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Stadtleben

Sie wollen doch bloß studieren

Mit viel Studieneifer protestieren Architekturstudierende vor dem Gebäude der HTWK

  Sie wollen doch bloß studieren | Mit viel Studieneifer protestieren Architekturstudierende vor dem Gebäude der HTWK

Mit einer Gruppe abgewiesener Studenten besetzte Joseph Beuys im Jahr 1972 das Sekretariat der Kunstakademie Düsseldorf. Der Professor protestierte gegen ein neues Zulassungsverfahren, die Hochschule konterte mit der Polizei und einer fristlosen Kündigung. Ganz so drastisch sind die Zustände an der HTWK Leipzig nicht, Protest gibt es immer noch: Für bessere Studienbedingungen zogen die Studierenden der Architektur am Dienstag mit ihrem Atelier auf die Karl-Liebknecht-Straße vor die Hochschule.

Der Regen hält sie nicht auf: Unter weißen Zeltplanen, an großen Tischen gehen die Architekturstudierenden vor der HTWK ihren Arbeiten nach. Mina baut an ihrem Innenraummodell des nordischen Pavillons der Biennale Venedig, Carmen und Deborah erarbeiten einen mehrgeschossigen Wohnungsbau, Christof und Jule das Nachhaltigkeitskonzept eines Neubaus für das Grips-Theater in Berlin. Transparente (»Wir wollen gute Studienbedingungen- unser Rektorat aber nicht«) gibt es und – etwas protest-untypisch – eine Siebträgermaschine.

Ziel der Aktion sei es, auf die Architektur-Studienbedingungen aufmerksam zu machen. Man wolle zeigen, wie architektonische Arbeit aussehe, erklärt Mina von »Aktion Atelier 24/7« im Gespräch. So ist die Forderung der Gruppe tatsächlich nur eine einzige: Man will, wie vor der Pandemie, durchgängigen Zugang zu den Ateliers der Hochschule haben, anstatt, wie aktuell, nur werktags von 6 bis 24 Uhr. Was banal klingen mag, hat durchaus seine Gründe: Die Arbeit sei häufig laut und dreckig, großflächig, zeitintensiv und basiert auf dem Austausch mit Komilitonen. Die Ateliers gäben den dafür nötigen Raum und Kapazitäten, die den Studierenden daheim nicht zu Verfügung stünden: Werkzeuge zum Styropor schneiden, ein Fotolabor mit Kameras und gutem Licht, großformatige Drucker, rechenstarke PCs mit Lizenz-Produkten sowie Platz für Modelle, die sonst jedes WG-Zimmer sprengen. Dass diese Räume nicht durchgängig nutzbar sind, stößt bei der »Aktion Atelier 24/7« auf Unverständnis. Und einfach die Zeit besser planen? Es sei kreative Arbeit, die man nicht immer planen könne, so die Antwort. Auch werde das Arbeits-Pensum nicht weniger mit den kürzeren Öffnungszeiten. Besonders betroffen seien von der Situation arbeitende Studierende sowie Studierende mit Kind.

Durchaus skurril sind die Situationen, in welche die Studierenden zwecks der Raum-Not gelangen: Um Bilder von einem Modell zu machen, habe sie den Platz unter ihrem Schreibtisch verhangen und kriechend fotografiert, erzählt Mina. Einen großformatigen Plan zeichnete sie auf dem Boden ihres WG-Zimmers und verschob dafür ihr Bett. Weil die Küche eines Freunds der einzig ausreichend große Raum gewesen sei, sei sie für die Arbeit an einem zweimalzwei Meter großen Modells nach Paunsdorf gefahren, erzählt Lena von »Aktion Atelier 24/7«.

Von der bisherigen Reaktion und Kommunikation der Hochschule vor der Protestaktion zeigt sich die Aktionsgruppe enttäuscht. Zwar sei im letzten Jahr eine Arbeitsgruppe zu den Öffnungszeiten seitens des Rektorats eingerichtet worden, doch war deren Ergebnis lediglich die Verlängerung der Öffnungszeiten von 22 auf 24 Uhr. Danach habe diese nicht mehr getagt, man habe das Gefühl gehabt, »das Rektorat ist jetzt damit zufrieden«, erzählt Mina. Als letzter Schritt vor der Protest-Aktion hatte »Aktion Atelier 24/7« eine Unterschriften-Petition und Aufforderung zur Stellungnahme an das Rektorat geschickt. Auf Anfrage des kreuzer, weshalb die Ateliers nicht wieder durchgängig geöffnet wurden, verweist die HTWK auf das Abwägen von Ressourcen, Sicherheitsbestimmungen und organisatorischen Aspekten. Ein erneutes Treffen von Interessenvertretern soll für diese Woche angesetzt worden sein.

Und was ist, wenn nichts passiert? Eine Besetzung der Ateliers schließe man nicht aus, meint Mina. »Wenn wir hier nicht sein dürfen, dann lassen wir uns eben nicht mehr rausscheuchen.« Also doch wieder ganz Beuys.


Foto: Jonas Strehl.


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