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Gewalt Schwarz auf Weiß

Polizeiliche Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung: Was sagen uns Zahlen über häusliche Gewalt in Sachsen?

  Gewalt Schwarz auf Weiß | Polizeiliche Kriminalstatistik und Dunkelfeldforschung: Was sagen uns Zahlen über häusliche Gewalt in Sachsen?  Foto: Viarami/Pixabay

Politisch motivierte Kriminalität, Wohnungseinbrüche, Autodiebstahl: Auf all diese Delikte kommt der sächsische Innenminister Armin Schuster zu sprechen, als er im März 2023 die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Vorjahres vorstellt. Das Thema häusliche oder partnerschaftliche Gewalt? Offenbar nicht erwähnenswert. »Sachsen ist und bleibt ein sicheres Bundesland«, resümiert der CDU-Politiker. Doch das gilt nicht für alle Menschen im Freistaat.

Im Gegenteil: Die Hälfte der Bevölkerung ist von geschlechtsspezifischer Gewalt bedroht. Seit Jahren steigt die Zahl der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung laut PKS. Etwa 90 Prozent der Opfer sind Frauen, die Täter meistens eigene Partner, Ex-Partner oder Ehemänner. Das heißt, sexualisierte Übergriffe finden oft im vermeintlich sicheren (Wohn-)Raum statt – und zählen somit zu häuslicher Gewalt. Betroffene werden darüber hinaus zur Zielscheibe für Bedrohungen, Schläge oder Stalking. Doch nur die wenigsten Delikte werden überhaupt zur Anzeige gebracht. Die offizielle Kriminalstatistik der Polizei bildet daher bloß einen kleinen Teil der Taten ab, den man als Hellfeld bezeichnet.

Die Dunkelfeldforschung beweist, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist. Jüngst bestätigte eine Studie der Hochschule Merseburg: Nur etwa fünf Prozent der Taten werden angezeigt und tauchen somit im Hellfeld der PKS auf. Befragt wurden für die Studie Frauen in Sachsen zu Betroffenheit von sexualisierter, partnerschaftlicher und häuslicher Gewalt sowie Stalking. »Dunkelfeldstudien machen deutlich, wie alltäglich sexualisierte Gewalt und Gewalt insgesamt in der Gesellschaft sind. Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist sinnvoll, um zu schauen: Was kommt zur Anzeige, wie sind die weiteren Verfahren?«, sagt Studienleiter Heinz-Jürgen Voß. Er ist seit 2014 an der Hochschule Merseburg Professor für Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung und forscht unter anderem zu Prävention von sexualisierter Gewalt und Förderung geschlechtlicher und sexueller Selbstbestimmung. Nahezu alle in der Studie befragten Frauen haben bereits mehrmals in ihrem Leben Belästigung erlebt. Wurden sie zu sexuellen Handlungen gezwungen, fanden die Übergriffe meistens im eigenen Wohnumfeld statt.

»Es ist schambehaftet, sich überhaupt anzuvertrauen. Es wird häufig verbreitet – zum Beispiel durch den gewalttätigen Partner –, dass die Person lügen würde«, so Voß. Dadurch seien die Befragten gehemmt, Täter anzuzeigen. Wenn sich Betroffene dann doch trauen, zur Polizei zu gehen, fühlen sie sich häufig nicht ernst genommen: In der Studie berichteten Frauen davon, dass Beamtinnen und Beamte Witze über sie gemacht, ihnen, also den Opfern die Schuld gegeben oder von einer Anzeige abgeraten hätten. »Im Moment ist die deutsche Gesellschaft darauf ausgerichtet, Täter unentwegt zu entschuldigen«, so Voß. Wenn ein Mann »seine« Ehefrau ermordet, werde schnell eine psychische Krankheit vermutet oder von einem Familiendrama gesprochen.

Es bräuchte mehr geschulte Polizistinnen und Polizisten, die mit den Themen Sexualität und Missbrauch sensibel umgehen können. In Leipzig finden Weiterbildungen in diesem Bereich bereits statt. Die Vorstufen von Gewalt – Bedrohung oder Erpressung – werden jedoch zu selten ernst genommen: Sie sind entweder nicht schwerwiegend genug, um strafrechtlich verfolgt zu werden, oder schwer nachzuweisen. Den Verantwortlichen fehle es darüber hinaus oft an Zeit, so Voß: »Wenn eine von häuslicher Gewalt oder Stalking betroffene Person sich anvertraut, dann muss es möglich sein, auch wenn ein:e Polizeibeamt:in viel zu tun hat, zu sagen: ›Hier sitzt gerade eine Betroffene, das ist jetzt wichtig.‹«

Noch größere Baustellen hinsichtlich Gewaltschutz gibt es jedoch in der Justiz. Langwierige Gerichtsverhandlungen stellen eine hohe Belastung für die Betroffenen dar – auch finanziell. Die Justiz hat außerdem erheblichen Handlungsbedarf, was die Sicherheit von Betroffenen angeht. Wenn beispielsweise eine Mutter mit Kind in einer neuen Wohnung Schutz sucht, wird in manchen Fällen durch das Gericht oder das Jugendamt der aktuelle Wohnsitz des Kindes – und damit auch der Mutter – für den Gewalt ausübenden Vater zugänglich. Betroffene müssten in dem Fall um ihre eigene Unversehrtheit und die ihrer Kinder bangen. Die Befragung der Hochschule Merseburg zeigt jedoch auch: Wer rechtliche Schritte einleitet, ist hinterher meist mit dieser Entscheidung zufrieden. Trotz der Hürden ermutigt Voß daher Betroffene, Hilfe zu suchen und Anzeige zu erstatten.

Vor diesem Hintergrund müssen die seit Jahren steigenden Zahlen betrachtet werden: Dass Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zunehmend zur Anzeige gebracht werden, bedeutet nicht zwingend einen tatsächlichen Anstieg der Gewalttaten. Sondern eine Aufhellung der Dunkelziffer. »Wir haben ein Interesse, dass die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik wachsen, weil wir ein so großes Dunkelfeld haben und das jetzt zunehmend erhellt wird«, sagt Voß. Auch Sophie (Name von der Redaktion geändert), Mitarbeiterin bei der Leipziger KIS, bestätigt diesen Eindruck gegenüber dem kreuzer: »Wir denken, dass in Leipzig das Hellfeld gerade besonders groß ist. Das liegt wahrscheinlich an diesem Netzwerk, das es schon seit 20 Jahren gibt. So kontinuierlich und aktiv, wie das arbeitet, gibt es das nicht oft.«

Dass Opfer sich häufiger zur Wehr setzen und die Zahl der gemeldeten Gewalttaten ansteigt, zeigt laut Voß vor allem, dass eine gesellschaftliche Sensibilisierung stattfindet: Betroffene ziehen Grenzen und suchen sich Hilfe. Ein unterstützendes Umfeld, das den Betroffenen Glauben schenkt, sei bei diesem Schritt unentbehrlich.


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