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Sport

»Mit dem Trabi die Formel 1 gewonnen«

Der viermalige DDR-Meister Martin Goetze über seine außergewöhnliche Radrennfahr-Karriere – und wie man an einem Tag an die Ostsee radelt

  »Mit dem Trabi die Formel 1 gewonnen« | Der viermalige DDR-Meister Martin Goetze über seine außergewöhnliche Radrennfahr-Karriere – und wie man an einem Tag an die Ostsee radelt  Foto: Christiane Grundlach

Martin Goetze ist vierfacher DDR-Meister im Straßenradrennen, organisiert seit fast 25 Jahren die Ostseetour von Leipzig an die Ostsee – 430 Kilometer an einem Tag – und bringt im Jahr Hunderte Fahrräder in seinem Laden in Thekla unter die Menschen. Wir haben mit ihm kurz vor seinem 66. Geburtstag über seine besondere Karriere, das Radfahren als Spitzensport in der DDR und als Breitensport gesprochen.

Wie haben Sie Ihre Karriere als Spitzensportler in der DDR in Erinnerung?

Das Besondere war die Zwei-Klassen-Gesellschaft, die es damals gab – mit Betriebssportgemeinschaften (BSG) und Clubs. Für mich war es eine lustige Zeit, denn ich hatte Spaß daran, die Leute ein bisschen zu necken (lacht). Durch meine Sympathie für Wolfgang Lötzsch (ehemaliger Radrennfahrer, dem das Startrecht durch die SED entzogen wurde, Anm. d. Red.) war ich den Entscheidungsträgern immer etwas suspekt. 1976 bin ich zum DHfK Leipzig gekommen und 1979 und 1980 DDR-Meister geworden. Bis 1983 ging das alles ganz gut, jedoch bin ich dann zur Armee delegiert worden. Zum einen waren die Kaderplätze beim DHfK begrenzt, zum anderen wurden die Leute, die unliebsam waren, schnell abgeschoben. Bei der Armee hatte ich einen guten Sportoffizier, der mich trainiert hat – als Vorbereitung auf die DDR-Meisterschaft 1984. Die wollte ich unbedingt noch mal gewinnen. Kurz vor der Meisterschaft wurde ich dann ins Büro der Sportoffiziere beordert, die von den Club-Funktionären aufgrund unserer guten Leistungen eingeschüchtert wurden. Mir wurde dann schnell klar, dass ich bei keinem Rennen mehr auftauchen darf. Die Meisterschaft 1984 wurde für mich endgültig verhindert, indem ich am Tag der Meisterschaft – das einzige Mal in meiner ganzen Armee-Zeit – Gehilfe vom Offizier vom Dienst sein musste. Rückblickend tut es mir leid, dass ich mich nicht mehr aufgelehnt habe, aber letztendlich wollte ich auch nicht im Knast landen (lacht). Ich war dann ziemlich geknickt und am Rande einer Depression. Irgendwie habe ich es dann aber noch mal geschafft, mich zu motivieren – ich wollte einfach nicht aufstecken. Über den Winter habe ich dann noch mal viel trainiert, habe im Frühjahr 1985 meine Armee-Zeit beendet und bin dann durch Glück zum TSG Gröditz gekommen. Tja, und dann habe ich 1985 die Meisterschaft gewonnen (lächelt). Das war ein Schlag in die Magengrube für die Funktionäre und so unglaublich, als hätte ich mit dem Trabi die Formel 1 gewonnen. Im Winter 1987/88 wurde uns mitgeteilt, dass die ersten drei Fahrer der nächsten DDR-Meisterschaft sich automatisch für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul qualifizieren würden. Mir war von Beginn an klar, dass sie das einem BSG-Fahrer nie erlauben würden, aber mir hat es Spaß gemacht, dieses Gedankenspiel zu spielen und es ihnen zu zeigen. Ich habe vorher gut trainiert und wusste, dass ich unter die besten zehn komme – um ehrlich zu sein: Ich wusste, dass ich gewinne (lacht). Und das habe ich auch. Eine Runde vor Schluss haben die Zuschauer ein Plakat ausgerollt, auf dem stand: »DDR-Meister 1988: Martin Goetze«, was ein riesiger Ansporn für mich war. Wir haben danach so dermaßen gefeiert und es war eines meiner schönsten Rennen.

Welcher Sieg hat Ihnen mehr bedeutet – 1985 oder 1988?

Wahrscheinlich 1988, weil Olaf Ludwig, den ich in dem Rennen geschlagen habe, später noch Olympiasieger wurde. Das hat meinen Sieg noch ein bisschen aufgewertet.

Sie durften nicht mit zu Olympia?

