anzeige
anzeige
kreuzer plus

»Ich bin ja eigentlich ein Pferdemädchen«

Die Connewitzerin Antje Hamel ist nach zehn Jahren im Werk 2 ins Kulturamt nach Markkleeberg gewechselt

  »Ich bin ja eigentlich ein Pferdemädchen« | Die Connewitzerin Antje Hamel ist nach zehn Jahren im Werk 2 ins Kulturamt nach Markkleeberg gewechselt

Zehn Jahre sind Antje Hamels Zeit: Zehn Jahre hat sie im Puschkin gekellnert, zehn Jahre hat sie den City Crash organisiert, zehn Jahre die Öffentlichkeitsarbeit im Werk 2 gemacht. Seit Juni arbeitet die Connewitzerin nun im Markkleeberger Kulturamt. Zeit für ein Gespräch, dachten wir. Und da wussten wir noch gar nichts vom Jurastudium und von den Pferden.

Wann wurden Sie das erste Mal gesiezt und dachten: »Ich werde alt«?

Das war tatsächlich schon während meiner Studienzeit, als ich im Puschkin kellnerte. Da wurde ich schon mal gesiezt.

Wir fragen, weil Sie nach mehr als zehn Jahren in der Duz-Welt, der Freien Szene in der Nato und im Werk 2, gerade ins Kulturamt nach Markkleeberg gewechselt sind, also ins Siez-Feld. Von der Berufsjugendlichen zur endlich Erwachsenen?

So jugendlich bin ich nicht mehr und unser Team in Markkleeberg ist nicht alt, ich bin da nicht die Jüngste. Aber klar, im Vorstellungsgespräch waren wir nicht per Du.

Inwiefern sind das zwei Welten oder andersrum: Was haben die Freie Szene und das Amt gemeinsam?

Erst einmal ist es räumlich gar nicht so unterschiedlich. Das Amt sitzt im Weißen Haus im Park an der Raschwitzer Straße. Da gibt es weniger Graffiti als im Werk 2. Aber wie dort herrscht hier eine gemütliche Atmosphäre. Wir sind fünf Kollegen und sitzen nicht in einem Großraumbüro mit Kunstteppich.

Alle zehn Jahre ist bei Ihnen Zeit für Veränderung, sagten Sie im Vorfeld. Wie haben Sie gemerkt, dass es so weit ist?

Da stellt sich bei mir so ein Bauchgefühl ein. Das kam im Dezember und ich merkte: Ich muss etwas anderes machen. Ich bin ins Großgrundbesitzer-Dasein reingerutscht und wollte mal mit dem Rücken an die Wand kommen. Und ein paar Rentenpunkte zu sammeln, fand ich auch nicht schlecht. Da habe ich Katrin (Katrin Gruel, Geschäftsführerin im Werk 2, Anm. d. Red.) gesagt, dass ich nach Stellen gucke. Das sollte auch nicht so schnell gehen. Ich habe drei Bewerbungen geschrieben. Ich wurde in Markkleeberg eingeladen und erhielt anderthalb Stunden nach dem Bewerbungsgespräch den Anruf: »Sie haben die Stelle!«

Haben Sie eine Auszeit zwischen dem Stellenwechsel genommen?

Ja, ich war eineinhalb Wochen im Urlaub. Gut, das ist nicht so lange.

Was machen Sie dort genau?

Ich bin für die Organisation von Events wie dem Stadtfest zuständig, für die Vereine und auch die Denkmäler. Ich komme aus der Öffentlichkeitsarbeit und mache jetzt mehr Events, wobei ich vorher auch viele Veranstaltungen organisiert habe. Etwa, wenn man die Sommerbühne am Panometer organisiert, die Logistik plant und mit Ämtern zu tun hat.

Das ist jetzt ja vielleicht leichter, so von Amt zu Amt, oder?

Das kann ich noch nicht abschätzen, Ämter kochen ja auch gern ihr eigenes Süppchen.

