Rund 150 Teilnehmende füllten das Stadtteilhaus in der Wurzner Straße. Darunter Mitglieder des Quartiersmanagements Leipziger Osten, vom Verein Superblocks, sowie Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Leipzig, Anwohnerinnen und Neugierige. Am Donnerstagabend fand dort das 36. Stadtteilforum Leipziger Osten unter dem Motto »Straße für alle?« statt. Das Ziel: Bürgerinnen und Bürger über angedachte Verkehrspläne im Leipziger Osten informieren und ihnen die Möglichkeit geben, sich kritisch zu beteiligen.
Was mit einem zivilgesellschaftlichen Projekt, dem Superblock in der Leipziger Hildegardstraße, begann, soll nur der Anfang sein: »Wir wollen dieses Engagement aufgreifen und bei der Umgestaltung des Quartiers mitwirken«, sagte Sebastian Lindhorst, Abteilungsleiter der Straßenverkehrsbehörde zu Beginn der Veranstaltung. Mit einer Präsentation informierten er und Friedemann Goerl, Fußverkehrsbeauftragter der Stadt, die Teilnehmenden zunächst über die Hintergründe des geplanten Projektes. Immer mehr Menschen seien in den letzten zehn Jahren nach Volksmarsdorf und Schönefeld gezogen, zwischen 2012 und 2022 stieg die Anzahl von rund 18.500 auf rund 27.600 Einwohnende. Mehr Menschen führten aber auch zu mehr Autos, mehr Verkehr und einer Verdichtung des Wohnraums, so Lindhorst. Mit anderen Worten: Der öffentliche Raum ist knapp. Aktuell gehöre er zu 60 Prozent den Autos und zu 40 Prozent den Fußgängerinnen und Fußgängern. Nach und nach wolle man nun ein Verkehrskonzept erarbeiten, dass sich diesen Problemen annehme, erklärte Lindhorst. Das solle mit Beteiligung der Menschen im Viertel geschehene.
Beim Wort »Beteiligung« meldete sich eine Anwohnerin: Sie wolle zu vielen Punkten andere Perspektiven vortragen. Auf den Hinweis von Moderatorin Paula Hofman vom Quartiersmanagement, dass Fragen und Anmerkungen erst zum Ende der Veranstaltung in kleinen Gruppen geplant seien, reagierte die Frau nicht. Man habe Kritiker der Veranstaltung bewusst ausgeschlossen, warf sie den Veranstalterinnen vor. Ein Austausch in Kleingruppen reiche ihr nicht, sie wolle vor allen Anwesenden sprechen. Da sie nicht auf die Bitten der Moderatorin einging, sich mit ihrem Beitrag bis zur Austauschrunde zu gedulden, musste sie die Veranstaltung schließlich verlassen.
Nicht alle Anwohnenden wurden im Vorfeld erreicht
Ganz überraschend kam der Zwischenfall nicht, denn über die verkehrsberuhigte Zone in der Hildegardstraße wird schon länger diskutiert. Viele Anwohnerinnen, insbesondere Familien mit Kindern, nehmen das Projekt positiv wahr. Doch es gibt auch Gegenstimmen: Vor allem von Gewerbetreibenden in dem Gebiet wurden ein Mangel an Parkplätzen und Lieferzonen, sowie nächtlicher Lärm durch den neu entstandenen Begegnungsort kritisiert. Die Anwohnerin, die sich so lautstark mit Kritik zu Wort gemeldet hatte, hat bereits eine Petition gegen den Superblock gestartet. Dabei stand für den Verein, der das Projekt initiierte, die Beteiligung von Anwohnerinnen und Anwohner im Vordergrund. Dafür organisierte er in den letzten Jahren 32 öffentliche Veranstaltungen. Doch auch mehrsprachige Angebote und Informationen erreichten nicht alle Betroffenen. Einige fühlen sich übergangen und vor vollendete Tatsachen gestellt, wie der Kreuzer berichtete.
Aus diesem Grund wurde die Veranstaltung im Stadtteilhaus bewusst auf vielen Kanälen gestreut: »Wir haben auch den Migrantischen Beirat und das Haus der sozialen Vielfalt gebeten, die Einladung in ihren Kreisen zu streuen«, erklärte Paula Hofmann. Einige der Kritiker hätten sich erst am Abend vorher angemeldet, doch da habe es bereits nicht mehr genug Plätze gegeben. Hofmann habe daraufhin noch sechs weitere Plätze angeboten. Außer ebenjener Anwohnerin, die ihre Kritik äußern wollte, sei jedoch niemand erschienen. Für Hofmann war das der vergebliche Versuch, noch einige kritische Stimmen mit einzubeziehen. Für die Kritikerinnen dagegen ein klares Zeichen, dass ebendiese Stimmen weniger willkommen sind.
