Frauenhäuser und Beratungsstellen werden in freier Trägerschaft betrieben und vom Land und den Kommunen gefördert. Je nach Einrichtung variieren die Anteile, aber grundsätzlich übernimmt der Freistaat 60 bis 97, vereinzelt auch 100 Prozent. Eine Vollfinanzierung durch das Land gibt es zum Beispiel für das Frauenhaus für geflüchtete Frauen in Leipzig. Die anderen Leipziger Frauenhäuser müssen genau wie die meisten Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen in Sachsen einen Eigenanteil von drei Prozent erwirtschaften, zum Beispiel über Spenden und Mietkosten. Dies sei nötig, um Leistungsfähigkeit und Eigeninteresse der Initiativen zu belegen, teilt das sächsische Justizministerium auf kreuzer-Anfrage mit. In der Praxis aber bedeutet das: Schutz im Frauenhaus ist nicht kostenlos. »Die Nutzungsgebühren sind in Leipzig aktuell zehn Euro pro Tag pro Person, egal wie alt der Mensch ist. Das heißt, wenn ein Baby frisch geboren wird – das hatten wir auch schon –, müssen dafür zehn Euro geblecht werden«, erzählt Ida*, eine Mitarbeiterin des Leipziger Hilfesystems für Frauen und Kinder.
Laut ihr zahlen die wenigsten Frauen in Leipzig den Aufenthalt im Frauenhaus selbst, für die meisten übernehmen Jobcenter oder Sozialamt die Kosten. Auch die bundesweite Statistik der Frauenhauskoordinierung (FHK) zeigt: Ärmliche Verhältnisse oder finanzielle Abhängigkeit vom gewalttätigen Partner prägen die Lebensumstände der meisten Schutzsuchenden. »Das hat einen relativ einfachen Hintergrund«, erklärt Ida. »Nämlich, dass Menschen, die ökonomisch bessergestellt sind, andere Möglichkeiten haben und nicht ins Frauenhaus müssen.« Solche Alternativen können Freunde und Familie sein, die Platz haben, um Betroffene aufzunehmen. Oder eben genug Geld, um sich übergangsweise ein Hotelzimmer oder eine zweite Wohnung zu leisten.
Aber nicht alle Frauen, die arbeiten, können sich ein Hotelzimmer leisten. Und nicht alle arbeitslosen Frauen haben Anspruch auf Sozialleistungen. Für Studentinnen, Geringverdienerinnen oder nicht deutsche EU-Bürgerinnen in Leipzig wird es brenzlig: Wenn diese Frauen häusliche Gewalt erfahren und im Frauenhaus Schutz suchen, müssen sie selbst zahlen. Laut der bundesweiten Frauenhaus-Statistik ist das jede vierte Betroffene.
Angenommen, Sie wohnen in Leipzig und haben zwei kleine Kinder mit Ihrem Partner. Sie haben 1.300 Euro Nettoeinkommen, die gemeinsame 3-Raum-Wohnung kostet 900 Euro warm. Und jetzt müssen Sie sich und Ihre Kinder schützen, müssen weg von Ihrem Mann, weg von zu Hause. – Für Sie und Ihre beiden Kinder kostet der Aufenthalt im Frauenhaus 30 Euro pro Tag, also 900 Euro im Monat – Sie können sich das nicht leisten, außer Sie überlassen Ihre Wohnung Ihrem Partner und der ist – als Täter – damit einverstanden und in der Lage, diese dann auch allein zu bezahlen. »Diese Fälle sind ein riesengroßes Problem, weil es in Deutschland keinen Rechtsanspruch auf den Frauenhausplatz gibt«, erklärt Ida. »Das heißt: Frauen können, auch wenn sie von Gewalt betroffen sind, im Zweifelsfall vielleicht keinen Schutz finden.«
Nicht nur für viele betroffene Frauen ist die Finanzierung des Gewaltschutzes in Sachsen ein Problem. Die Mittel zum Schutz vor sexualisierter, geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt wurden vom Justizministerium im Vergleich zu 2021 zwar fast verdreifacht (von 3,8 auf 11,8 Millionen Euro) und auch die Förderung der Stadt wurde in den letzten Jahren erheblich aufgestockt (von 1,8 auf 2,5 Millionen Euro), aber es bleibt dabei: In den Einrichtungen fehlt Geld und wie in vielen sozialen Berufen auch Fachpersonal. Erst im Sommer hatte sich das Leipziger Hilfesystem deshalb in einem offenen Brief an die Stadt gewandt (s. www.kreuzer-leipzig.de, »Leipziger Gewaltschutz am Limit«, 6. Juli 2023). Insbesondere die Einrichtung, in der Ida arbeitet, ist betroffen: »Wir haben zum Beispiel keine Kinder- und Jugendfachkraft – als einziges Frauenhaus«, erzählt sie. Auf kreuzer-Anfrage heißt es dazu von der Stadt Leipzig und vom sächsischen Justizministerium, dass es im Ermessen des jeweiligen Trägers liege, mit den bewilligten Fördermitteln Personal für Kinder und Jugendliche einzustellen.
Eine weitere Herausforderung für das Personal im Hilfesystem ist der notwendige Spagat zwischen Bürokratie und Sorgearbeit. Es gibt einiges an Bürokratie im Gewaltschutz. Nicht zuletzt aufgrund der geteilten Finanzierung: ein Antrag ans Land Sachsen, ein Antrag an die Stadt Leipzig. Und: Steigen die Fördersummen, müssen auch die Eigenmittel steigen – durch mehr Spenden oder mehr Mieteinnahmen. Wenn aber nicht mehr Gewaltopfer aufgenommen werden können, bedeuten »mehr Mieteinnahmen« höhere Kosten für die Schutzsuchenden – beziehungsweise Jobcenter und Sozialamt, die ja für 75 Prozent der Frauen die Kosten übernehmen.
Lisa Rechenberg arbeitet bei der Landesgemeinschaft gegen Gewalt (LAG), einer Vernetzung von allen Einrichtungen für Gewaltschutz in Sachsen. Sie findet das Aufbringen von Eigenmitteln der Vereine theoretisch nachvollziehbar, in der Praxis aber problematisch: »Das erhöht den Druck und verschiebt den Fokus: Welche Arbeit ist wichtig? Man muss im Hinterkopf haben, auch die Arbeit und die Formate zu machen, die Geld einbringen.« Für die KIS in Leipzig bedeute das zum Beispiel, dass sie Schulungen für Vereine oder Krankenhäuser zum Umgang mit häuslicher Gewalt anbietet, obwohl ihr bereits für ihre Hauptaufgabe – die Notfallberatung – personelle Ressourcen fehlen.
Indirekt werden durch diese Praxis kleinere Träger benachteiligt, denn sie haben noch weniger Kapazitäten, um neben der Sorgearbeit Spenden einzutreiben, Events oder Workshops zu planen und durchzuführen.