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Kultur

»Das ist genau das Ziel, keinen Plan zu haben«

Mono&Nikitaman im Interview vor ihrem letzten Konzert in Leipzig

  »Das ist genau das Ziel, keinen Plan zu haben« | Mono&Nikitaman im Interview vor ihrem letzten Konzert in Leipzig  Foto: Pascal Riesinger

Was wünscht man sich nach 20 Jahren erfolgreicher Bandgeschichte? Eine mögliche Antwort haben Monika Jaksch und Nick Tilstra. Nach mehr als 1.500 Konzerten sind die beiden aktuell auf Abschiedstour. Abseits definierter Genregrenzen, zwischen Reggae und Dancehall, Hiphop-Sound und Punkattitüde schufen sie als Mono & Nikitaman seit 2003 sieben Alben. Ihr vorerst letztes Leipzig-Konzert ist für Samstag, den 30. September, im Werk 2 angesetzt. Im Gespräch mit dem kreuzer erzählen Jaksch und Tilstra von den Gründen für den Projektstopp, Perspektivwechseln und der Abneigung, ständig auf Instagram posten zu müssen.

Zu Beginn, eine Stimmungsabfrage: Wie geht es Ihnen gerade auf der Abschiedstour?

 

MONO: Mega gut eigentlich. Ich muss sagen, ich lass dieses Abschieds-Thema gar nicht so nah ran, dass es jetzt wehtun würde. Ich genieße jede Show, als wäre es die letzte. Ich finde, man sollte sich das eigentlich öfter mal leisten.


… öfter mal aufzuhören?

MONO: Genau, öfter mal aufhören mit Dingen. Damit man die Dinge mehr genießt.

NIKITAMAN: Es ist natürlich immer die Frage: Kann man das überhaupt machen? Und das Tolle ist, dass wir in der Position sind als Künstler:innen, dass wir das machen können. Ich hätte auch ein bisschen mehr Melancholie erwartet. Aber dadurch, dass wir nicht gesagt haben, wir hören für immer auf ... Diese Tür wollten wir uns nicht zumachen. So fühlt sich das alles einfach toll an.


Während der Tour standen Sie einmal mit einem Eimer auf der Bühne.?

NIKITAMAN: Das war nicht so schön und wertvoll. Ich habe einfach Magen-Darm bekommen. Das Tour-Wochenende bestand eh erst mal aus einem interessanten Routing, weil wir am Freitag auf der Fusion gespielt haben, am Samstag in Österreich und am Sonntag in Köln auf der Summerjam. Ich dachte, ich komme gut durch, aber es hat mich dann am Samstag ein paar Stunden vor der Show umgebügelt und ich habe mir die Seele aus dem Leib gekotzt. Ich kann mich an die Show nicht wirklich erinnern.

MONO: Aber das ist, glaub ich, auch ein Teil der Anstrengung in diesem Job, dass man immer funktionieren muss. Wobei wir in der Corona-Zeit gelernt haben, dass man Konzerte auch absagen kann. Das gab es vorher weniger.  

NIKITAMAN: Ja, Selfcare ist ja sehr, sehr groß geworden. Und ich finde es – gerade was die psychischen Sachen angeht – total wichtig, wenn jemand sagt: »Ich kann einfach nicht auf Tour gehen, ich brenn aus oder ich werde davon depressiv«. Das ist für mich lebensbedrohlich. Magen-Darm fühlt sich halt scheiße an, aber ob ich jetzt zwei Stunden in der Koje im Nightliner liege und den Headliner-Slot absage auf dem Stadtfest und viele Leute enttäuscht nach Hause gehen oder ob ich die zwei Stunden auf der Bühne stehe und mich schlecht fühle, ist eigentlich kein Unterschied. Da kann man auch die Musik machen.


Wie ist die Resonanz auf Ihren Abschied?

MONO: Es haben uns so viele Menschen geschrieben: »Was? Wie?« – Manche haben geweint, manche haben gesagt: »Das geht nicht, das könnt ihr nicht machen«. Die Leute haben auch angefangen zu rätseln, warum wir aufhören: »Ihr bekommt doch bestimmt Kinder oder so?« Das war so geil. Die wissen nicht, dass wir uns seit zehn Jahren die Mühe machen, irgendwie mit Babysitter und zwei Kindern unterwegs zu sein.


Teils sind die Kinder ja auch mit auf der Bühne.

