»Kommen Sie nur rein«, sagt Marlies Gebauer und hält die Tür zu ihrem Haus im Leipziger Osten auf. Kurz darauf kommt auch Alexander Böhm an. Wir sind für ein Interview verabredet, denn beide haben am Beteiligungsrat Gemeinwohl teilgenommen. 30 Erwachsene und 20 Jugendliche aus Leipzig waren zufällig ausgewählt worden, um bei vier Treffen zu überlegen, wie bürgerschaftliches Engagement besser gefördert werden könnte. Wie es ist, mit einer so diversen Gruppe zu arbeiten, ohne sich vorher zu kennen, davon wollen Gebauer und Böhm erzählen.
Was hat Sie motiviert, an dem Projekt teilzunehmen?
Marlies Gebauer: Unter Menschen zu kommen, zu hören, was andere erzählen. Und auch, um ein Miteinander zu erfahren. Das war mir wichtig. Ich bin immer sehr kontaktfreudig.
Alexander Böhm: Für mich klang es sehr interessant, mich bei vier Veranstaltungen mit dem Thema Gemeinwohl beziehungsweise Ehrenamt zu beschäftigen. Ich war neugierig und dachte mir, ich habe an den Terminen Zeit. Warum also nicht?
Für den Beteiligungsrat Gemeinwohl wurden zufällig 200 Personen ausgewählt und eingeladen. Wie ist das Einladungsverfahren bei Ihnen abgelaufen?
GEBAUER: An meiner Tür haben zwei junge Frauen geklingelt und gesagt, dass sie von der Stadt kommen und mich gerne zu den vier Veranstaltungen einladen würden. Ich war erstmal ein bisschen perplex und habe überlegt, ob das wohl stimmt. Ich habe dann bei der Stadt angerufen und mir bestätigen lassen, dass es den Beteiligungsrat gibt. Mir wurde auch angeboten, dass sich die Stadt um ein Fahrzeug kümmern würde. Da wusste ich, dass ich in guten Händen bin und habe zugesagt.
BÖHM: Ich habe einen Brief von der Stadt bekommen und mich daraufhin zurückgemeldet. Also ganz unkompliziert, ohne Türbesuch.
Wie haben Sie die Auftaktveranstaltung Ende Juni in der Oper erlebt?
GEBAUER: Für mich war es sehr spannend zu sehen, wer da alles zusammenkommt. Als mich Oberbürgermeister Burkhard Jung dann noch etwas gefragt hat, war ich schon sehr aufgeregt. Aber ich habe mich gefreut, dass ich daran teilnehmen durfte, weil ich alles noch mitmachen möchte, was für mich möglich ist.
BÖHM: Für mich war es am Anfang sehr viel Information. Genau, der Bürgermeister war da, um zu sagen, wie schön er das findet, dass wir uns jetzt die Zeit dafür nehmen. Dann ging es auch schon los mit den ersten Aufgaben. An dem Tag haben wir uns in viele Kleingruppen aufgeteilt und in diesen erstmal gebrainstormt.
Was haben Sie denn gebrainstormt?
GEBAUER: Wir sollten überlegen, wie man in den einzelnen Stadtbezirken noch etwas für das Gemeinwohl tun kann.
BÖHM: Wir mussten auch erstmal klären, was Ehrenamt überhaupt ist und was die Menschen hindert, ein Ehrenamt auszuüben. Gründe, die wir gefunden haben, waren zum Beispiel, dass es keine Räumlichkeiten gibt oder die Leute einfach nicht genügend Informationen haben. Wir haben daraus Ideen entwickelt, wie man diese Probleme angehen könnte.
Und so liefen auch die drei Folgetreffen ab?
BÖHM: Im Grunde schon. Wir haben immer mit den Ergebnissen aus den letzten Treffen weitergearbeitet. Beim ersten Termin ging es darum, eine Grundlage zu schaffen, was Ehrenamt bedeutet. Beim zweiten oder dritten Meeting wurde besprochen, was die Gründe sein könnten, wieso Menschen kein Ehrenamt ausüben, und was man tun kann, um sie zu animieren. Daraus haben wir konkrete Ideenvorschläge entwickelt, wie zum Beispiel eine Messe, mehr Werbung oder ein Onlineportal.
