Seit 2015 wird im Kontext der Konzertreihe Bells Echo das Spannungsverhältnis zwischen experimenteller Musik und Architektur ausgelotet. Anlässlich der neuen Ausgabe sprachen wir in der kreuzer-Redaktion mit Musiker und Organisator Stefkovic van Interesse über seine Faszination für Kirchen und die Frage, warum Menschen dort besser zur Ruhe kommen.
Seit einigen Jahren ist Bells Echo fester Bestandteil der Leipziger Musikkultur. Was war und ist die Idee der Reihe?
Die erste Ausgabe fand 2015 in der Philippuskirche statt, allerdings noch nicht mit der Idee, dass das mal eine Reihe wird. In den Folgejahren kamen dann aber immer wieder neue inhaltliche Ideen hinzu, oft dystopischer Art. Die meisten Ausgaben haben bisher in Kirchen stattgefunden – einfach, weil Kirchenräume etwas mit Menschen machen. Man geht aus einer Kirche anders heraus, als man hineingegangen ist. Und man verhält sich dort auch automatisch ruhiger als in anderen Räumen. Diese Wahrnehmung der Menschen und Aura der Räume wollten wir nutzen, um auch einen anderen, bewussteren Einstieg in die jeweiligen musikalischen Konzepte zu ermöglichen. Auch Licht spielt bei unseren Shows eine wichtige Rolle, weil es ein wesentlicher Faktor dafür ist, wie man Räume wahrnimmt. Es geht nicht einfach nur darum, das Licht anzuknipsen und das Konzert zu beginnen. Vielmehr ist das Licht wie ein eigenes Instrument in unseren Shows.
Sind Kirchen also jenseits weltanschaulicher Prinzipien erst einmal ein bespielbares Medium für Sie?
Genau. Natürlich gehen viele Menschen in Kirchen, um zu Gott zu finden. Aber es gibt auch viele, die dorthin gehen, um zur Ruhe zu kommen. Letztendlich sind Kirchen vielfältige Räume. Und dadurch, dass bei unseren Konzerten etwa auch getrunken wird, gibt es natürlich auch automatisch eine gelöstere Atmosphäre.
Ist es immer einfach, Kirchen für die Nutzung popkultureller Veranstaltungen zu gewinnen? Ich habe den Eindruck, dass es das in Leipzig im Vergleich zu anderen Städten relativ oft gibt.
Wir haben bisher immer nur bei evangelischen Kirchen in Leipzig angefragt. Ich glaube, in katholischen Kontexten wäre das schwieriger. Außerdem war etwa die Philippuskirche auch schon entweiht, als wir damals dort für die erste Bells-Echo-Ausgabe anfragten. Wir mussten aber natürlich trotzdem glaubhaft darstellen, dass wir nicht vorhaben, blasphemische Inhalte zu verbreiten.
Die aktuelle Ausgabe wird ja in der Heilandskirche stattfinden. Was hat Sie an diesem Raum überzeugt?
Jede Kirche hat grundsätzlich ihren eigenen Charme. In der Heilandskirche war 2020 schon eine Ausgabe geplant, die dann wegen Corona wieder abgesagt werden musste. Zu DDR-Zeiten wurde eine zweite Decke in den Raum eingezogen, um den unteren Teil für Archivzwecke zu nutzen, wodurch der Raum seither zweigeteilt ist. Der obere Kirchenraum ist dadurch nun viel kleiner. Man sitzt auf Höhe der Orgel und man ist den Kirchenfenstern auch viel näher, was eine ganz eigene Atmosphäre mit sich bringt. Grundsätzlich wird der Raum neben Kirchenzwecken auch viel für andere Kulturveranstaltungen genutzt, weshalb wir im Vorfeld auch gar nicht viel Überzeugungsarbeit leisten mussten. Das hat es für uns natürlich auch angenehmer gemacht.
Der Titel der kommenden Ausgabe lautet »Interim« – Zwischenzeit –, also wie gewohnt sehr assoziativ. Ist instrumentale, atmosphärische Musik in besonderer Weise geeignet, diese Assoziationskraft zu untermauern?
Ja, denn du gibst dadurch ja gar nichts vor. Natürlich kannst du auch eine lyrische Komponente haben, in die man im besten Falle auch viel hineininterpretieren kann. Ich mag es, wenn Motive sich in der Musik wiederholen und beginnen, zu schweben. Ein Konzertbesucher der ersten Ausgabe hat mir damals berichtet, dass er nicht wusste, ob er die Augen zumachen oder auflassen soll wegen der Visuals.
Sie werden am 10.11. mit einer Solo-Komposition auftreten. Was können Sie darüber verraten?
Grundlage dafür ist die Schornsteinsprengung im September (des Max-Reimann-Schornsteins im Leipziger Süden; Anm. d. Red.), die wir mit dem Soundtechniker Andre Klar zusammen aufgenommen haben, der dafür bestes Equipment besitzt – etwa ein Bodenschallmessgerät. Unweit des gesprengten Schornsteins habe ich einen kleinen Garten, so dass wir unser Equipment dort positionieren und die eindrucksvolle Geräuschkulisse aufnehmen konnten. Die Druckwelle, die im Zuge der Sprengung erzeugt wurde, war wirklich enorm, so dass ich später oft gedacht habe: Dieses Gefühl will ich jetzt noch mal haben. Zugleich haben wir den Vorgang videotechnisch festgehalten. Das dort entstandene Material haben wir für die Performance zu Visuals weiterverarbeitet.
Außerdem werden der japanische Künstler Fujilllllllllllta und die in Berlin lebende Musikerin Maya Shenfeld auftreten. Warum?
Fujilllllllllllta habe ich vor fünf, sechs Jahren zufällig auf Instagram entdeckt. Damals hatte er rund 100 Follower, heute sind es über 10.000. Was mir direkt imponierte, war eine selbstgebaute Orgel, die er in einem Video bedient hat. Damals habe ich schon direkt gedacht: Wenn er nicht gerade in Japan wohnen würde, würde ich ihn gern mal zu Bells Echo einladen. Generell habe ich ein Faible für japanische Musik und Kultur, und was mir speziell an ihm gefällt, ist so eine geisterhafte Stimmung, die im Kontext seiner Performances entsteht. Er ist immer sehr in sein Instrument vertieft. Das Konzert in der Heilandskirche wird sein erster Auftritt in Deutschland sein. Maya Shenfeld kenne ich selbst tatsächlich noch nicht so lange, sie ist über Empfehlungen zu mir gelangt und hatte schon verschiedene Auftritte, zum Beispiel bei Berlin Atonal und beim CTM-Festival. Ihr musikalischer Ansatz, der eher rhythmisch, stellenweise tanzbar ist, ist ein ganz anderer als der von Fujilllllllllllta, der sehr flächig arbeitet. Diesen Kontrast finde ich sehr spannend.
INTERVIEW: LUCA GLENZER
> Bells Echo: 10.11., 20 Uhr, Heilandskirche, Westkreuz, www.bellsecho.com