Das Bachfest widmet sich diesmal dem 300. Jubiläum des Amtsantritts von Johann Sebastian Bach als Thomaskantor – und steht unter dem Motto »Bach for Future«. Und so werden nicht nur alle Kantaten aufgeführt, die Bach 1723/24 komponierte, auch neu entstandene Werke reflektieren das großartige Schaffen des Komponisten. Klassik-Stars wie Lang Lang und Daniel Hope sind in der »Tribute to Bach«-Gala am 9. Juni auf dem Leipziger Markt zu erleben. Wir sprachen über all das mit Michael Maul, dem Intendanten des Bachfestes.
Viele Konzerte widmen sich den Werken aus Bachs erstem Dienstjahr als Thomaskantor. Welches ist Ihr Lieblingswerk dieser Periode und warum?
Das ist eine schwierige Frage. Von den gut 50 Werken, die Bach während dieser Zeit geschrieben hat, ist jedes auf seine Art und Weise besonders. Er hat Meisterwerke im Wochentakt komponiert. Ein Höhepunkt ist die Johannes-Passion. Mit diesem Stück hat Bach nie abgeschlossen. Mindestens viermal hat er sie aufgeführt und jedes Mal anders. Auf eine vollendete Art und Weise ist sie unvollendet. Das ist eines meiner Lieblingswerke. Aus der Masse der Kantaten des ersten Jahres möchte ich aber noch eine andere benennen. Für den neunten Sonntag nach Trinitatis komponierte Bach »Herr, gehe nicht ins Gericht«. Darin geht es um das Teilen von Reichtum mit den Armen. Darüber hat Bach reflektiert, in der reichen Handelsstadt Leipzig, mit seinen wohlhabenden Bürgern. Er hat das auf eine wunderbare Art und Weise gemacht. Die Bass-Arie »Kann ich nur Jesus mir zum Freunde machen, so gilt der Mammon nichts bei mir« wird von den Geigen mit sehr schnellen Figuren umspielt. Das ist wohl das blinkende Geld, welches in Leipzig im Handel und zur Messe permanent fließt. Die dahinterstehende Aussage könnte sein: Wir wollen uns alle redlich bemühen, den Reichtum mit den Armen zu teilen, aber dazu muss das Geld eben auch erst einmal da sein. Ein herrliches Stück!
Die Johannes-Passion wird in diesem Jahr in der historischen Form einer Karfreitagsvesper erklingen. Wie lief denn damals so eine Vesper ab?
Die Darbietung der Johannes-Passion erfolgt tatsächlich nicht, wie es seit 150 Jahren üblich ist, im Konzertformat. Das wäre Bach völlig fremd gewesen. Wir versuchen also, eine historische Karfreitagsvesper zu imitieren. Dort gab es zuerst musikalische Andachten, dann etwas Liturgie, in der auch die Gemeinde Choräle mitgesungen hat. Zu hören waren auch Orgelwerke. In der Mitte der Vesper gab es eine etwa einstündige Predigt. Die gibt es bei uns nicht. Stattdessen wird Norbert Lammert seinen Blick auf die Johannes-Passion und auch das zugrunde liegende Evangelium darbieten. So holen wir ein altes Format, welches in Vergessenheit geraten ist, wieder in den ursprünglichen Kontext, unter Mitwirkung der Gemeinde. Mitsingen ist ausdrücklich erwünscht!
Was steckt hinter dem diesjährigen Motto »Bach for Future«?
Wir haben dieses Mal ganz neue und ungewöhnliche Formate. Bach hat sehr viele Werke hinterlassen, jedoch kein Requiem. Vor diesem Hintergrund entwickelte die Leipziger Sängerin Julia Sophie Wagner die Idee, von Thomas Kunst einen modernen Requiem-Text entwerfen zu lassen. Die Verse des Schriftstellers sollten sich dabei unter ausgewählte Chöre und Arien Bachs legen lassen. Also ganz im Sinne des auch von Bach selbst verwendeten Parodieverfahrens. Das so entstandene Requiem für Vokalquartett und Kammerorchester ist eine moderne Interpretation altbekannter Musik mit neuen Texten. Inhaltlich geht es um eine Art Dialog mit dem Tod und die Frage, was nach dem Leben geschieht. Es ist kein geistlicher Text, sondern ein sehr lebensnaher. Der Anatomie-Hörsaal ist ein perfekt geeigneter Ort für diese Aufführung, denn hier begegnen sich Tod und Leben.
Das diesjährige Bachfest ist auch ein Gipfeltreffen deutscher Knabenchöre.
Nicht nur für den Thomanerchor gehört Bachs Musik zum Kernrepertoire. Neben dem Kreuzchor haben wir den Knabenchor Hannover eingeladen. Auch er hat eine große Geschichte, die immer mit Bach verknüpft war. Dieser Chor hat beispielsweise die erste Gesamteinspielung der Bachkantaten unter Nikolaus Harnoncourt gemacht. Außerdem kommt der Windsbacher Knabenchor, der sich auch schon immer mit der Musik Bachs auseinandergesetzt hat. Das Treffen kulminiert in einem gemeinsam gestalteten Zyklus.
Das Bachfest verfolgt ambitionierte Klimaziele. Seit dem letzten Jahr wurden 40.000 Bäume im Bach-Wald südlich von Leipzig gepflanzt. Wie steht es um die Pflanzen nach dem trockenen Jahr?
Der Bach-Wald gedeiht. Das Gute ist, für die Stiftung »Wald für Sachsen«, die sich um diese Anpflanzungen kümmert, sind Profis am Werk. Es gibt ein gutes Mischwaldkonzept und es wurde von vornherein darauf geachtet, dass dort einheimische Hölzer mit einer guten Resistenz gegen Trockenheit kultiviert werden. Das diesjährige Klimakonzert mit dem Münchner Bach-Orchester schließt den Zyklus rund um die Brandenburgischen Konzerte ab. Der gesamte Erlös des Konzertes fließt in den Bach-Wald.
> Bachfest: 8.–18.6., www.bachfestleipzig.de
Titelfoto: Jens Schlüter.