Sie halten unsere Straßen sauber, entsorgen Müll und tote Tauben. Danke! Wir haben die Leipziger Straßenreinigung eine Frühschicht lang begleitet und viel gelernt.
Ein Dienstagmorgen. Um kurz nach sechs Uhr herrscht gähnende Leere auf dem Richard-Wagner-Platz, ist bis auf das Quietschen einer vorbeifahrenden Tram, Vogelgezwitscher und dem Motorengeräusch des orangefarbenen Mülltransporters nichts zu hören. Martin Schiller zieht den Autoschlüssel aus dem Zündschloss, hüpft vom erhöhten Fahrersitz und schließt den Wagen ab. Er schnappt sich eine Greifzange und einen blauen 120-Liter-Müllbeutel von der Ladefläche des Pritschenwagens und macht sich an die Arbeit. Herumfliegende Werbezettel, leere Bierflaschen, halbvolle Bubble-Tea-Becher – alles, was nicht auf Straßen, Gehwege und Grünflächen gehört, landet im Müllsack.
Dann lässt der 35-Jährige den Blick zu den kleinen Papierkörben und großen »Garagen« wandern. So nennen die Mitarbeitenden der Straßenreinigung die 1,50 Meter hohen, quaderförmigen Abfallbehälter. Zu dieser frühen Uhrzeit muss nur einer davon geleert werden. »Vor allem bei den größeren Mülltonnen ist oft das Problem, dass Leute, die Pfand sammeln, da reingreifen und die Müllsäcke zerreißen«, erklärt Martin Schiller und zeigt mit seinem Arbeitshandschuh auf eine der Garagen. Dann könne man den Beutel nicht mehr von außen fassen, sondern müsse in den Eimer reingreifen und den Müll einzeln einsammeln. Gerade bei spitzen Gegenständen wie Glas oder Spritzen sei das auch trotz Handschuhen gefährlich. Er zieht sich den linken Handschuh aus, um den dünnen Baumwollstoff zu demonstrieren. »Die größte Sauerei machen aber angezündete Mülleimer«, sagt er kopfschüttelnd. Das betreffe jedoch meistens nur die Spätschicht.
Hundekot, tote Tiere, Erbrochenes
Zusammen mit fünf anderen Straßenreinigerinnen und Straßenreinigern bildet Martin Schiller alle zwei Wochen das Team für die Frühschicht im Leipziger Zen-trum. Dann sind sie von Montag bis Samstag jeweils von sechs Uhr bis halb drei im Innenstadtbereich unterwegs. In den anderen Wochen besetzen sie die Spätschicht bis 22 Uhr. Die wird an fünf statt sechs Tagen die Woche eingesetzt. Nach 20 Minuten zeigt sich Schiller mit der Arbeit auf dem Platz vorm Shopping-Center zufrieden und läuft mit einem halb vollen Müllsack zurück zum Wagen. Dort zieht er aus der Ablagefläche unter der Windschutzscheibe eine DIN-A4-Karte heraus, auf der sechs farbige Routen markiert sind. Das sind die Laufrouten von Schillers Kolleginnen und Kollegen, die zu Fuß in der Innenstadt unterwegs sind. Als Kraftfahrer, auch Vorarbeiter genannt, ist Schiller heute »Mädchen für alles«: Er fährt die verschiedenen Wege ab, unterstützt die manuellen Arbeiterinnen und Arbeiter und sammelt Müllsäcke mit dem Transporter ein.
Vom einen Ende geht es im Schritttempo ans andere Ende des Innenstadtrings. Währenddessen scannt der Straßenreiniger die Gehwege links und rechts. Angekommen am Wilhelm-Leuschner-Platz, lehnt seine Kollegin gerade zwei volle Müllsäcke an eine Straßenlaterne. Neben ihr stehen ihre Requisiten: ein Putzkarren ausgestattet mit Müllbeuteln, Besen und Greifzange. Während Martin die Säcke auf die Ladefläche wirft, erzählt sie nüchtern: »Da drin ist schon wieder eine tote Taube. Hab ich vorhin eingesammelt«. Hinterlassenschaften von Tier und Mensch entfernen, so fassen die beiden ihre tagtägliche Arbeit zusammen. Dazu gehöre eben unter anderem auch Hundekot, tote Tiere und Erbrochenes.
Mehr Menschen, mehr Müll
Mittlerweile füllt sich die Innenstadt. Die ersten Studierenden düsen mit dem Fahrrad Richtung Uni-Campus und Berufstätige eilen mit Coffee-to-go-Bechern durch die Straßen. Martin schaut aus der Fensterscheibe des Transporters heraus und beobachtet eine junge Frau, die ihren Pappbecher in der Mitte eines randvollen Müllkorbs stapelt – so behutsam, als würde sie Jenga spielen und bei der kleinsten falschen Bewegung der gesamte Müllberg in die Tiefe auf den Bürgersteig stürzen. »Nur weil jetzt weniger Plastikverpackungen ausgegeben werden, heißt das nicht, dass es insgesamt weniger To-Go-Abfälle gibt.«
In der Abfallbilanz des letzten Jahres verzeichnete die Stadtreinigung im Vergleich zu den Vorjahren eine Zunahme an Müll in den rund 4.000 städtischen Papierkörben. Laut dem Eigenbetrieb Stadtreinigung ist das unter anderem auf den deutlichen Einwohnerzuwachs zurückzuführen. »Es gibt immer mehr Menschen, also auch immer mehr Müll, aber viel zu wenige von uns«. Mit »uns« meint Martin Schiller die rund 900 Menschen, die bei der Stadtreinigung Leipzig arbeiten. 208 davon sind in der Abteilung Straßenreinigung tätig.
