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Kultur

Ein Konzert, das ein bisschen glücklich macht

Der Eröffnungsabend der Leipziger Jazztage 2023 im Schauspielhaus

  Ein Konzert, das ein bisschen glücklich macht | Der Eröffnungsabend der Leipziger Jazztage 2023 im Schauspielhaus  Foto: Maria Portugal Erosão Septett/ Simon Chmel

Mit einem Triplekonzert wurden am 14. Oktober die Leipziger Jazztage eröffnet. Es spielten das Duo Aki Takase und Daniel Erdmann, das Mariá Portugal Erosão Septett und des Simon Lucaciu Trio SLT. Eine Woche werden an verschiedenen Spielorten spannende Acts zu hören sein. Der Abend begann mit der Verleihung des Leipziger Jazznachwuchspreises an SLT.

»Songhafter« sollen die neuen Stücke sein, wird Bandleader Simon Lucaciu während der Preisverleihung zitiert. Davon ist beim anschließenden Konzert nichts zu merken. Simon Lucaciu selbst sitzt am Klavier, Florian Müller am Bass und Lukas Heckers am Schlagzeug.

Bass und Schlagzeug legen sofort ein rasendes Free-Bop-Tempo vor, das später einsetzende Klavier scheint mit versprengten Ideen kaum hinterherzukommen. Das Stück bricht auseinander, es bleibt ein sich verschiebender, an Minimal Music erinnernder Klavierloop. Dieser wird von einem abstrahierten Beinahe-Groove beiseitegeschoben, der Bass pulsiert, hart angeschlagene Akkorde zersplittern darüber. Die Musik folgt keinem hörbaren Harmonieschema, vielmehr bilden durchkomponierte Linien das Gerüst, die im Bass und der linken Hand des Pianos durch die Musik mäandern. Darüber und darunter bieten sich Freiheiten für stilistische Überraschungen. Mitunter kommt ein zweites Klavier über Eck zum Einsatz, mikrotonal oder einfach wunderbar schräg verstimmt.

Die Musik hat einen Hang zur Abstraktion und man könnte sich wünschen, dass der unterschwellig angedeutete Groove sich einmal durchsetzen dürfte – andererseits macht es den Reiz dieses Trios aus, dass es eine sehr spezifische Ästhetik im eng besetzten Feld der Pianotrios zwischen neuerer Jazztradition und Einflüssen modernerer Klassik gefunden hat. SLT spielen konsequent kollektiv, zeitgenössisch und durchaus eigen: Ein überzeugender Auftritt.

Der zweite Act des Abends, Aki Takase am Klavier und Daniel Erdmann an Tenor- und Sopransaxofon verbindet ebenso eigen Jazztraditionen mit einem Einschlag Neuer Musik. Der Auftritt aber lebt ganz von den kontrastierenden Persönlichkeiten der Musiker. Die 75-jährige Takase, mit wild hochgestecktem, weißem Haar, wirft sich in jede Geste, während Erdmann, das Instrument als Verlängerung des Körpers spielend, gelegentlich über die Bühne wandert (wobei auffällt, wie außerordentlich gut der Klang im Schauspielhaus an diesem Abend ist, wenn er sich vom Mikrofon entfernt und bruchlos rein akustisch zu hören ist). Die stilistische Bandbreite ist groß, Takase spielt sperrige Läufe mit wechselnden Händen wie Thelonious Monk, traktiert die Tasten auch mit Handballen und Unterarmen (und dennoch klingt der Flügel jetzt viel weicher), dekonstruiert Duke-Ellington-Stücke (oder gleich zwei auf einmal) mit Ausflügen zum Stride-Piano. Erdmann spielt federnd und voll, wühlt sich ins Tonmaterial hinein, gibt hymnischen Melodien den nötigen Glanz, nimmt scheinbar improvisierte Klavierläufe in unglaublich schnelle Unisono-Passagen auf. Wilde Teile münden in balladenhafte Kadenzen, mit einem Ton kann die Dynamik des Duos plötzlich umschlagen.

Ein großes weißes Necessaire, das hinter der Pianistin auf einem Sockel steht, entpuppt sich als Arsenal rätselhafter Gegenstände, die auf die Klaviersaiten gelegt den Klang ändern. Im finalen Stück wirft Takase zur rhythmischen Akzentuierung Tischtennisbälle auf die Saiten, von wo sie ins Publikum hüpfen und wieder zurückgeworfen werden – keine Showeinlage, sondern ein Ausdruck der Freiheit. Die Musik ist kompromisslos und der Saal ist ganz dabei. Ein Konzert, das ein bisschen glücklich macht.

Zuletzt kommt das Septett der brasilianischen Schlagzeugerin und Sängerin Mariá Portugal, die hier ihr Album »Erosão« von 2021 auf die Bühne bringt. Auf Platte eine songorientierte, klangfarbenreiche Musik mit viel Elektronik, fast collagenhaft produziert mit hörbaren Schnitten. Die spannende Frage ist, wie die Live-Umsetzung ausfällt. Die Band ist im Halbkreis aufgestellt, Portugal thront in der Mitte, beginnt mit einem einzelnen Gong, der die Musiker (zwei Altsaxofone, Trompete, Posaune, Tuba und Bass) in Bewegung setzt. Sie spielen ein wellenartiges Durcheinander kurzer Phrasen. Ein Paukenschlag der Leaderin bestimmt neue Patterns. Die Tonsprache ist stilechter Free Jazz, auch als das Stück in den ersten Song übergeht, dessen Melodielinie, obwohl kämpferisch gesungen, trotzdem von den Instrumenten überwältigt wird. Ganz anders als auf Platte, aber auch weniger schlüssig: Der Free Jazz steckt im Korsett und die Songs haben keine Luft zum Atmen. So richtig funktioniert das nur, als die Sache für einen Moment rockig wird.

Nach dem Konzert wird Portugal erzählen, wie sie das in Brasilien aufgenommene und am Mischpult in Köln zusammengestellte Material jetzt mit anderer Besetzung neu entdeckt und »erodiert«. Ein spannender Prozess, der erklärt, warum sich die Musik erst finden muss. Und tatsächlich tut sie das noch am Abend, als ein simpler Choral der durchweg exzellenten Angelika Niescier am Altsaxophon den nötigen Raum für Ausflüge gibt, worauf ein Basssolo, nur von einem sparsamen Posaunen-Growl begleitet, folgt. Die Musik bekommt endlich ihre eigene Atmosphäre, von den Instrumenten mit kleineren Gesten schattiert, die Sängerin findet Klarheit, wiederholt am Ende ein chansonhaftes Lied, während das Ensemble langsam anschwillt, bis die ganze fragile Schönheit auf äußerst befriedigende Weise wieder in Kakofonie versinkt.


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