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Kultur

Kraftvoll unverständlich

Rezension: Das Exil-Театру Драматургів entfesselt einen Sog ukrainischer Stimmen

  Kraftvoll unverständlich | Rezension: Das Exil-Театру Драматургів entfesselt einen Sog ukrainischer Stimmen  Foto: Peter R. Fiebig

»Nicht sterben, leben, leben.« – Im Stakkato erklingen die ukrainischen Worte, deren deutsche Übersetzung in knallendem Gelb auf den Hintergrund projiziert wird. Leben um jeden Preis, und doch schafften es nicht alle. »Die Realität ist krasser als jeder Text«, heißt es später. »Pixel – Drohne – Frosch – Schmetterling – russisches Kriegsschiff – Krim-Brücke«, donnert mittendrin zu Beats in den Bühnenraum, wird vor den »russischen Touristen« gewarnt. Andere Passagen bleiben unübersetzt, erschließen sich nur Ukrainisch-Kundigen. Aber auf Verstehen zielt »Ship. Bridge. Body« offenbar ohnehin nicht, geht es doch immer wieder um das Unfassbare des Krieges, genauer: des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, das ukrainische Künstlerinnen und Künstler sowie eine deutsche Künstlerin im Dresdner Kunstzentrum Hellerau thematisieren.

Im März 2022 hätte in Kyjiw das Театру Драматургів/Theatre of Playwrights eröffnen sollen. Dann kam der Krieg. Die Kunstschaffenden flohen, fanden unter anderem an der Leipziger Schaubühne Lindenfels Schutzraum und ein Interim. Hier entwickelten und kuratierten sie die vergangenen Monate den Spielplan. 
(s. kreuzer 3/2023) Hier wurde zum Teil auch für »Schiff. Brücke. Körper« geprobt. Ob und wie der Abend in Leipzig zu sehen sein wird, ist noch unbekannt. Das Театру Драматургів wird hier aber weiterarbeiten.

So entstand aus diesem Kollektiv heraus im Exil der fragmentarische Abend, der Ende Juni zugleich das Hellerauer 
Nebenan-Festival eröffnete, das unabhän­gige Kunst aus der Ukraine zeigt. Dass dieses Theater der Stückeschreiberinnen und Dramatiker nicht aus einem Stück oder gar mehreren besteht, sondern aus gar keinem, ist eine Überraschung. Denn es ist vor allem Textfläche, der es an Szenischem mangelt.

Zwölf Beteiligte arrangierten gemeinsam Personenaufstellungen und Tumulte um Texte, die von den drei im Titel genannten Themen handeln. Acht Performerinnen und ein Performer agieren dabei im weißen, leeren Bühnenraum – manchmal, oft rezitieren sie lediglich stehend. Ihre weißen Oberteile sind zum Teil mit roter Farbe markiert, was wahrscheinlich Blut und Wunden andeuten soll. Um solche Gewalt und Tod geht es auch in den Texten. Der geschundene Körper einer Ballerina, aber auch Zurichtungen der Sex-Industrie oder so ähnlich kommen darin vor. Die Krim-Brücke wird per Video-Einspielung gesprengt, gesprengt und gesprengt. Ein Boot nimmt Flüchtende auf. Ob man sich überhaupt entziehen darf, wird gefragt, bevor der Text abbricht, weil die Realität krasser ist. Kraftvolle musikalische Auftritte, die Neunziger-Hits aufnehmen und teils live instrumentiert sind, halten das Unfassbare nicht zusammen, aber die Aufmerksamkeit des Publikums hoch. »This is not a Lovesong.«

Da trommelt sich ein Performer in Trance und entfesselt einen energetischen Sog, in einem Wave-Punk-Song triumphieren mehrere weibliche Stimmen. Es sind überhaupt Frauen, die diesen Abend nicht nur durch ihre Anzahl, sondern Perspektiven dominieren. Wild und zügellos sind solche wirklich performten Momente, während in anderen etwas wie Leid oder Verzweiflung aus den verrenkten Körpern spricht. Klassischer (Ballett-)Tanz trifft auf unorganisiert zuckende Leiber, Discofox und Gruppenreigen. Das hat in vielen Momenten auch Aspekte der Selbstverge­wisserung, etwas Therapeutisches, das viel mehr nach innen wirkt, als es nach außen hin fürs Publikum verständlich ist.

Kämpferische Posen wie eine ausgestreckte Faust nimmt eine Performerin derart krampfhaft ein, dass sie diese der Lächerlichkeit preisgibt. Hohle Gesten, denen nichts Heroisches anhaftet. Diese Collage will keine Durchhalteparole sein, sondern vielstimmige Plattform für Kunstschaffende, die in ihrem Zuhause der Bedingungen für die Möglichkeit beraubt wurden, Kunst zu schaffen. Dass sie die in der Schaubühne und in Hellerau finden konnten, scheint die wesentliche Botschaft dieser 60 dramaturgisch wenig bearbeiteten Minuten zu sein oder zumindest die verständlichste. »Die Realität ist krasser als jeder Text.«


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