GEBAUER: Am Ende wurde dann jeweils vorgestellt, was in den Kleingruppen erarbeitet wurde.
Bei dem Beteiligungsrat sind ganz viele verschiedene Leute zusammengekommen. Wie hat die Zusammenarbeit untereinander denn funktioniert?
GEBAUER: Gut, finde ich. Wir haben uns in den kleinen Gruppen näher kennengelernt und uns auch nach den Treffen noch unterhalten. Da kamen sehr viele Ideen und Vorschläge, die ich sehr gut fand.
BÖHM: Ich erinnere mich auch daran, dass wir am Anfang noch gesagt haben, wie überrascht wir darüber sind, wie gut wir zusammenarbeiten. Wir dachten, dass bei so vielen verschiedenen Persönlichkeiten Meinungsverschiedenheiten vorprogrammiert sind. Aber gestritten wurde nicht.
GEBAUER: Gar nicht!
BÖHM: …manchmal wurde natürlich etwas mehr diskutiert.
Gab es Momente, wo sie von einer Perspektive überrascht wurden, an die sie vorher gar nicht gedacht hatten?
BÖHM: Spannend war, wenn Teilnehmende ihre speziellen Anliegen und Bedürfnisse in die Diskussion eingebracht haben. Wir hatten zum Beispiel eine Ukrainerin, die gehörlos ist. Sie brauchte eine Person, die sowohl Deutsch und Ukrainisch konnte und auch noch in die Gebärdensprache übersetzen konnte. Diese Frau hat uns durch ihre einzigartige Position einen ganz neuen Blickwinkel zeigen können. Das war für den Prozess sehr wichtig.
Was ist Ihr Wunsch, wie es mit den Ergebnissen weitergeht?
BÖHM: Ich hoffe, dass die Handlungsvorschläge, die wir am Ende erarbeitet haben, für die Stadt sinnig sind. Dass die Verantwortlichen etwas damit angefangen können und sie auch funktionieren. Ansonsten wäre es schade um die ganze Zeit und den Aufwand.
GEBAUER: Dass man den Beteiligungsrat fortsetzt, wenn ein bisschen Zeit vergangen ist, um zu prüfen, wo sich etwas getan hat und wo nicht und dort noch mal ansetzt.
Der Beteiligungsrat orientiert sich am Modell des Bürgerrates. Eine Idee dahinter ist auch, die Menschen wieder mehr für Politik und Demokratie zu begeistern. Haben Sie das Gefühl, dass dieses Konzept aufgeht?
BÖHM: Ja, das würde ich sagen. Es ist auf jeden Fall gut für Menschen, die vorher noch nicht viele Berührungspunkte mit der Politik hatten. Die können durch solche Projekte einen Einblick bekommen, wie Entscheidungsprozesse funktionieren. Ich denke auch, dass sich einige Leute dadurch gehört gefühlt haben.
GEBAUER: Das kann ich von mir auch sagen. Es war für mich etwas ganz Neues und ich habe mich gefreut, dass ich dazu gehören durfte. Ich fand es toll, die Meinungen aus verschiedenen Altersklassen zu hören und zu spüren, wie wir alle gemeinsam überlegt haben, was man verbessern kann.
Falls es den Beteiligungsrat noch einmal gibt: Was empfehlen Sie zukünftigen Teilnehmenden?
GEBAUER: Sehr offen für alles zu sein, sich nicht zu verschließen, sondern erstmal zuzuhören, drüber nachzudenken und dann zu entscheiden.
BÖHM: Ich sehe das ganz ähnlich. Wenn man sich entschließt, da mitzumachen, sollte man sich auch wirklich die Zeit dafür nehmen.
Interview: MAIKA SCHMITT