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Kultur

Fehlgezeichnet

Sachsen fördert ein geschichtsklitterndes Game aus Leipzig

  Fehlgezeichnet | Sachsen fördert ein geschichtsklitterndes Game aus Leipzig

Gibt es ein revisionistisches Serious Game aus Sachsen, in dem arme Deutsche vor der bösen Roten Armee fliehen? Einige Tage lang lautete die Antwort »Ja« bis »Vielleicht«. Jetzt nicht mehr. »Gezeichnet – Unsere Flucht 1945« erschien Mitte Mai auf der PC-Spieleplattform Steam und wurde nach einer Woche wieder zurückgezogen. Ein drastischer Schritt.

Dabei hatte bis Mai alles noch super ausgesehen. Das junge Leipziger Spielestudio Pandabee entwickelte nicht nur fluffigen Casualstoff wie »Portal Golf« oder »Tilt Frog«, sondern auch einen ernsten Titel für den Schulunterricht, um eine »aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht« anzuregen, vor allem bei jungen Menschen – so erklären Pandabee ihre Intention. »Gezeichnet« ging aus einem Semesterprojekt an der hiesigen Macromedia-Hochschule hervor. Die Entwicklungsarbeit wurde vom Zentrum für Kultur und Geschichte (ZKG) begleitet.

Das Projekt kam nicht nur gut an, es war sogar preiswürdig. Beim Games-Innovation-Award Saxony (GIAS) setzte sich »Gezeichnet« als »Bestes Serious Game« durch. Gelobt wurde es in der Laudatio von Journalistin und Jurorin Johanna Daher vor allem dafür, dass es zu einer Erinnerungskultur beitragen könne und zur Diskussion anrege.

Folgerichtig erschien es im Mai gratis auf der Spieleplattform Steam. Auf Twitter fragten Pandabee nach Feedback. Doch Fachkreise für digitale Spiele und Geschichte twitterten grundlegende Bedenken: Weil zu wenig eingeordnet wird, weil die Geschichte die emotionale und subjektive Sicht der jungen Maike einnimmt. Ulrich Mathias Gerr von der Uni Oldenburg erkannte in dem Spiel »ein Narrativ, in dem die deutschen Vertriebenen die eigentlichen Opfer des Zweiten Weltkriegs sind«, während Martin Clemens Winter von der Uni Leipzig das Problem mit einem Wort zusammenfasste: »Geschichtsrevisionismus«.

Pandabee wirken ehrlich betroffen. Sie haben das Spiel offline genommen, wollen es überarbeiten und beteuern dem kreuzer gegenüber, sie fühlten sich »missverstanden«. Das Studio findet deutliche Worte: »Unsere Intention war es zu keinem Zeitpunkt, geschichtsrevisionistisches oder rechtspopuläres Gedankengut zu verbreiten.« Man stehe »entschlossen gegen das nationalistische Gedankengut des Faschismus«. Man wolle nun erst einmal »Feedback, Kritik und Anmerkungen von Experten und Historikern« einholen und das Spiel dann »gewissenhaft« überarbeiten.

Philipp Wehage, Dozent an der Uni Heidelberg, ist Mitglied im Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele. Er teilt die Kritik: Die »Kontextarmut« mache das Spiel »offen für geschichtsrevisionistische Deutungen«. Die Darstellung der Wehrmacht, aber auch der sowjetischen Streitkräfte hält er für problematisch.

Erste Zweifel hätten sich schon bei der Preisverleihung des GIAS heraushören lassen. Dort wurde Pandabee-Co-Gründer Julian Schillinger vom Moderator direkt auf den spärlichen Kontext der Flucht im Spiel angesprochen. »Wir gehen schon davon aus, dass der Spielende grundsätzlich im Bilde ist«, antwortete Schillinger. Das klingt auf den ersten Blick nicht unvernünftig. Erfahrungsberichte von Vertriebenen hätten ja ebenfalls einen Platz im Geschichtsunterricht. Sie müssten nur eingeordnet werden.

Wie viel Einordnung braucht so ein Spiel, um sinnvoll zu einer Diskussion beizutragen? Anja Neubert kann als Geschichtsdidaktikerin an der Uni Leipzig beurteilen, wie das in der Praxis klappen könnte. Nach ihrer Einschätzung scheitern Serious Games in Sachsen in aller Regel schon an Ausstattung, Personal und vor allem einem wenig kompetenzorientierten Lehrplan. Lehrkräfte hätten »wenig Freiheiten« bei der Themenwahl, es gebe »kaum Spielräume, um so ein Spiel zu thematisieren«. Sie erlebe in der Praxis eher selten, dass »Lehrer:innen einen Schwerpunkt auf digitale Spiele sowie deren geschichtskulturelle Analyse und Einordnung setzen«.

Für Neubert haben Serious Games grundsätzlich große Relevanz für einen lebensweltbezogenen und medienkompetenzorientierten Unterricht. Schließlich gehöre es zur Aufgabe des Geschichtsunterrichts, »Quellen zu interpretieren oder Geschichtskultur zu dekonstruieren«. Dem Fach komme daher eine zentrale Rolle im Bereich Medienbildung zu. Im Interview mit Neubert klingt an, dass »Gezeichnet« diesem Anspruch nicht gerecht werden kann: Hierfür fehle es dem Spiel an »Ebenen der Kontextualisierung« und »mehrperspektivischen Zugängen« zu dem sensiblen Thema. Zwar seien Pandabee als Entwickler nicht aus der Verantwortung zu entlassen, allerdings sieht Neubert die Ursache für die »berechtigte Kritik« am Spiel vor allem in schlechter wissenschaftlicher und didaktischer Beratung.

Es ist nicht so, als hätte das junge Team niemanden gefragt. Das ZKG »trug mit allgemeiner zeitgeschichtlicher Beratung, Antworten zu Detailfragen und Überprüfung historischer Bezüge zum Projekt bei«, erklären Pandabee. Die Macromedia-Hochschule lässt ausrichten, sie habe »zwei Semester lang mit der ZKG zusammengearbeitet« und das sei »sehr professionell« gelaufen.

Vielleicht hätte jemand vorher den Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele fragen sollen. Wehage weist darauf hin, dass die »Einordnung des Kontextes für alle historisierenden Serious Games wichtig« sei. Und dass die Initiative »Erinnern mit Games« bereits 2020 ein Handbuch zu genau diesem Thema herausgegeben habe. Es ist online frei verfügbar.

»Geschichte ist mehr als die kontextlose Erzählung eines Einzelschicksals«, erklärt Wehage. Geschichte sei die »systematische und methodische Frage nach dem Kontext von Ereignissen oder Erzählungen«. Das bewusste Stehenbleiben auf der Ebene eines Einzelschicksals offenbare »ein grundlegendes Missverständnis von dem, was Geschichte und kritische Auseinandersetzung mit ihr ist«.

Das war ein Fehler, den Pandabee offen einräumen. Dass er trotz »vieler Teststufen und -schleifen, auch mit externen Personen« nicht vor der Veröffentlichung entdeckt wurde, klingt jedoch schwer erklärbar. Weder Nachfragen des kreuzer noch eine ausführliche Recherche des MDR haben dazu geführt, dass jemand einen Fehler einräumt. Am Ende steht ein Imageschaden für alle Beteiligten: die Macromedia-Hochschule, das ZKG, den GIAS, und nicht zuletzt das sächsische Innenministerium, das die Arbeit gefördert hat.

■ www.stiftung-digitale-spielekultur.de/publications/handbuch-erinnern-mit-games/

Titelbild: PandaBee


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