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Essen & Trinken

Vogelnester auf der Eisenbahnstraße

Baklava-Produktion im Leipziger Osten – eine Bestandsaufnahme

  Vogelnester auf der Eisenbahnstraße | Baklava-Produktion im Leipziger Osten – eine Bestandsaufnahme

Etwas klebrig an den Fingern, zunächst braucht es einen festen Biss. Im Inneren wartet nussig-süßes Pistazienmus, das sich zwischen Zunge und Gaumen formen lässt, dazu knistert Blätterteig. Dieses Geschmackserlebnis liefert ein kleiner, fast schon verträumter Laden am Anfang der Eisenbahnstraße. Arabisch sprechende Kundschaft geht hier ein und aus und auch immer mehr deutschsprachiges Publikum findet den Weg ins Alhalabi. Hier entstehen die besten Baklavas der Stadt – wenn nicht sogar in ganz Sachsen. So sieht es zumindest Ali Sanda, der die Spezial-Bäckerei zusammen mit seinem älteren Bruder und seinem Vater betreibt.

Alhalabi steht für die syrische Stadt Aleppo, vom Arabischen ins Deutsche transkribiert. Prominent gegenüber der gläsernen Theke schmückt ein historisches Bild der dortigen Zitadelle den Raum. Tatsächlich sind die drei Betreiber mit weiteren Familienmitgliedern zwischen 2015 und 2017 aus der Bürgerkriegsstadt nach Deutschland gekommen. 2020 fiel dann die Entscheidung, ins Baklava-Geschäft einzusteigen – und so entstand der eigene Laden. Vorne der Verkauf, hinten die Backstube mit den beiden Öfen, in denen vier große Bleche gleichzeitig gebacken werden können, während eine automatische Rührmaschine permanent neuen Teig durchwalkt. 65 Kilogramm Baklava entstehen hier täglich; wenn größere Bestellungen anstehen, können es auch mehr sein.

Als Nächstes sind Mabrume dran: gehackte Pistazien, eingefasst von einer Teigschicht, die aus lauter kleinen Fäden besteht und deshalb an ein Vogelnest erinnert. Mabrume werden als dicke Rollen produziert, die dann in Scheiben aufgeschnitten werden. Der Vogelnest-Rand ist verhältnismäßig aufwendig zu backen und das Einzige, was Familie Sanda extern bezieht. Das daraus entstehende Baklava-Gebäck ist dagegen, wie alles andere hier, Handarbeit. »Für Baklava braucht man Butter, Zucker, Mehl und Pistazien, mehr nicht«, sagt Ali Sanda. Zunächst kommt der Blätterteig auf die Bleche, dann werden die Pistazien als Mus oder in Stückchen draufgelegt und anschließend wieder mit Blätterteig bedeckt. Bei anderen Varianten formt man kleine Häufchen oder verwendet Gries für die Füllung. Das Kernstück aber bleibt die Pistazie. Datteln oder Nüsse kommen bei den klassisch-arabischen Baklavas eher selten zum Einsatz. Honig, entgegen allen Vorurteilen, nie. Rosenwasser ist jedoch gern gesehen. »Die türkischen Baklavas sind im Grunde gleich, nur übertreiben die es mit der Süße«, findet Sanda. Ein weiterer Unterschied zur arabischen Variante: der stärkere Einsatz von Mandeln und anderen Nüssen. Baklava mit Hasel- und Walnüssen ist wiederum typisch für den Maghreb.

Die Dolma ist eine kleine grüne Rolle: Sie besteht aus nur einer Schicht Blätterteig, darunter schimmert das grüne Pistazienmus durch. Im Gegensatz zu den mitunterTorben Ibs äußerst mächtig wirkenden größeren Baklavas hat die Dolma die Größe eines mundgerechten Happens. Die Herkunft der Spezialität liegt weitgehend im Dunkeln. Die Legenden reichen von einer Erfindung der Assyrer 800 vor Christus über die alten Griechen bis hin zu Rezeptfunden im Jahr 1226. Vermutlich kommt das Grundkonzept aus dem mittelasiatischen Raum, da Blätterteig bei den Nomadenvölkern beliebt war. Fest steht, dass das heutige Baklava-Grundmodell mit seinen Blätterteigschichten und Füllungen im 16. Jahrhundert etabliert wurde. Ursprungsort: das Osmanische Reich. Die Rezepte stammen aus dem Topkapi-Palast, jahrhundertelang Wohn- und Regierungssitz der Sultane. Dennoch konnten sich im großen türkisch-arabischen Raum immer auch regionale Besonderheiten halten oder gar neu entwickeln. Im arabischen Raum dienen die süßen Kleinode mitunter als Frühstück, sind bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebt und ein wichtiger Bestandteil jedes Familienfests.

Den Abschluss macht die Begegnung mit einem weiteren Vogelnest, in dem ganze Pistazien liegen. Der Teig muss erst angefeuchtet, dann geformt, wieder getrocknet und mit Zuckersirup bearbeitet werden. Das Ergebnis: knackig-kross. Der markante Geschmack kommt durch den harten, optisch wie Stroh wirkenden Teig und durch die gesüßten, ansonsten unbehandelten Pistazien. Schluss mit Baklava-Kunde: Ali Sanda muss zurück in die Backstube. Zwei Bleche müssen nach etwa einer Stunde Backzeit raus, die nächsten beiden sind bereits vorbereitet. Danach muss die frische Ware geschnitten und in den Verkaufsraum gebracht werden, wo sein Vater heute die Stellung hält. Die 65 Kilogramm Tagesproduktion sind harte Handwerksarbeit. Belohnt man sich im Hause Sanda auch hin und wieder mit einer Baklava? Ali Sanda winkt ab. »Wenn man den ganzen Tag damit zu tun hat, dann will man auch mal etwas anderes.« Wer Baklava als klebrig-süße Besonderheit sieht, hat im Alhalabi eine Menge zu entdecken. Am besten in Kombination mit einem starken Kaffee.

> Alhalabi, Eisenbahnstr. 14, 04315 Leipzig, Mo–Do 11–20, Fr–So 9–17 Uhr


Foto: Torben Ibs


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