetenz (judikativ) und provisorisch alle drei Gewalten in der Hand. Dass dieser Handlungsrahmen nun fürs Wochenende immens ausgeweitet wird, ist ein klares Signal: Antifaschisten können sich auf den Staat nicht verlassen – im Gegenteil. Wer das für eine Übertreibung hält, erhielt mit der Begründung »Sie sind der linken Szene zuzuordnen« noch nie einen Platzverweis vor der eigenen Haustür, wurde noch nie eingekesselt festgehalten oder noch nie aufgrund seiner Kleidung zum Leeren seiner Taschen gezwungen.


Foto: Sebastian Willnow / dpa


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