Auf der behördlich genehmigten Kundgebung für Versammlungsfreiheit setzte die Polizei am Sonnabend mehrere hundert Personen in einem Kessel fest. Die Polizei sprach von bis zu 1.000 Menschen – die letzten kamen erst, um fünf Uhr morgens nach elf Stunden frei. Auch der 16-jährige Thomas P.* befand sich im Kessel und wurde bewusstlos geschlagen. Wie er diese Situation erlebte, erzählt er dem kreuzer.
Ab 16.30 Uhr versammelten sich Demonstrierende auf dem Alexis-Schumann- und dem Heinrich-Schütz-Platz. Wie erlebten Sie die Situation?
Ich war mit ein paar Leuten erst gegen 17.10 Uhr da. Es wurden ein paar Parolen gerufen, aber an sich war es eine ruhige Stimmung. Als es dann zwei Ausbruchsversuche gab, um die angemeldete Demoroute wahrzunehmen, hat sich das hochgeschaukelt.
Die Polizei griff ein?
Ja. Das ging erst in die eine Richtung und sofort wieder in die andere. Da gab’s gleich Schlagstöcke, woraufhin einige Leute Steine schmissen, wobei viele gar nicht trafen. Die Menschenmenge wurden zurückgedrängt und alles hat sich krass bewegt.
Wie viele Leute waren das?
Ich schätze: 500 Menschen.
Und die kamen alle nicht mehr weg?
Ich war mit mehreren Leuten an einem Transparent und wir sind als Block nicht ordentlich weggekommen. So war ich ungeplant in der ersten Reihe vor den Polizist:innen. Diese sind dann von allen Seiten auf uns zugestürmt. Dabei habe ich sofort einen Schlag oder Tritt in den Bauch bekommen; ich weiß nicht mehr genau, was es war. Wir wurden eingekesselt, was ziemlich brutal war. Denn wir wurden aufgefordert, weiter zusammenzugehen, aber es ging nicht weiter und alle haben geschrien: »Zurück, zurück!« Polizist:innen haben dann mit Schlagstöcken auf alles und jeden eingehauen.
Das waren also keine zielgerichteten Einzelaktionen der Polizei?
Nein, da hat sich eine enorme Polizeigewalt entfesselt. Wir wurden immer enger gekesselt, mit zwei Reihen umstellt. Dabei habe ich irgendwann einen Schlag ins Gesicht bekommen und bin zu Boden gegangen. Ich war kurz bewusstlos. Und bekam dann anscheinend noch einen Tritt an den Hinterkopf, das haben mir Leue hinterher gesagt. Ich wurde von jemanden nach hinten gezogen, war benommen und konnte nicht richtig auf alles reagieren. Sanitäter:innen legten mich und eine andere verletzte Person voller Blut im Gesicht zwischen Polizei und Gekesselte und versorgten uns. Da lag ich dann rum, ich habe wohl vor mich hin gesummt, sagte man mir später. Aber daran kann ich mich nicht erinnern. Ich habe nur total verschwommen gesehen, Doppelbilder, konnte kaum fokussieren. Die Kopfschmerzen setzten dann ein, meine rechte Gesichtshälfte war leicht taub.
Wie lang lagen sie da?
Relativ lange, mir wurde kalt. Die Polizei hat sich nicht um mich gekümmert, die Sanis gaben mir so eine gold-silberne Wärmedecke. Später durften die nicht einmal mehr in den Kessel. Nach einer Stunde bin ich hinter ein Polizeiauto gebracht worden, wurde an den Wagen gelehnt. Irgendwann holte mich ein Krankenwagen ab. Das hat sich aber erst geregelt, als ich sagte, dass ich minderjährig bin. Sonst hätten die Polizist:innen mich nicht rausgelassen. Sie meinten vorher: »Solange das keine lebensgefährliche Verletzung ist, lassen wir ihn nicht raus.«
Aber sie durften dann raus?
Ich wurde auf einer Liege zur Kurt-Eisner-Straße geschoben und von zwei Polizist:innen bis zum Krankenwagen begleitet. Der war schon voll und wir warteten zehn Minuten auf den nächsten. Gegen 20 Uhr kam ich ins Krankenhaus und wurde durchsucht, während ich auf der Liege festgeschnallt war. Mein Rucksack wurde mehrfach durchsucht, ohne was zu finden. Auf dem Weg ins Krankenhaus hat mich der eine Polizist die ganze Zeit zugelabert, aber ich weiß nicht, was er sagte, hab ihn nur benommen angestarrt.
Und was hat man bei Ihnen an Verletzungen festgestellt?
Im Krankenhaus wurde ich gründlich untersucht und es wurde sichergestellt, dass ich keine inneren Blutungen habe. Ich wurde geröntgt, mein rechtes Auge wurde untersucht. Ich habe eine Jochbeinprellung, zum Glück kein Bruch, wie erst vermutet, und eine mittlere Gehirnerschütterung, an der ich noch leide. Das Personal war sehr nett und verständnisvoll. Ich war dann zwei Nächte im Krankenhaus und wurde mit stündlichem Blutdruckmessen usw. überwacht.
Die Polizei blieb im Krankenhaus bei Ihnen? Wurden Sie erkennungsdienstlich behandelt?
Es wurden keine Fotos von mir gemacht oder Fingerabdrücke genommen. Jedenfalls kann ich mich daran nicht erinnern. Mein Vater kam gegen zehn, wurde später von meiner Mutter abgelöst. Da sind die Polizist:innen irgendwann gegangen. Sie hatten noch auf eine Nachricht von der Staatsanwaltschaft gewartet. Gegen halb zwei wurde ich schlafen gelegt.
Wie geht es Ihnen jetzt?
Ich muss aufpassen beim Laufen, weil die Koordination noch nicht ordentlich funktioniert. Ich laufe noch langsam. Heute Morgen (Dienstag, Anm d. Red.), war ich nochmal in der Notaufnahme, weil die Symptome wieder stärker geworden sind. Die haben mich nicht noch einmal dabehalten, aber mir ein Schmerzmittel mitgegeben.
Ihnen wird schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen.
Ja. Das ist natürlich lächerlich, weil wir an dem Ort festgehalten wurden, an dem erst später die Versammlung für aufgelöst erklärt wurde. Wir waren schon im Kessel, als die Demo noch Bestand hatte. Da wurden wir kriminalisiert. Ich habe von Leuten im Kessel gehört, die nicht einmal zur Versammlung gehörten. Von den Leuten, die die Steine warfen, sind viele oder alle gar nicht im Kessel gelandet. Das waren ja auch nur 15, 20 Leute. Wenn die Anklage durchkommt, erwartet mich eine Geldstrafe von mehreren tausend Euro und im Jugendstrafrecht einige Sozialstunden statt Haftstrafe. Es werden sicherlich viele Leute gegen die Polizeigewalt klagen, ich überlege noch. Und vielleicht kann man aus den Prozessen wegen Landfriedensbruch eine Solidaritätskampagne machen.
* Name von der Redaktion geändert
Hinweis: in der ersten Version des Artikels war von einer »behördlich untersagten« Kundgebung die Rede. Das ist falsch. Die Demonstration, um die es im Artikel geht, war von der Stadt Leipzig genehmigt. Wir haben das geändert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Foto: Symbolbild/Pixabay