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Kultur

Alter Wein in neuen Schläuchen

Die Stadt will bis Februar alle 162 Honorarlehrkräfte an der Musikschule Johann Sebastian Bach fest anstellen – löst damit aber nicht das Problem

  Alter Wein in neuen Schläuchen | Die Stadt will bis Februar alle 162 Honorarlehrkräfte an der Musikschule Johann Sebastian Bach fest anstellen – löst damit aber nicht das Problem  Foto: Andreas Schmidt

Leipzig schmückt sich gern mit dem Etikett »Musikstadt«. Wer den künstlerischen Nachwuchs heranzieht und damit Basisarbeit für die musikalische Zukunft leistet, bleibt dabei oft im Hintergrund – unter anderem die Pädagoginnen und Pädagogen an Musikschulen. Immer weniger Studierende im Fach Musik streben derzeit eine pädagogische Laufbahn an, da die Arbeitsverhältnisse und Bezahlung unattraktiv sind.

Fast 70 Prozent der Lehrkräfte an der städtischen Musikschule Johann Sebastian Bach arbeiten bisher auf Honorarbasis, also nicht angestellt und damit ohne soziale Absicherung. Sie alle sind Berufsmusikerinnen und -musiker, haben ein Hochschulstudium absolviert. Viele von ihnen unterrichten hier nur wenige Stunden, da das Stundenkontingent für Honorarlehrkräfte begrenzt ist, um eine sogenannte Scheinselbstständigkeit zu vermeiden. Als damit tatsächlich Selbstständige haben die Lehrkräfte andere finanzielle Standbeine – sie unterrichten an anderen Musikschulen, spielen Konzerte oder »Löffelmuggen« auf privaten oder Firmenfeiern.

In den Sektor prekärer Beschäftigungsverhältnisse kam 2009 durch die Veröffentlichung des ersten Papiers zur Honoraruntergrenze vom Berufsverband Musik in Sachsen Bewegung. Im Sommer 2022 befand das Bundessozialgericht, dass eine selbstständige Musikschullehrkraft so fest in den Betriebsablauf der Schule eingebunden sei, dass es sich dabei faktisch um eine abhängige Beschäftigung handele.

Nun richtet die Stadt Leipzig die Personalplanung an ihrer Musikschule neu aus. Obgleich es keine Pflicht zur Tarifbeschäftigung gibt, nimmt sich die Stadt der Musikpädagoginnen und -pädagogen an – sie stellt mehr Gelder für die Musikschule bereit, um Honorarverträge in Festanstellungen zu überführen. Der angestrebte »Schritt zur Gleichbehandlung« (zwischen Honorarkräften und Festangestellten), wie es in der Veröffentlichung der Stadt Leipzig vom 17. Mai 2023 heißt, deutet bereits auf ein wesentliches Problem hin: Ungleichheiten bestanden – und bestehen noch immer, betonen einige Vertreterinnen und Vertreter des Berufsverbandes für Musik in Sachsen und der Honorarlehrervertretung der Musikschule im Gespräch mit dem kreuzer.

Sie betonen: »Die Lage war schon immer prekär. Honorarverträge sind unattraktiv. Die Honorarlehrkräfte jetzt in eine Mikro-Anstellung mit Sozialversicherungspflicht zu überführen, ohne Aufstockung der Stunden-Kontingente der Betroffenen, ändert weder an ihrer sozialen noch an der finanziellen Unsicherheit etwas.« Das Einkommen so einer Mikro-Stelle, wie es aktuell geplant ist, entspricht für sechs Unterrichtseinheiten (à 45 Minuten, Anm. d. Red.) wöchentlich einem Jahreseinkommen von 6.912 € brutto – monatlich also 576 Euro. Zudem seien die Lehrkräfte innerhalb einer Festanstellung weisungsgebunden. Abgesehen davon, dass sich von diesen Verträgen nicht leben lässt, führten diese zu vorgeschriebenen Arbeitszeiten. Das wiederum gehe mit Schwierigkeiten mit anderen finanziellen Standbeinen einher, zum Beispiel Konzerte zu spielen, was den Unterricht mit Schülerinnen und Schülern ungemein bereichere.

»Wir sind für sozialversicherungspflichtige Arbeitsverträge und faire Vergütung«, sagt die Honorarlehrervertretung. »Wir wünschen uns schon lange eine Veränderung, aber nicht auf diese Art und Weise. Wir haben von Anfang an vorgeschlagen, dass es für Honorarlehrer Wahlfreiheit geben soll darüber, ob das Honorarverhältnis bestehen bleibt oder eine Festanstellung angestrebt wird. Es sollte außerdem eine faire Eingruppierung in die Tarifgruppen gewährleistet werden, wenn es zu einer Festanstellung kommt, die im Verhältnis zu einem Angestellten mit gleicher Berufserfahrung steht.«

Unermüdlich brachten sie bereits ihre Forderungen und Bestrebungen ein, nicht zuletzt im Stadtrat, und suchen noch immer den Dialog. »Leider wurden unsere Anfragen zu Gesprächen mit der Politik, allen voran mit der Kulturbürgermeisterin und dem Leiter der Musikschule weitestgehend abgelehnt.« Bis Februar 2024 sollen alle 162 Honorarlehrkräfte in Festanstellungen überführt werden. Vorher gibt es jedoch noch allerhand Fragen und Gesprächsbedarf über Unsicherheiten und Folgen der geplanten Mikro-Festanstellung.


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