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Früher Vogel fängt den Müll

Rundgang mit der Frühschicht der Leipziger Straßenreinigung

  Früher Vogel fängt den Müll | Rundgang mit der Frühschicht der Leipziger Straßenreinigung  Foto: Leon Joshua Dreischulte

Sie halten unsere Straßen sauber, entsorgen Müll und tote Tauben. Danke! Wir haben die Leipziger Straßenreinigung eine Frühschicht lang begleitet und viel gelernt.

Ein Dienstagmorgen. Um kurz nach sechs Uhr herrscht gähnende Leere auf dem Richard-Wagner-Platz, ist bis auf das Quietschen einer vorbeifahrenden Tram, Vogelgezwitscher und dem Motorengeräusch des orangefarbenen Mülltransporters nichts zu hören. Martin Schiller zieht den Autoschlüssel aus dem Zündschloss, hüpft vom erhöhten Fahrersitz und schließt den Wagen ab. Er schnappt sich eine Greifzange und einen blauen 120-Liter-Müllbeutel von der Ladefläche des Pritschenwagens und macht sich an die Arbeit. Herumfliegende Werbezettel, leere Bierflaschen, halbvolle Bubble-Tea-Becher – alles, was nicht auf Straßen, Gehwege und Grünflächen gehört, landet im Müllsack.

Nächster Halt: Willy-Brandt-Platz gegenüber vom Hauptbahnhof. Auch dort warten bereits drei volle Müllsäcke auf Schiller, die die zahlreichen Passantinnen und Passanten gekonnt umrunden. Ein paar Meter weiter winkt er einem Kollegen zu, der angestrengt versucht, einen ausgebeulten Papierkorb wieder in seine Halterung zu stecken, bevor er seine Route fortsetzt. Aus dem kleinen Park hinter ihm ertönt das Klirren von Glasflaschen.

Ein unerwartetes Geräusch für neun Uhr morgens. Um eine Parkbank herum verteilen sich fünf Männer, die sich jeweils mit einem Bier in der Hand zuprosten. Neben ihnen stehen zwei Einkaufswagen gefüllt mit Schlafsäcken und Isomatten. Die meiste Zeit würden die Kräfte der Straßenreinigung nicht beachtet werden, aber manchmal komme es schon zu einer verbalen Auseinandersetzung. Am häufigsten mit Menschen, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stünden und sich auf ihren »Stammplätzen« von Schiller und seinen Kolleginnen und Kollegen gestört fühlten. Je nach Bedarf werden Schulungen für die Stadtreinigerinnen und Stadtreiniger organisiert, die ihnen Hilfestellungen für Konfliktsituationen mit »schwierigen Bürgern« an die Hand geben sollen. Auch Schiller hat so eine Schulung mitgemacht. Ob das was gebracht habe? Er zuckt mit den Schultern. »Eigentlich hilft nur ignorieren und weggehen.«

Vier Erdumrundungen

Der mittlerweile gut beladene Mülltransporter kämpft sich zwischen Passantinnen und Passanten durch die engen Wege des Stadtzentrums, bis er in die Einfahrt eines großen Innenhofes abbiegt. In der Mitte des grau gepflasterten Hofes steht eine orangefarbene Müllpresse. Ein Müllsack nach dem anderen wird in das Innere des Metallcontainers geworfen. Ungefähr zwei- bis dreimal muss der Transporter pro Frühschicht hier entladen werden. Jetzt biegen auch langsam alle anderen fünf Straßenreinigerinnen und Straßenreiniger in den Hof ein. Fürs Team der Frühschicht heißt es pünktlich um zehn Uhr »Mittagspause«.

Betriebshof mit Müllpresse
Sammelstelle: Auf dem Betriebshof kommt der Müll zusammen.

Angekommen in dem kleinen Pausenraum, lassen sie sich mit einem Seufzer auf die Holzstühle fallen. Orangene Westen mit silbernen Reflektorstreifen werden über die Stuhllehnen gehängt, schwarze Kappen mit »Verdi«-Aufschrift auf dem Esstisch abgelegt, Softdrinks und Brötchen ausgepackt. Über vier Jahre arbeitet die Gruppe schon in dieser Konstellation zusammen – manche sind seit mehr als 25 Jahren bei der Stadtreinigung, andere wie Schiller seit zehn Jahren. Und alle sind auf unterschiedlichen Wegen dort gelandet. Neben Martin Schiller, der eigentlich als Tischler ausgebildet wurde, befindet sich auch ein gelernter Koch im Team. Nach einer halben Stunde klopft der Erste auf den Tisch.

»Weiter geht’s!« Fünf bis acht Kilometer legen die manuellen Kräfte zu Fuß pro Schicht zurück. Die Hälfte haben sie schon geschafft. Jetzt noch weitere vier Stunden, bis sie von der Spätschicht abgelöst werden. Insgesamt werden laut Angaben der Stadtreinigung pro Jahr gut vier Erdumrundungen Gehweg und Fahrbahn in Leipzig gereinigt – das sind rund 179.127 Kilometer.

Als Kraftfahrer bleibt Martin Schiller der Fußweg heute erspart. Trotzdem freut er sich auf den Feierabend, denn morgen früh klingelt sein Wecker wieder um vier Uhr. »Manchmal fragt man sich schon: Warum tun wir das jeden Tag? Aber was uns antreibt, sind die Leute, die nach Leipzig kommen, eine saubere Stadt erleben und ein Lächeln im Gesicht haben.«

HANNAH SWIATEK


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