MONO: Ja, unsere Kinder sind mit auf Tour.

NIKITAMAN: Und singen dann auch ein Lied mit.

MONO: Genau. Bei manchen Konzerten holen wir auch ein paar Kinder auf die Bühne, weil es ja auch darum geht, die nächste Generation reden zu lassen.


Sie haben vor dem fünften Album, »Im Rauch der Bengalen« schon einmal pausiert, mit der Option aufzuhören. Was waren damals die Gründ?

NIKITAMAN: Ich war ganz schön ausgebrannt. Burnout ist ja in aller Munde mittlerweile. Aber wir hatten wirklich sehr, sehr viele Shows gespielt. Und es wurde musikalisch alles ganz schön groß und noch eine ganze Ecke erfolgreicher. Wir haben mit Olsen, dem Produzenten von Seeed, das Album »Unter Freunden« abgemischt und mit tollen Menschen wie mit Gentleman Songs gemacht. Es hatten sich wirklich viele schöne Dinge entwickelt. Trotzdem war ich ganz schön leer und wollte mal nicht wissen, wo ich nächsten Sommer bin.

MONO: Zusätzlich gab es Erwartungsdruck seitens der Leute: »Wann macht ihr denn wieder ein neues Album? Wann gibt es wieder eine Tour?« – Wir haben dann mit allem gecuttet, was es so gab. Wir haben mit der Band aufgehört, wir haben mit dem Label aufgehört.


Und jetzt?

MONO: Es gibt eigentlich zwei Gründe, warum wir die Pause mache:. Das Erste, was ich als Independent oder Künstler:in fatal finde, ist, dass wir uns alle extrem abhängig von Social Media gemacht haben. Es gab eigentlich alternative Möglichkeiten neben der großen Industrie. So etwas wie eine Independent-Kultur und es gab Wege, wie wir uns independent verbreitet und connected haben.
Heute denken die meisten Menschen, dass sie mit einem Instagram-Abo alle Infos der Band bekommen. Aber der Algorithmus sorgt dafür, dass die Reichweite sehr eingeschränkt wird. Wenn wir auf unserem Profil posten und keine Werbung schalten, kriegen das nur ganz wenige Menschen mit. Also müssen wir für ein Album 3.000–5.000 Euro für Werbung auf Social Media ausgeben. Wir als Independent-Künstler:innen stehen auf Social Media in Konkurrenz mit Riesenkonzernen. Ich finde es so schade, dass wir es nicht geschafft haben, eigene Wege, eigene Plattformen zu finden, um mit unseren Fans zu kommunizieren. Unsere Wege sind komplett zugemüllt und blockiert. Wenn wir ein neues Album machen würden, wir wüssten gerade überhaupt nicht, wie wir das an die Leute bringen.

Und der andere Grund?

Das Andere ist, dass einfach ein Krieg ausgebrochen ist in der Zwischenzeit und wir auf eine Klimakatastrophe zusteuern. Ich habe das Gefühl: Fuck, es geht gerade echt nicht um meine Befindlichkeit oder um mein Musik-Projekt. Irgendwie muss ich auch mal die Bremse ziehen und gucken, was nachhaltig ist in meinem Leben. Was kann ich tun? Ich möchte mir nicht später mal sagen lassen müssen, ich hätte einfach nur mitgemacht und nichts gegen Katastrophen getan.


Wie ist es über einen langen Zeitraum Songs zu Themen wie dem Rechtsruck zu schreiben, die immer weiter aktuell bleiben?

NIKITAMAN: Die Qualität ändert sich ja. Und es ist auch interessant, dass sich die eigene Sichtweise auf die Themen ändern kann. Dass die AfD jetzt in der Sonntagsfrage die zweitstärkste Partei in Deutschland ist, das ist was absolut Neues. Dass wir umgeben sind von Premierministern, die rechtspopulistisch sind, wie in Italien, Ungarn sowieso, aber auch Großbritannien: Auch das ist neu. Es ist ein dynamischer Prozess. Und ja, teilweise saßen wir vor Thematiken, haben gemerkt: Es hat sich verändert, aber ich kann nichts Neues dazu sagen. Dann machen wir es auch nicht.

MONO: Es ist krass erschütternd, wenn man merkt: Wow, vor 20 Jahren haben wir über die Klimakatastrophe gesungen und es ist eigentlich nichts passiert. Also im Gegenteil.