Kritik ist gewünscht
Doch der Abend sollte im Anschluss an die Präsentation noch Austausch ermöglichen: In verschiedenen Tischgruppen wurde mit Expertinnen und Initiatoren über die angedachten Maßnahmen und Planungen im Quartier diskutiert. Matthias Petzold und Anna Morawek vom Verein Superblocks, standen an einem Tisch Rede und Antwort über das Projekt in der Hildegardstraße. Eine Gruppe war außerdem explizit an der Meinung von Kindern zu dem Projekt interessiert. Dafür war Ariane Jedlischka von Superblocks im Einsatz. Das gesamte Straßenverkehrskonzept nördlich der Eisenbahnstraße konnte in zwei Tischgruppen mit Friedenmann Goerl und Sebastian Lindhorst besprochen werden. Große gedruckte Plänen auf den Tischen machten anschaulich, um was es geht: Mehr Spiel- und Fahrradstraßen im Viertel, und sogenannte Diagonalsperren, die den Durchfahrtsverkehr in der Ludwigstraße, der Mariannenstraße und der Rosa-Luxemburg Straße verringern sollen. Die Eisenbahnstraße solle als Hauptstraße wieder mehr genutzt werden, denn dafür sei sie schließlich da, erklärte Friedemann Goerl, Koordinator des Konzeptes. »Aber wird dann der Verkehr auf der Eisenbahnstraße nicht noch zäher?«, wollte darauf ein älterer Mann wissen. Eine junge Anwohnerin fragte, wie es mit dem südlichen Gebiet neben der Eisenbahnstraße weiter gehe: »Sollen dann dort die Straßen explodieren?«. Einige Teilnehmende sorgten sich um ungenutzte Flächen, die das Viertel ausmachen und von jungen Leuten genutzt würden. Andere bangten um die sowieso schon raren Parkplätze. Goerl und Lindhorst gingen an einigen Stellen direkt auf Fragen ein. Beispielweise erklärte Goerl, dass sich der Verkehr nach solchen Maßnahmen mit der Zeit auf verschiedene Straßen verteile. Im Gegensatz zu anderen Viertel, gäbe es in Schönefeld und Volkmarsdorf außerdem noch eine geringere Anzahl Autobesitzer. Man wolle aber trotzdem versuchen, Parkplatzangebote mitzudenken.
Auch die anfänglichen Zwischenrufe der Anwohnerin hallten im weiteren Verlauf des Abends nach und spiegelten sich in den Tischgesprächen wider: Ein älterer Mann aus Plagwitz wollte wissen, inwiefern es eine demokratische Befragung von allen Anwohnenden gegeben habe. »Die Verwaltung hat immer schöne Ideen, aber bei den Leuten im Viertel kommt das nicht an«, fand er. Tatsächlich waren nur etwa 30 direkte Anwohnerinnen bei der Veranstaltung anwesend. Mehrmals fragten außerdem junge Menschen, wer von den geplanten Veränderungen im Leipziger Osten profitiere und was gegen steigende Mieten getan werde. Auf diese Fragen hatten die Vertreterinnen und Vertreter der Stadt keine einfachen Antworten parat, doch Sebastian Lindhorst versuchte zu beruhigen: »Wir entscheiden heute nichts und wollen erstmal nur Angebote machen«. Auch Johann Simowitsch, Referent für Stadtentwicklung und Bau versuchte, die Teilnehmenden darin zu bestärken, konkrete Fragen und Anmerkungen zum Straßenraum zu stellen und soziale »Meta-Themen« erstmal hintenanzustellen: »Malen Sie das mal da rein«, forderte er einen Mann auf, der sich für eine Grünfläche stark machte und zeigte auf den riesigen Plan aus Papier. Konkrete Kritikpunkte und Wünsche waren offensichtlich sehr willkommen. Doch was ist mit Zukunftsängste und vager Besorgnis?
Die Fragen, Wünsche und Anmerkungen der Teilnehmenden wurden auf Zetteln gesammelt und am Ende der Veranstaltung von den jeweiligen Expertinnen grob zusammengefasst vorgestellt. Zentrale Sorgen drehten sich um eine Übernutzung anderer Straßen und einen Mangel an Parkplätzen, nächtliche Lautstärke in den Spielstraßen, sowie die Zugänglichkeit der eigenen Wohngegend. Hinzu kamen Ängste vor Gentrifizierung und unaufhaltbaren Veränderungen, die dem Viertel seinen Charme nehmen könnten. Laut Johann Simowitsch wurde vor allem deutlich, dass sich die Menschen ein Mitspracherecht wünschten und im Viertel noch Raum für Ideen der Anwohnerinnen und Anwohner bleiben solle. Diesem Wunsch wolle man in der Verwaltung nachkommen. Doch wer macht Gebrauch von dieser Offenheit? Und warum tun es manche Menschen nicht? Architekturstudent Bruno fasst zusammen: »Ich finde diese Art der Veranstaltung genau richtig. Aber noch besser wäre es halt, wenn die Gruppe, die die Eisi ausmacht, hier vertreten ist.«