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Kultur

Von überall nach Wurzen

Der Ringelnatz-Sommer lädt nicht nur mit Lesungen ins Geburtshaus des Nicht-nur-Schriftstellers

  Von überall nach Wurzen | Der Ringelnatz-Sommer lädt nicht nur mit Lesungen ins Geburtshaus des Nicht-nur-Schriftstellers

Am kommenden Freitag startet der Ringelnatz-Sommer. Das Festival zum 140. Geburtstag des Wurzner Stadtdichters Joachim Ringelnatz beinhaltet nicht nur Lesungen, sondern auch eine Podiumsdiskussion, eine Vernissage, Führungen und Konzerte.

Mit barockem Knarren öffnet sich die zweiflüglige Holztür. In der Eingangshalle des Geburtshauses von Joachim Ringelnatz riecht es noch frisch gestrichen, das Gebäude wurde nach umfangreicher Sanierung im April 2023 wiedereröffnet. Viola Heß, Vorsitzende des Joachim-Ringel­natz-Vereins, und Katrin Hanisch, Kulturmanagerin, im Gespräch über die Geschichte des Hauses, den Ringelnatz-Sommer und die verborgenen Seiten eines Multikünstlers. 

Ringelnatz ist schon als Fünfjähriger aus Wurzen weggezogen und in seinem Leben viel herumgekommen. Warum ist sein Geburtshaus trotzdem so wichtig für die Erinnerungskultur? 

VIOLA HESS: In seinem Gesamtwerk findet sich wirklich wenig über Wurzen. Er sagte selbst, dass die meisten Erinnerungen aus Erzählungen der Erwachsenen stammen. Es ist eben die Stadt, von der aus er aufgebrochen ist. Die Straße hier heißt ja »Cros­tigall« und wir haben unsere Dauerausstellung »Vom Crostigall nach überall« genannt. Dabei bildet die Gedichtsammlung »Reisebriefe eines Artisten« den Mittelpunkt. Unser Kurator ist in die Städte gefahren, in denen Ringelnatz aufgetreten ist, und hat dort kleine Videobeiträge ge-dreht, die Teil der Ausstellung sind.

Ursprünglich war das Haus ein sogenanntes Stadtgut. Was heißt das? 

HESS: Durch den Crostigall führte die Via Regia. Als es noch keine Brücke über die Mulde gab, sind die Händler hier durch eine Furt gezogen. Und wenn das Wasser zu hoch stand, mussten sie irgendwo warten. In einem Stadtgut konnten die Händler ihre Gespanne unterstellen und wurden versorgt. War die Mulde dann flach genug, zogen sie weiter. 1718 kaufte der Stifts- und Domherr Carl Jacob Marschall das An­wesen und machte aus der Bausubstanz des ehemaligen Bauernhauses dieses Barockhaus. Der Ziergiebel zeigt noch das große M und die Jahreszahl des Baus.

Die Stadt wollte das halb verfallene Gebäude 2016 verkaufen. Was geschah dann? 

HESS: Wir haben uns gesagt: Das können wir nicht machen! – Und haben in Wurzen sowie in ganz Deutschland Ringelnatz-Freunde aktiviert. Gleichzeitig mussten wir natürlich Modelle finden, wie man ein solches Haus betreiben kann. 2017 sind wir in das marode Ding eingezogen, mit Kerzen auf der Treppe und Notwasseranschluss. Dann haben wir angefangen, hier Veranstal­tungen zu machen, und hatten Erfolg damit. So kam der Beschluss von der Stadt: Wenn es läuft, können wir auch sanieren.

Mit welchem Konzept betreiben Sie das Veranstaltungsprogramm? 

KATRIN HANISCH: Wir kümmern uns um Ringelnatz als Multikünstler. Natürlich war er in erster Linie für seine Gedichte be-kannt, aber wir verstehen uns als kleines sächsisches Literaturhaus mit Kleinkunstbühne, womit wir unter anderem aufgreifen, dass Ringelnatz auch auf der Bühne stand, Kabarettist war und damit seinen Lebensunterhalt verdient hat. Es sollen auch keine falschen Erwartungen entstehen: Die Lebensausstellung zu Ringelnatz ist im Kulturhistorischen Museum Wurzen. Und wir transportieren hier Ringelnatz’ Dichtung und die artistische Kunst in die Gegenwart.

Hinter alldem steht ein Verein, richtig?

HESS: Aktuell haben wir deutschlandweit 140 Mitglieder. Also, wir können sagen: Wir sind aus dem Provinz-Status raus. Und das war wichtig, denn man wird im Umland von Leipzig schwer wahrgenommen. Und das ist unser Problem: Wenn wir uns auf das Wurzener Publikum beschränken, floppt unser Konzept. Wir sind auf die Aufmerksamkeit aus Leipzig, Halle und Dresden angewiesen und müssen als erlebenswertes literarisches Umland wahrgenommen werden.

Womit locken Sie das Leipziger Publikum in dieses »erlebenswerte literarische Umland« zum Ringelnatz-Sommer, der im August bereits zum 23. Mal stattfindet? 

HANISCH: Als prominenten Gast haben wir Corinna Harfouch im Programm, gemeinsam mit Hannes Gwisdek. Die Lyrik steht im Mittelpunkt, es gibt aber auch Erzählerisches, Kino, Theater, Musik. Dieses Jahr haben wir als »Schirmpoeten« José F. A. Oliver – er ist Lyriker und Präsident des PEN-Zentrums Deutschland –, daher folgen wir dem inhaltlichen roten Faden »Ringelnatz, Kurt Tucholsky und Else Lasker-Schüler als unterdrückte Schriftsteller:innen«. Wir bieten auch leichte Muse, aber eben auch das. So, wie bei Ringelnatz beides da war: die Leichtigkeit, die er nie gehabt hätte, wenn er nicht auf der anderen Seite auch übers Scheitern Bescheid gewusst hätte.

Haben Sie eine Lieblingszeile von Ringel­natz?

HESS: Ja, aus einem Gedicht, das Ringel­natz schrieb, als seine Freundin Asta Nielsen von einem Treffen mit Hitler und Goebbels kam und sich mit ihren Freunden über die Frage beraten hat, wie sie mit dem Angebot umgehen soll, für diese Machthaber die große Diva mit eigenem Filmstudio zu werden. Die letzten Zeilen finde ich sehr berührend: »Der Tod geht stolz spazieren. Doch Sterben ist nur Zeitverlust – Dir hängt ein Herz in deiner Brust, Das darfst du nie verlieren.«

■ Ringelnatz-Sommer: 4.–13.8., Ringelnatz-Geburtshaus, Crostigall 14, 04808 Wurzen, Do/Fr, So 14–17 Uhr, 
www.ringelnatz-verein.de


Titelbild: Viola Heß und Katrin Hanisch im Geburtshaus Joachim Ringelnatz’, Foto von Alexandra Huth


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