Wie fühlt es sich an, in Markkleeberg, also nicht in Leipzig zu arbeiten?

Ich wohne ja schon lange in Connewitz, bin sehr gern am See, zum Beispiel wenn ich inlineskaten will. Ich habe Markkleeberg immer als Vorort von Leipzig wahrgenommen, der die Stadt seinerseits schöner macht. Dass man in Leipzig überall schnell im Grünen ist, finde ich lebenswert und dann ist da eben dieser See. Ich habe mal ein halbes Jahr in Madrid gelebt, Hitze und kein Wasser in der Nähe. Da lässt es sich hier schon gut aushalten.

Besteht Ihre Aufgabe auch darin, etwas Connewitz und großstädtischere Kultur nach Markkleeberg zu holen?

Mit dem Kulturamtsleiter Marcus Reitler-Placht ist ja schon etwas Connewitz dort. Es wurde jemand gesucht, der fit im Eventbereich ist, organisieren und mit den Inhalten etwas anfangen kann. Und sicher auch jemand, der Ideen, frischen Wind und Kontakte mitbringt. Es gibt auch schon Überlegungen, etwa mal ein Frauenjahr zu veranstalten, wo wir drei, vier Ausstellungen im Haus von Künstlerinnen zeigen und ein Festival nur mit Frauen auf der Bühne veranstalten. Man muss aber auch den demografischen Unterschied bei den Zielgruppen mitdenken. Und alles ist kleiner und übersichtlicher bei nur 25.000 Einwohnern – das mag ich.

Was werden Sie vermissen oder vermissen es schon jetzt?

Es waren so viele krasse Erlebnisse und Ahas. Na klar vermisse ich das Team, weil wir im Werk – jetzt sage ich schon wieder »wir« – freundschaftlich miteinander umgegangen sind. Ich habe mich mit einem gemeinsamen Grillen verabschiedet und mir auch schon Termine für die Sommerbühne ausgesucht.

Und was wird Ihnen nicht fehlen?

Ich bin gerade froh, hier zu sein. Dass ich mit dem Feierabend die Arbeit auch lassen kann. Das war im Werk eine andere Nummer, wenn du Verantwortung für einen Bereich hast, dann gilt das auch 24 Stunden. In der Freien Szene braucht man viel Leidenschaft und muss gestanden sein, damit einen das nicht auffrisst. In Markkleeberg ist es jetzt geregelter, da bekommst du mit zu vielen Überstunden einen auf den Deckel vom Personalamt. Das konnte ich bei den Dingen, die auf meinem Mist gewachsen sind, die Slams, die Lesebühne, die Rollerdisko, nicht einfach abschalten. Das begründete ja auch die Entscheidung zum Wechsel. Ich wollte einen ruhigeren Job haben, aber einen nicht weniger anspruchsvollen. Das würde mich langweilen. Ich möchte mich in meinem Job selbst verwirklichen und etwas bewirken können, das kann ich jetzt auch. Und natürlich ist jetzt attraktiv, dass man auch mal etwas zurücklegen kann. Das war keine Entscheidung gegen das Werk, sondern für mehr Sicherheit.

Haben die drei Jahre Corona in der Veranstaltungsbranche in die Entscheidung zum Wechsel reingespielt?

Ich hatte keine Corona-Pause. Alles, was wir digital gemacht haben, ging über meinen Tisch. Und bei dem Zusammenschluss mit dem Live-Kommbinat waren wir sehr involviert. Für das Outside-Festival gab es kurzfristig Förderung von der Stadt und wir mussten in vier Wochen das Programm planen. Ich hatte im Prinzip in beiden Jahren den Hut auf und nach dem zweiten gesagt, jetzt reicht’s. Also ich bin nicht in ein Corona-Loch gefallen. Okay, meinen 40. Geburtstag zu fünft in der Küche zu feiern, war scheiße. Aber ich hatte keine Pause.

