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Kultur

»Welche Rolle spielt Rassismus innerhalb meiner Kunst?«

Stepptänzer Sebastian Weber über sein neues Stück und blinde Flecken

  »Welche Rolle spielt Rassismus innerhalb meiner Kunst?« | Stepptänzer Sebastian Weber über sein neues Stück und blinde Flecken  Foto: Vilma Kananen

»The Long Run« heißt das neue Stück der Sebastian Weber Dance Company. Es ist auch eine autobiografische Befragung von Webers künstlerischem Werdegang als Stepptänzer, der im New York der neunziger Jahre seinen Ausgangspunkt fand. Mit dem kreuzer sprach der Leipziger darüber.

Wieso widmen Sie sich jetzt Ihren ersten Schritten im Stepptanz?

Ich nehme diese biografischen Anekdoten als Ausgangspunkt, um über Rassismus und weiße Identität nachzudenken. Das ist in den letzten Jahren ein immer wichtigeres Thema geworden. Auch in der kleinen Stepptanz-Blase gab es viele Emotionen und Erkenntnisse noch nicht, als ich in den Neunzigern mit den schwarzen Meistern Chuck Green und Buster Brown zusammen getanzt habe. Es geht nicht um einen nostalgischen Rückblick auf eine schöne Zeit in New York, sondern um die Utopie, die wir damals geteilt haben, dass Rassismus eigentlich überwunden sei. Das stimmte nicht und es wird eigentlich immer schlimmer. Jetzt ist die Frage: Wie ist das neu zu bewerten und welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Während Sie in New York waren, hat das Thema für Sie also keine große Rolle gespielt?

Wir hatten damals schon ein Bewusstsein für unsere Hautfarbe. Für mich hat sich das so angefühlt, als dürfe ich als Weißer im schwarzen Team spielen. Als die Leute, von denen ich gelernt habe, ihre Karriere machten, gab es in den USA noch Rassentrennung per Gesetz. Ihre Großeltern waren versklavt. Ich hatte das Gefühl, es gibt eine Entwicklung weg vom Rassismus hin zur Gleichheit. Innerhalb der Jazz-Community haben wir uns als Vorreiter verstanden. Es war eine sehr solidarische Gemeinschaft.

Wie hat sich Ihre Beschäftigung mit Rassismus verändert?

Wenn ich versuche, mich über Antirassismus und Critical Whiteness zu bilden, dann verstehe ich intellektuell, was für Privilegien ich habe und wie sich diese Dynamiken in der Gesellschaft entfalten. Aber mein Gefühl ist immer, einer von den Guten zu sein. Selbst wenn ich merke, dass ich ein rassistisches Klischee reproduziere, fühlt es sich so an, als sei das quasi mein Ich von gestern. Jetzt habe ich schon dazugelernt. Ich gehe also durch diesen Prozess im ständigen Gefühl, auf der richtigen Seite zu sein. Es ist eine Art emotionaler blinder Fleck. Oder emotionale Immunität. Ich bin als Weißer in diesem rassistischen System aufgewachsen und das prägt meine Wahrnehmung. Mich interessiert, welche Rolle das innerhalb meiner Kunst spielt. Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass die Grundanlage des Stückes ein rassistisches Klischee war: Hier kommt der weiße Held und macht das große Masterpiece. Was für eine rassistische Überheblichkeit! Sich da weiterzuentwickeln, ist eigentlich der »Long Run«. Das fordert Ausdauer und Geduld.

Wie zeigt sich diese ständige Arbeit und Entwicklung auf der Bühne?

Vieles von diesem Lernprozess spiegelt sich nicht auf der Bühne, sondern findet in der Stückentwicklung statt. Aber wir versuchen, ein vielschichtiges Stück zu machen, das hoffentlich ein paar Inspirationen beitragen kann. Meine Perspektive auf Rassismus und mich selbst als weißer Mann hat sich über die Jahre verändert. Manche Stationen sind im Stück erkennbar. Und dazu gehört auch, dass dieser Weg noch nicht fertig ist.

Was ist Ihre Vision für die weitere Arbeit der Company?

Aktuell ist die Company in finanzieller Not. Wir sind gerade dabei, unser Überleben nach dem Sommer 2024 zu sichern, weil unsere Strukturförderung aus den Corona-Jahren ausläuft. Wenn man mich nach meiner Vision fragt, denke ich sofort in diese Richtung. Gelingt es uns, die Zukunft finanziell abzusichern, dann stelle ich mir die Company in fünf Jahren als Leuchtturm der internationalen Tanzszene vor und gleichzeitig tief verwurzelt in Leipzig und Sachsen. Ich hänge immer noch an der Utopie einer rassismusfreien Welt. Thelonious Monk, ein ikonischer Jazz-Pianist, meinte mal: »They tried to get me to hate white people, but someone would always come along and spoil it.« Er sollte die Weißen hassen, aber es gab immer irgendeinen Weißen, der ihm das versaut hat. Der wäre ich gerne. Man macht vieles falsch, aber ich will der Verantwortung gerecht werden, allein und mit der Company.

 

> »The Long Run«: 27.10., 20 Uhr (Premiere), 28.10., 20 Uhr, 29.10., 18 Uhr, Lofft


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