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Kultur

Musikalisches Nachdenken über Musik

Gewandhauskomponist Thomas Adès spielt ein hochreflektiertes Rezital im Kammermusiksaal

  Musikalisches Nachdenken über Musik | Gewandhauskomponist Thomas Adès spielt ein hochreflektiertes Rezital im Kammermusiksaal  Foto: Marco Borggreve

Thomas Adès (*1971) ist in Nachfolge von Sofia Gubaidulina Gewandhauskomponist für die kommenden zwei Spielzeiten. In der vergangenen Woche war der englische Komponist bereits als Dirigent des Gewandhausorchesters zu erleben, am ersten Oktober spielte er sein Klavierrezital im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses. Als musikalischer Partner war an diesem Abend der finnische Geiger Pekka Kuusisto zugegen, der wie Adès selbst mit seinem überaus persönlichen Zugang zum Repertoire faszinierte. Auf dem Programm standen Werke von Leoš Janáček und Thomas Adès.

Leoš Janáčeks Klavierwerk wurde erst spät in den erweiterten Kanon aufgenommen. Es ist so spannend, weil es sich Normierungen jeder Art entzieht und dadurch Interpretationsspielraum auf allen musikalischen Ebenen bietet. Thomas Adès ist mit diesem hochexpressiven Repertoire zwischen Romantik und Moderne, das sich wahlweise retrospektiv oder zukunftsweisend lesen lässt, schon seit seiner Jugend vertraut. Die Musik des Tschechen, der heute als bedeutender musikalischen Neuerer des 20. Jahrhunderts gilt, bezeichnet er als prägend und zentral für sein Kunst – und Musikverständnis. Adès beginnt diesen Abend mit dem zweiten Teil des Zyklus »Auf verwachsenem Pfade«. In gedeckten Pianofarben macht er hörbar, dass es in dieser Musik kaum mehr Gewissheiten oder Vorhersehbares gibt. Auch den Zyklus »Im Nebel« spielt er schlank, gehalten, eher introvertiert, dem harmonischen Verlauf verpflichtet. Wo andere Pianisten dieses Repertoire eher romantisch begreifen, formale Brüche emulgieren, in satten Farben schwelgen, sich zu metrischen Freiheiten in extrovertierter pianistischer Manier hinreißen lassen, verweist Adès relativ streng auf das Hochindividuelle, Suchende und Irreguläre dieser Musik. Die Klaviersonate 1. X. 1905 mit den zwei Sätzen »Vorahnung« und »Tod« ist beherrscht vom Janáček-typischen insistierend dräuenden Gestus repetitiver Elemente. Adès behandelt dieses strukturell, wie musikalische Pattern in neuerer Musik. Er entwickelt große Bögen, hält sich aber mit vordergründiger emotionaler Aufladung zurück, sein Spiel ist nicht impulsgesteuert, eher an sich haltend, sensibel durchdacht und dabei voller Farben und Tiefe.

Intermezzohaft streut Adès zwischen die Hauptwerke des Abends zwei eigene Kompositionen. Sie wiegen wesentlich leichter als die einer existentiellen Krisenzeit (1900-1912) entstammenden Werke Janáčeks. Eine ästhetische Verbundenheit ist dennoch zu spüren. Auch bei Adès gibt es musikalisches Changieren zwischen den Zeiten und es findet sich eine Vorliebe für dezente Andeutungen und ein Hauch diskreter Nostalgie, insbesondere in den Mazurkas op. 27. Pianistisch fasziniert Adès hier durch elegante, entspannte Virtuosität und die hohe Transparenz in der Schichtung verschiedener Klangebenen.

Die Entscheidung, Pekka Kuusisto als Duopartner in den Abend zu integrieren, wirkt sehr schlüssig. Der Geiger beeindruckt mit seinem individuellen Zugriff und einer Klangfantasie, der man anmerkt, dass er als Interpret nicht nur in der Klassik zu Hause ist. Gemeinsam mit Adès spielt er dessen Suite für Violine und Klavier, eine Bearbeitung von Material aus der Oper »The Tempest«. Flüchtig ziehen Szenen vorbei, frei von episch ausufernder Attitüde, eher angedeutete Charaktere kennzeichnen diese feine, indirekte Musik voll schwebender flautando Klänge.

Wenig nur erinnert im zweiten Teil des Konzerts an gängige Interpretationen von Janáčeks Violinsonate. Kuusisto bewegt sich mit seinem Part voller aufbegehrender Minigesten vollkommen integrativ durch die Musik, die ihrerseits auch sehr sperrig wirken könnte. Er scheint all die Zeichen der Zerrissenheit im ersten und vierten Satz aus einer anderen Perspektive zu sehen, in der der beschriebene schmerzhafte Seelenzustand vielleicht bereits überwunden ist. Alles fließt hier, nichts ist statisch oder behauptend, eine typisch geigerische romantische Haltung fehlt. Frei von interpretatorischem Formalismus schließt sich der Bogen zum Interpretatiosansatz seines Duopartners. Ein musikalisch über Musik reflektierender Abend der Extraklasse.

 

> Für das Leipziger Gewandhausorchester wird Thomas Adès ein Orchesterwerk komponieren, das in seiner zweiten Spielzeit als Gewandhauskomponist (2024/2025) zur Uraufführung gelangen wird. In Dresdens Semper Zwei kann man ab dem 20. Oktober die Kammeroper »Powder Her Face« von Thomas Adès hören.


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