Und als es dann wieder losging, verliefen die Vorverkäufe schleppend ...

Ja, die Leute waren verunsichert, ob die Veranstaltung stattfindet. Sie wollten nicht das zehnte Ticket am Kühlschrank hängen haben. Daher verschoben sich Veranstaltungen wieder, verlängerte sich der Rattenschwanz noch länger, man buchte immer weiter im Voraus. Ich booke nebenbei noch eine Schweizer Band, mache das amtlich genehmigt weiterhin, und erlebe das auch da.

Welche Band?

Dub Spencer & Trance Hill, eine Dub-Band. Sie spielte erst in der Nato, weil sie aber zu viel Bass und die Nato also Angst vor Ärger mit den Anwohnern hatte, habe ich sie dann ins Werk geholt. Dort wollen wir das nächste Mal eine Sourround-Show machen. Da brauche ich etwas Quadratisches mit guter Anlage.

Vor Ihrer Zeit im Werk 2 waren Sie auch in der Nato, richtig?

Ich habe nach verkorkstem Studium ein Jahr fest angestellt im Puschkin gekellnert, wo ich vorher schon gearbeitet hatte. Dort habe ich auch schon in die Kultur hineingeschaut und habe gesagt: »Wir machen nicht nur eine arabische, sondern auch eine russische Nacht –  wir sind doch das Puschkin!« Danach habe ich anderthalb Jahre in der Nato Öffentlichkeitsarbeit gemacht und bin danach ins Werk.

Nach Leipzig gekommen sind Sie zum Studieren?

Die Entscheidung stand zwischen Tiermedizin und Jura. Ich bin ja eigentlich ein Pferdemädchen, hatte aber eine so gute Abi-Note, dass ich bei Jura gleich genommen wurde. Ich wollte das aus so einem Gerechtigkeitsempfinden studieren, auch wenn ich schnell feststellte, dass das damit nicht viel zu tun hat. Ich hatte die falsche Lernmethode, was ich aber erst feststellte, als ich das erste Examen zum zweiten Mal nicht bestanden habe. Das war schon ein Scheitern. Aber im Nachhinein bin ich sehr froh, dass das passiert ist. Sonst wäre ich heute nicht hier!

Apropos: Sie wollten sich zum Interview in der Feinkost treffen. Abgesehen davon, dass mittlerweile die kreuzer-Redaktion hier ist: Warum?

Während meiner Ausbildung, die ich nach dem abgebrochenen Studium absolviert habe, war ich drei Monate in Barcelona. Ich habe da fotografiert und wurde eingeladen, bei einer Ausstellung mitzumachen. Dabei habe ich doch bloß geknipst! Die hatten jedenfalls ein cooles Konzept, mieteten einen Club und jeder, der irgendwas machte, konnte ausstellen. Dazu ein DJ und Kurzfilme. Das habe ich dann nach Leipzig mitgebracht, die Feinkost gemietet und den ersten City Crash veranstaltet. Ein Fünfer Eintritt, 500 Leute waren da.

Sie sagten, Sie sind ein Pferdemädchen. Wo sind Sie aufgewachsen und geritten?

Ich bin in Naumburg aufgewachsen und immer mit dem Fahrrad nach Großjena gefahren und habe dort die Gegend unsicher gemacht. Aber für Hobbys mit festen Zeiten hatte ich all die Jahre in der Freien Szene keine Zeit. Also mache ich Inlineskaten. Das kann man im Sommer auch spätabends machen. Das passt auch zur Frage von vorhin, was jetzt anders ist. Ich versuche, täglich um sieben aufzustehen und halb neun im Büro zu sein. Ich kämpfe, möchte mich aber daran gewöhnen.

Antje Hamel im Jahr 2008 mit ihrem Pferd
Antje Hamel (rote Mähne) im Jahr 2002 (Foto: Privat)

Sie haben den Cospudener See schon erwähnt – haben Sie andere Lieblingsplätze in Markkleeberg und Leipzig?

