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Kinder & Familie

Prekäre Situation

Ein Großteil des Personals an Leipziger Schulbibliotheken ist ungelernt – und ab 2024 wohl arbeitslos

  Prekäre Situation | Ein Großteil des Personals an Leipziger Schulbibliotheken ist ungelernt – und ab 2024 wohl arbeitslos

Der öffentliche Dienst ist für viele attraktiv: unbefristete Verträge, eine betriebliche Altersvorsorge und regelmäßige Gehaltsstaffelungen – ein sicherer Hafen, gerade für Angestellte mit Kindern. All das gilt jedoch nicht für den Großteil des Personals an Leipziger Schulbibliotheken. Für die an staatlichen Schulen tätigen Angestellten sind die Arbeitsverhältnisse prekär. Ein Großteil des Personals in den Schulbibliotheken ist ungelernt und befristet angestellt über ein Projekt, das Ende des Jahres ausläuft. Ein kritischer Zustand – für sie, für ausgebildete Bibliothekare und Bibliothekarinnen, vor allem aber für die Kinder an den Schulen und damit für deren und die gesamtgesellschaftliche Zukunft in Leipzig.

Insgesamt obliegen der Stadt Leipzig 139 Schulen, an 58 von ihnen gibt es eine Schulbibliothek, an weiteren 15 sogenannte Leseräume. Das Personal hierfür wird zum großen Teil über Maßnahmen angestellt, die über das Teilhabechancengesetz nach § 16i SGB II (Zweites Buch Sozialgesetzbuch) laufen. Diese Förderung endet dieses Jahr: »Der Großteil der Arbeitsverhältnisse in insgesamt 73 Schulbibliotheken und Leseräumen endet zum 31. Dezember 2023«, erklärt Martina Menge-Buhk aus dem Referat Kommunikation der Stadt Leipzig. Wie es danach weitergeht, ist bisher unklar. Es ist noch nicht gesichert, ob die Finanzierung über das Programm »Teilhabe am Arbeitsmarkt« durch das Jobcenter fortgeführt werden kann. »Die Stadt Leipzig setzt sich beim Jobcenter nachdrücklich für die Fortführung dieses wichtigen arbeitsmarktpolitischen Instruments ein und hat bereits wiederholt auf die Relevanz dieser Stellen für die Aufrechterhaltung der Angebote in den Leseräumen und Schulbibliotheken hingewiesen«, so Menge-Buhk. Das zuständige Amt für Schule berät indes, wie Schulen die Stellen über freie Träger finanzieren könnten.

Wie ist es möglich, dass das Personal einer Schulbibliothek in öffentlicher Hand überhaupt über befristete Maßnahmeprogramme des Jobcenters finanziert wird? Oder dass demnächst das Personal über freie Träger angestellt wird? »Eine begrenzte Laufzeit solcher Programme ist völlig normal. In jüngster Vergangenheit folgten nach dem Auslauf neue Programme«, so Menge-Buhk. Outsourcing als wirtschaftlicher Flexibilitätsfaktor hat sich zur Normalität entwickelt, auch im Bildungsbereich.

Zum einen stellt sich nun die Frage, was mit dem jetzigen Personal passieren wird. Die in den Schulbibliotheken Eingesetzten sind keine Bibliotheksfachangestellten, sondern ungelernt. Es sollte also darum gehen, deren erworbenes Wissen als Quereinsteiger auch übers Projektende hinaus zu erhalten; neues, vermutlich wieder ungelerntes Personal müsste neu eingearbeitet werden.

Zum anderen und vor allem stellt sich aber die Frage, welche Auswirkungen das auf die Schülerinnen und Schüler weiter haben wird. Geschultes Personal in den Bibliotheken und Leseräumen wäre gerade in Hinblick auf die förderfähige Lesekompetenz von Grundschülerinnen und Grundschülern wichtiger denn je. Auch können die Kinder schwerer einen realen Bezug zur Bibliothek aufbauen, wenn die Fluktuation beim Bibliothekspersonal hoch ist – wovon auszugehen ist, wenn dieses weiter über Projekte, also befristet angestellt wird. Ein wesentlicher, bisher unbeachteter Faktor ist zudem die fehlende pädagogische Kompetenz des Personals. Wie soll Lesekompetenz gefördert werden, wenn es kein Geld für Fachpersonal und pädagogische Impulse in Form von regelmäßigen Angeboten gibt? Wie soll Chancengleichheit gewährt werden, wenn Kinder aus Buch- und lesefreien Haushalten nicht wenigstens in der Schulbibliothek »an die Hand genommen« werden? Die aktuellen Zahlen zeugen von einem erheblichen Bedarf an Leseförderung: Laut diesjähriger IGLU-Untersuchung des Instituts für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund kann jedes vierte Kind nach Ende der Grundschulzeit nicht richtig lesen. Seit der Erhebung der internationalen Vergleichsstudie sinkt dieser Wert stetig, vor allem seit 2016.

Der Stadtrat habe vergangenes Jahr die Festeinstellung für drei Schulstandorte sowie für zwei Schuljahre zwei Arbeitsplätze zusätzlich beschlossen, so Menge-Buhk. Das sind umgerecht vier Prozent, hochgerechnet auf alle Schulbibliotheken und Leseräume in Leipzig. »Seit 1990 wurde der Betrieb von Schulbibliotheken durch die Bibliothekarische Arbeitsstelle umgesetzt, der direkte Einsatz von städtischem Personal in den Schulen ist mit den bereits erwähnten Beschlüssen somit neu und es gibt keinen Vergleich dazu in der jüngeren Vergangenheit«, erklärt Menge-Buhk. Wenn jedes Jahr drei weitere Standorte mit festen Fachstellen besetzt werden würden, hätte Leipzig in 23 Jahren eine solide Schulbibliothekspersonalkultur. Vielleicht wird das in zehn Jahren zumindest nahezu die Hälfte aller Standorte betreffen. Das Problem scheint allerdings weitaus komplexer. Denn Bildung und damit weitestgehend auch deren Finanzierung ist Ländersache. Demnach müsste vor allem das Land Sachsen mehr in die Verantwortung genommen werden und bundeslandweit geschaut werden, wie Schulbibliotheken personaltechnisch nachhaltig aufgestellt werden können. Einem Großteil des Personals in Leipzig wird indes voraussichtlich zum 31. Dezember dieses Jahres gekündigt. Das ist im Jahr 2023 mit Blick auf die IGLU-Studie eine Kündigung für die Hoffnung in das Prinzip Bildung.


Foto: Eric Kemnitz.


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