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Kultur

Gegen Klischees

Die Kunstwissenschaftlerin Rita Jorek erhielt die Goldene Ehrennadel der Stadt Leipzig

  Gegen Klischees | Die Kunstwissenschaftlerin Rita Jorek erhielt die Goldene Ehrennadel der Stadt Leipzig  Foto: Christiane Gundlach

»Fadenspiel« heißt das Gemälde von Brigitte Poredda aus dem Jahr 2007. Es hängt im Wohnzimmer der Kunstwissenschaftlerin Rita Jorek, und das nicht ohne Grund. Darauf zu sehen sind Jorek auf der rechten und Elsa Asenijeff auf der linken Seite. Beide verbindet ein roter Faden. 

Elsa Asenijeff, geboren 1867 in Wien, schreibt sich zum Semester 1895/96 an der Leipziger Universität in den Fächern Philosophie, Psychologie und Nationalökonomie ein – allerdings war für Frauen damals nur der Status als Gasthörerin vorgesehen. Bald lernt sie Max Klinger kennen und taucht in den folgenden Jahren immer wieder als Motiv in seinen Arbeiten auf. 1900 wird die gemeinsame Tochter geboren, die in Frankreich bei einer Pflegemutter aufwächst. Asenijeff publiziert, ist im Literaturfeld der Stadt aktiv und tritt für Frauenrechte ein. Nach dem Tod von Klinger wird sie entmündigt, kommt in Heil- und Pflegeanstalten, bis sie 1941 in der Korrektionsanstalt Bräunsdorf stirbt.  

Seit 2011 erinnert auf dem dortigen Friedhof ein Denkmal und seit 2018 in der Leipziger Schwägrichenstraße 10 eine Erinnerungstafel an die Künstlerin und Schriftstellerin. Einen sehr großen Anteil an diesen öffentlichen Erinnerungsorten hat Rita Jorek. Sie nahm den Faden schon vor einigen Jahrzehnten auf, um Leben und Werk Asenijeffs bekannt zu machen, die immer noch oft nur als Lebensgefährtin und Muse von Max Klinger wahrgenommen wird – was nicht nur ihren Anteil an seinem Werk, sondern vor allem ihre eigene Rolle im Frühexpressionismus völlig vernachlässigt. 

Die 1935 in Berlin geborene Rita Jorek studiert Journalistik, Philosophie, Literatur- und Kunstwissenschaften an der Leipziger Universität. Sie arbeitet journalistisch – unter anderem als Kulturredakteurin bei der Leipziger Volkszeitung. Ab 1973 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Verband Bildender Künstler der DDR. Am 30. Juli 1986 hält sie im Museum der bildenden Künste ihren ersten Vortrag über Asenijeff. In der damaligen Sonderausstellung »Von Graff bis Lenbach. Deutsche Bildniskunst des 18. und 19. Jahrhunderts« sind zwei Porträts von Asenijeff zu sehen. Aktuell schreibt Jorek an einem Buch über Asenijeff, in dem sie Klischees ebenso korrigieren will wie die falschen Erzählungen, die über das Leben der Künstlerin immer noch im Umlauf sind. Jorek kann dabei nicht nur auf ein weltweites Netzwerk zurückgreifen, sondern auch auf ein umfangreiches Archiv mit über tausend selbst transkribierten Briefen und Nachrichten zwischen Klinger und Asenijeff. Ein Teil der Briefe ist im Bestand des Stadtgeschichtlichen Museums – im Klinger-Jahr 2020 zeigte das Haus die Ausstellung »Und ich küsse Dich mit allen Gedanken! Elsa Asenijeff und Max Klinger in Briefen und Bildern« (kreuzer 7/2020). Joreks Forschungen bildeten dafür die Basis. In der dazu erschienenen Publikation findet sich nicht nur eine umfangreiche Bibliografie von und zu Asenijeff, sondern auch ein Interview mit der Forscherin.  

»Wir Frauen sind Geschöpfe der immerwährenden Kraftvergeudung« – So lautet das Zitat von Elsa Asenijeff auf der Website zu Frauenporträts vom Referat für Gleichstellung von Mann und Frau der Stadt Leipzig. Als Leipzig 2015 tausend Jahre Ersterwähnung feierte, entstand das Projekt, das der bisher doch sehr von Männern dominierten offiziellen Stadtgeschichtsschreibung 100 Porträts von Frauen hinzufügte. Ein Aufnahmekriterium bestand darin, dass die Frauen schon verstorben sind. Das Porträt von Asenijeff stammt natürlich von Rita Jorek – genau wie auch die zu den Malerinnen Petra Flemming, Marianne Rohland und Elisabeth Voigt, der Formgestalterin Ilse Decho und Edith Mendelssohn Bartholdy, die unter anderem die Leipziger Gruppe der Gedok leitete, die 1926 gegründete Gemeinschaft deutscher und oesterreichischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen, und später deren Ehrenvorsitzende wurde, bis sie nach 1933 als Jüdin keine Ämter und Titel mehr begleiten durfte. 

Rita Jorek leitete die Gedok in Leipzig und Sachsen von 1998 bis 2009 und ist heute ihre Ehrenvorsitzende. Darüber hinaus ist sie Mitglied der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft. 

Für ihr »außerordentliches« Engagement erhielt sie vor wenigen Wochen die Goldene Ehrennadel der Stadt Leipzig. Damit ehrt die Stadt ehrenamtliche Arbeit in den sozialen, sportlichen und kulturellen Bereichen. In der Begründung heißt es, dass sich Jorek »seit vier Jahrzehnten für die Anliegen von Künstlerinnen« und »die Erforschung von Leben und Werk weithin vergessener Künstlerinnen, Pädagoginnen und Frauenrechtlerinnen« einsetzt – unter anderem gab sie die Werke von Helga M. Novak heraus. »Sachkundig, unerschrocken und mutig streitet sie für die Interessen und das Sichtbarmachen von Frauen und Künstlerinnen.« Außerdem gründete sie die Leipziger Blätter mit und war dort als Redakteurin für bildende Kunst tätig. 

 

> Außerdem erhielten am 30. Mai 2023 »für besonderes Engagement« die Goldene Ehrennadel Marion Michel (Leben mit Handicaps), Yameli Gómez Jimenez (Internationale Frauen Leipzig), Henry Lewkowitz (Erich-Zeigner-Haus), Gerald Sehmisch (Schulweg-Begleitung durch die Parthenaue in Thekla), Heike Stellmacher und Tobias Hönig (Kriseninterventionsteam Leipzig), Uwe Gasch (Stadtsportbund Leipzig), Jürgen Jakobeit (Freiwillige Feuerwehr Böhlitz-Ehrenberg), Katrin Hart (Stiftung Bürger für Leipzig) sowie unsere langjährige Gastro-Redakteurin Petra Mewes (Unicef Arbeitsgruppe Leipzig).  


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