Der See ist schon wichtig, und dann gehört er noch zu Markkleeberg und Leipzig. Der ist im Vergleich zu anderen Großstädten schon etwas Besonderes. Einfach mal schnell hinfahren und abschalten, das mag ich. Er ist der Inbegriff, dass man im Sommer hier gut leben kann, ohne zu verreisen. Aus Kultursicht ist das UT Connewitz ein Lieblingsort. Da fühle ich mich einfach wohl, jetzt auch mit dem neuen Sound. Der war früher ja teilweise auf der Toilette besser als im Saal. Das ist so ein Wohnzimmer für mich. … Ach, es gibt so vieles. Ich bin auch gern mal im Westen oder Osten. Aber am liebsten in meinem Kiez in Connewitz.

Connewitz hat deutschlandweit einen falschen Ruf als linksradikales Randaleviertel. Und die CDU warf dem Werk 2 vor, Zentrum für Linksextremisten zu sein, und forderte das Ende der städtischen Finanzierung. Wie gingen Sie damit um?

Das war ja meist vor irgendwelchen Wahlen. Da hieß es, nicht über jedes Stöckchen zu springen. Intern haben wir mal gewitzelt, dass wir in dem SOS-Kinderdorf, das hinterm Werk entsteht, uns die Klein-Antifas erziehen. Im Ernst: Am Anfang war ich da als Öffentlichkeitsfrau noch aufgeregt. Aber man sieht ja auch, wie die Medien dieses Thema immer wieder pushen. Das Werk ist natürlich politisch positioniert, aber die Hauptaufgabe liegt in der Kultur. Und die finanziert ja die Werkstätten, die Kinder- und Jugendarbeit und so viele coole Projekte quer.

Haben Sie schon mal Entsetzen geerntet, als Ihr Gegenüber erfuhr, wo Sie leben?

Ja, klar. Oder es kommen Nachrichten: »Geht es dir gut?« Eine Urlaubsbekanntschaft aus Dortmund fragte mich letztens – sie habe da was über dieses Connewitz gelesen –, ob ich da wohne. Am Tag X stand ich in Markkleeberg im Blüschen bei der Sächsischen Bläserphilharmonie, als die Nachrichten kamen. Und ich schaute dann, wie ich zurückkomme.

Welches Denkmal können Sie als Zuständige denn in Markkleeberg empfehlen?

Ich bin noch nicht ganz drin bei den ganzen Apelsteinen. Da muss ich noch eine Tour durch Markkleeberg machen. Aber klar, da ist der berühmte bunte Wolf …

… der im Wolfswinkel kurz vorm Cospudener See an den letzten hier erlegten Wolf erinnert ...

Genau. Und kurz dahinter auf dem Equipagenweg steht ein Denkmal an die NS-Zeit. Es erinnert an ein ehemaliges Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Ja, das bemerkt man fast nicht. Ansonsten muss ich mich noch einarbeiten.

Sie bereiten gerade das Lichtfest für den September vor. Was ist da zu erwarten?

Es findet am 9. September statt und soll die dunkle Jahreszeit einleiten. Die große Aktion war immer die Ausgabe eines Teelichts in einem Plastikbecher. Das ist nicht sehr nachhaltig, weshalb das wegrationalisiert wurde. Aber wir peppen das Fest anderweitig auf, dass es ein schönes Zusammensein wird. Es gibt ein paar musikalische Acts – da bin ich gerade am Booking –, Mitmachaktionen. Und das Ambiente im Park vorm Weißen Haus ist natürlich toll. Wir werden das Haus nicht nur beleuchten, sondern eine schöne Projektion haben. Da spielen mir meine Kontakte in die Hände. Ich hole jenes Team, das im Rahmen des Outside-Festivals das Völkerschlachtdenkmal bebeamert hat.


Titelfoto: Christiane Gundlach


Kommentieren


0 Kommentar(e)