Schiller zückt sein Handy. Kurz nach acht zeigt die Uhrzeit auf dem Display an. Zeit, sich einen Kaffee zu holen. Er schnappt sich seine neon-orangefarbene Jacke, schüttelt sich kurz, als er die Autotür aufmacht und schaut in den mit grauen Wolken bedeckten Himmel. Gestern hätten sie noch bei Sonnenschein im T-Shirt arbeiten können. Er wolle sich aber nicht beschweren. Im Gegenteil: Ihr Arbeitspensum sei sehr stark wetterabhängig und wenn es kühl und bedeckt ist, werde vermutlich nicht ganz so viel zu tun sein. Bei schönem Wetter und vielen Menschen in der Stadt, seien die kleinen Mülleimer teilweise alle 15 bis 30 Minuten voll.
Umgang mit »schwierigen Bürgern«
Nächster Halt: Willy-Brandt-Platz gegenüber vom Hauptbahnhof. Auch dort warten bereits drei volle Müllsäcke auf Schiller, die die zahlreichen Passantinnen und Passanten gekonnt umrunden. Ein paar Meter weiter winkt er einem Kollegen zu, der angestrengt versucht, einen ausgebeulten Papierkorb wieder in seine Halterung zu stecken, bevor er seine Route fortsetzt. Aus dem kleinen Park hinter ihm ertönt das Klirren von Glasflaschen.
Ein unerwartetes Geräusch für neun Uhr morgens. Um eine Parkbank herum verteilen sich fünf Männer, die sich jeweils mit einem Bier in der Hand zuprosten. Neben ihnen stehen zwei Einkaufswagen gefüllt mit Schlafsäcken und Isomatten. Die meiste Zeit würden die Kräfte der Straßenreinigung nicht beachtet werden, aber manchmal komme es schon zu einer verbalen Auseinandersetzung. Am häufigsten mit Menschen, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stünden und sich auf ihren »Stammplätzen« von Schiller und seinen Kolleginnen und Kollegen gestört fühlten. Je nach Bedarf werden Schulungen für die Stadtreinigerinnen und Stadtreiniger organisiert, die ihnen Hilfestellungen für Konfliktsituationen mit »schwierigen Bürgern« an die Hand geben sollen. Auch Schiller hat so eine Schulung mitgemacht. Ob das was gebracht habe? Er zuckt mit den Schultern. »Eigentlich hilft nur ignorieren und weggehen.«
Vier Erdumrundungen
Der mittlerweile gut beladene Mülltransporter kämpft sich zwischen Passantinnen und Passanten durch die engen Wege des Stadtzentrums, bis er in die Einfahrt eines großen Innenhofes abbiegt. In der Mitte des grau gepflasterten Hofes steht eine orangefarbene Müllpresse. Ein Müllsack nach dem anderen wird in das Innere des Metallcontainers geworfen. Ungefähr zwei- bis dreimal muss der Transporter pro Frühschicht hier entladen werden. Jetzt biegen auch langsam alle anderen fünf Straßenreinigerinnen und Straßenreiniger in den Hof ein. Fürs Team der Frühschicht heißt es pünktlich um zehn Uhr »Mittagspause«.
Angekommen in dem kleinen Pausenraum, lassen sie sich mit einem Seufzer auf die Holzstühle fallen. Orangene Westen mit silbernen Reflektorstreifen werden über die Stuhllehnen gehängt, schwarze Kappen mit »Verdi«-Aufschrift auf dem Esstisch abgelegt, Softdrinks und Brötchen ausgepackt. Über vier Jahre arbeitet die Gruppe schon in dieser Konstellation zusammen – manche sind seit mehr als 25 Jahren bei der Stadtreinigung, andere wie Schiller seit zehn Jahren. Und alle sind auf unterschiedlichen Wegen dort gelandet. Neben Martin Schiller, der eigentlich als Tischler ausgebildet wurde, befindet sich auch ein gelernter Koch im Team. Nach einer halben Stunde klopft der Erste auf den Tisch.
»Weiter geht’s!« Fünf bis acht Kilometer legen die manuellen Kräfte zu Fuß pro Schicht zurück. Die Hälfte haben sie schon geschafft. Jetzt noch weitere vier Stunden, bis sie von der Spätschicht abgelöst werden. Insgesamt werden laut Angaben der Stadtreinigung pro Jahr gut vier Erdumrundungen Gehweg und Fahrbahn in Leipzig gereinigt – das sind rund 179.127 Kilometer.
Als Kraftfahrer bleibt Martin Schiller der Fußweg heute erspart. Trotzdem freut er sich auf den Feierabend, denn morgen früh klingelt sein Wecker wieder um vier Uhr. »Manchmal fragt man sich schon: Warum tun wir das jeden Tag? Aber was uns antreibt, sind die Leute, die nach Leipzig kommen, eine saubere Stadt erleben und ein Lächeln im Gesicht haben.«
HANNAH SWIATEK