Desillusioniert das auch, wenn man so lange Stellung bezieht und merkt, dass es eher in die andere Richtung geht? »Stell dir vor«, ein Antikriegslied von 2001 hat mit dem Krieg in Europa eine andere Qualität bekommen.

 

NIKITAMAN: Also einen kategorischen Pazifismus und absolut keine Waffenlieferungen wären mit Sicherheit Meinungen, die wir vor ein paar Jahren einfach so unterschrieben hätten. Ich weiß nicht, was ist, wenn ich jetzt als Familienvater mit zwei Kindern in der Ukraine leben würde und mir alle Leute sagen: »Ja, nee, Waffenlieferungen, da sind wir dagegen.Also löst das doch bitte friedlich!«, während mir die Bomben um die Ohren fliegen. Ich finde, Pazifismus muss man sich halt auch leisten können. Es ist sehr komplex.

MONO: Unser Lied aber auch sehr träumerisch und das gibt den Menschen Hoffnung. Ich glaube, da setzen viele Texte von uns an. Wir wollen Visionen und Hoffnung geben und Menschen eine positives Gefühl vermitteln, auch wenn es manchmal mit Realität gar nicht so viel zu tun haben muss.

NIKITAMAN: Aber es wäre auch vermessen, wenn wir vor 20 Jahren gedacht hätten, wir müssen nur ein paar Lieder machen und dann verändern oder retten wir schon die Welt. Und jetzt hat es aber nicht geklappt, ach Mist, jetzt hören wir damit auf. Hoffnung, das Zusammenbringen von Menschen ist ein ganz wichtiger Faktor, dass die Zuschauer:innen auf unseren Konzerten realisieren: Wow, okay, ich bin mit meiner Meinung nicht allein. Ich bin zwar oft da draußen im Alltag allein, aber da gibt es noch viel mehr Menschen, die so denken und so fühlen wie ich, solche Hoffnungen haben wie ich. Das macht es wert, weiterzumachen, auch gegen alle Entwicklungen. Und wenn es richtig den Bach runtergeht, dann haben wir halt immer noch uns.


Ein Thema, das euch über all die Jahre auch begleitet hat, sind die wenigen Frauen, die auf Festivals auftreten.

MONO: Ich habe auf vielen Festivals gespielt, auf denen ich die einzige Frau auf der Bühne war. Da fragt man sich: Warum nehmen sich die Frauen nicht die coolen Jobs? Wo sind die Ladies, die wichtige Entscheidungen treffen, ganz oben stehen? Ich denke, Frauen oder Mädchen bekommen schon, wenn sie klein sind, eingeredet, dass sie vernünftig sein sollen, und für Jungs wird viel Platz für Mut gemacht. Es sind aber definitiv nicht die Frauen, die weniger Mut haben. Es ist die Gesellschaft, die gewisse Wege vorgibt und nicht bereit ist, auf leisere Stimmen, auf kleinere Menschen, auf weniger Krawall genauso gut zu hören wie auf tiefe laute Männerstimmen. Es muss sich auch etwas an der Sprache ändern. Wenn wir den Kindern in den Kinderbüchern weiterhin nur vom Arzt, vom Chef oder vom Musiker vorlesen, werden sich Mädchen weniger angesprochen fühlen. Und vielleicht gar nicht auf die Idee kommen, dass sie auch Bass oder Schlagzeug spielen und auch Musikerin werden könnten.


Gibt es schon Pläner danach? Sie wollen ein Buch schreiben, richtig?

NIKITAMAN: Oh ja, das werde ich machen. Ob ich mich dafür entscheide, das rauszubringen, weiß ich noch nicht. Aber das ist für mich sehr wichtig, das mal zu machen. Ansonsten weiß ich nicht. Also es gibt keinen Plan. Tatsächlich.

MONO: Das ist genau das Ziel, keinen Plan zu haben.

NIKITAMAN: Das ist auch der Hauptgrund, das zu machen: Was tue ich, wenn ich nichts tue?

MONO: Es war ja auch keine Schnellschuss-Entscheidung. Wir haben es so gefühlt.

NIKITAMAN: Und es fühlt sich nach wie vor absolut richtig an – auch wenn wir jetzt von Konzerten nach Hause kommen, die sich bombastisch gut anfühlen. Weil es was Besonderes,etwas Endliches ist und tatsächlich auch eine Auseinandersetzung.
 


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