Nein, nein, das durfte ich nicht, das war klar. Wenn mir heute jemand sagt: »Du armes Schwein, was hast du alles verpasst«, kann ich nur sagen, dass ich die Spielregeln kannte.

Wann haben Sie Ihre Karriere beendet?

Wirklich beendet im Jahr 1993. Zu der Zeit hat sich viel verändert. EPO (ein Dopingmittel zum Zweck der Leistungssteigerung, Anm. d. Red.) fand auch bei den Amateuren immer mehr Anwendung. Deshalb war es schwer, ganz vorne mitzufahren. Außerdem war ich schon 36 und der Biss, es noch mal unter die Profis zu schaffen, hat dann auch gefehlt. Ich wusste zudem, dass es meiner Gesundheit schaden würde, den Sport noch mal als Leistungssport zu betreiben. Ich habe das nur am Rande mitbekommen, aber die damaligen Profis mussten sich entscheiden, ob sie in diesen furchtbaren Apfel namens Doping beißen oder eben hinterherfahren. Die, die damals die Tour gefahren sind, haben sich reihenweise mit dem Zeug vergiftet, weil man noch nicht wusste, wie man EPO und die anderen Substanzen richtig kühlt. Das waren fürchterliche Zustände. Ich hoffe, dass es heute etwas besser ist, aber ich denke, solange es Leistungssport gibt, wird es auch die Möglichkeit geben, zu bescheißen.

Haben Sie auch in der DDR Erfahrungen mit Doping gesammelt?

Dadurch, dass ich 1983 aus den Clubs raus war, kam ich um die ganze Sache ein bisschen drumrum. Sie hatten schon angefangen, mit Testosteron ein bisschen zu experimentieren, aber man hatte immer die Möglichkeit, dem aus dem Weg zu gehen. Alleine von der moralischen Seite betrachtet, hätte ich mich nie über einen gedopten Erfolg freuen können. Einmal kam ich nicht drumrum: Da wurde ich in einen Raum reingezerrt, in dem jeder eine Spritze injiziert bekam. Danach ging es mir sehr schlecht. Ich bin bis heute der Meinung, dass die Leute, die dieses Zeug verbreiten und es selbst nehmen, mit Haftstrafen belegt werden sollten.

Im Jahr 2000 haben Sie dann zum ersten Mal die Ostseetour von Leipzig nach Stralsund organisiert. Wie kam es dazu?

Ich hatte davon gehört, dass ein paar Leute in 24 Stunden an die Ostsee fahren wollten. Meine erste Reaktion war: »Hä, wie langsam wollt ihr denn fahren?« (lacht). Es war dann eher eine spontane Entscheidung, dass ich da mitgefahren bin. Mir hat gefallen, wie begeistert und glücklich die Leute waren. Danach habe ich dann angefangen, die sportliche Seite zu managen. Zusammen mit Frank Maasdorf und Sven Grunert organisiere ich die Tour seitdem. Es ist eine lustige, schöne Sache, wenn die Teilnehmer an der Ostsee mit Meereswasser zu Giganten der Landstraße getauft werden.

Bestimmt denken jetzt einige Menschen: »430 Kilometer in 24 Stunden – das schaffe ich locker!« – Was sollte man tun, wenn man nächstes Jahr antreten und ankommen will?

Man muss nicht Hunderte Kilometer in der Vorbereitung fahren, um mitzumachen. Ich hatte schon Teilnehmer, die es fast aus der Kalten geschafft haben. Natürlich ist eine gewisse Grundausdauer von Vorteil. Die Strecke ist aber flach und nicht so schwer. Man muss sich aber auch bewusst sein, dass es ganz schön anstrengend ist, so lange auf einem Sattel zu sitzen (lacht). Ein Rennrad wäre schon wichtig. Es gab schon Teilnehmer, die es mit einem Mountainbike versucht haben, die sind zwar auch angekommen, aber hatten es deutlich schwerer.

Und ist es Zufall, dass Sie ein Rennen an die Ostsee organisieren und in der Rostocker Straße einen Fahrradladen haben?

(lacht) Die Straße wurde irgendwann umbenannt, ich weiß nicht, ob ich der Grund war ...

Nächstes Jahr steht die 25. Ostseetour an. Ist etwas Besonderes zu diesem Anlass geplant? 

Wir sind noch dabei, die Tour zu planen. Nächstes Jahr soll es nach Prerow gehen – der Zielort wechselt jedes Jahr ein bisschen. Wir machen aber auch keinen großen Rummel um die ganze Tour. Wir sind nicht so wild darauf, dass es eine riesengroße Nummer mit 5.000 Teilnehmern wird. Es soll immer noch familiär bleiben, so dass man am Ende der Tour mit jedem einmal gequatscht hat.

INTERVIEW: LENA GRÜTZMACHER

> Hier finden Sie Infos zur Ostsee-Tour.


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