Nach Hinweis (nicht öffentlich bei geringeren Verstößen gegen den Pressekodex an die jeweilige Redaktion) und Missbilligung (für schwerere Verstöße, ebenfalls nicht öffentlich) ist die öffentliche Rüge die härteste Sanktion der Beschwerdeausschüsse des Deutschen Presserates. Sie muss von der Redaktion in einer ihrer nächsten Ausgaben veröffentlicht werden. Zum Schutz von Betroffenen kann die Rüge allerdings auch nicht-öffentlich ausgesprochen werden. Wie schneidet die sächsische Presse bei der Verteilung der Rügen ab? Und wofür wurden sie gerügt? Das ist der öffentlich einsehbaren Rügen-Datenbank des Presserates zu entnehmen. Ein Streifzug.
Sächsische Zeitung: 8 Rügen (in den Jahren 2023, 2022, 2021, 2013, 2010, 2009, 2005 und 2003)
Dresdner Morgenpost: 7 Rügen (2x 2012, 2007, 2x 2004, 2003, 2001)
Chemnitzer Morgenpost: 4 Rügen (2014, 2003, 1995, 1994)
Leipziger Volkszeitung: 3 Rügen (2x 2015, 2013)
Torgauer Zeitung: 1 Rüge (2002)
Mitteldeutscher Express: 1 Rüge (1991)
Ausgewählte Rügen für sächsische Zeitungen
Sächsische Zeitung (0456/20/3): Verstoß gegen Ziffer 7 (Trennung Werbung und Redaktion), Rüge veröffentlicht am 25.1.2021
Im Beitrag »Mit Mundspray gegen das Virus« beschäftigt sich die Sächsische Zeitung mit dem Schutz vor Corona-Viren durch die Nutzung eines Sprays mit ätherischen Ölen. Sowohl ein Heilpraktiker als auch ein Mediziner, die die Wirkung des Sprays nicht ausschließen, kommen zu Wort. Genauso wie der Vertriebsleiter, der über eine riesige Nachfrage nach dem Produkt berichtet. Der Beschwerdeausschuss entscheidet, die positiv-unkritische Beschreibung des Sprays habe den Effekt, dass die Grenze zur Schleichwerbung überschritten wird, da ein eindeutiger Werbeeffekt für das Produkt entsteht.
Chemnitzer Morgenpost (0476/14/1): Verstoß gegen Ziffer 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde) im Jahr 2014
Im Beitrag »Hier erschießt ein Mann gleich seine Frau« der Chemnitzer Morgenpost sind zwei Fotos abgedruckt, die eine Nachbarin von der Tat mit ihrem Handy gemacht hat. Der Beschwerdeausschuss beschließt, die Veröffentlichung der Fotos sei presseethisch nicht vertretbar. Insbesondere durch die Überschrift suggeriere die Zeitung den Leserinnen und Lesern, sie könnten das Sterben der Frau unmittelbar miterleben. Das Opfer wird dadurch in seiner Menschenwürde verletzt. Ein Tötungsdelikt so zu dokumentieren, gehe zu weit.
Leipziger Volkszeitung (712/13/1), Verstoß gegen Ziffer 9 (Schutz der Ehre) im Jahr 2013
In einem sächsischen Ort soll ein ehemaliges Wohnheim zu einem Haus für Asylsuchende umgewandelt werden. Die NPD hat einen Infostand eingerichtet, eine antirassistische Initiative eine Demonstration gegen die NPD beantragt. Die Mehrheit der Einwohnerinnen und Einwohner hat sich bei einer Unterschriftenaktion gegen das Asylheim ausgesprochen. Ein Autor der LVZ kommentiert, der Wille der Unterzeichner sollte umgesetzt werden, da sonst der »braune und rote Abschaum und der Mob« auch künftig die Nachrichten im Ort zu diesem Thema dominieren könnten. Der Beschwerdeausschuss ist überzeugt, Menschen als »Abschaum« zu bezeichnen, verletze sie in Ehre und Würde. Der Begriff »Abschaum« überschreite die Grenze des im Meinungskampf Zulässigen und sei eine Schmähkritik. Die Bezeichnung setze ihrer Bedeutung nach Menschen mit Abfall gleich und greife so deren Menschenwürde an.
Dresdner Morgenpost (0835/11/2): Verstoß gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) im Jahr 2012 (nicht-öffentliche Rüge)
Die Dresdner Morgenpost berichtet über einen Fall, in dem ein junger Mann getötet und zerstückelt wurde. In der Überschrift stellt sie die Frage, ob er einem Manga-Mord zum Opfer gefallen sei. Sein Vorname und abgekürzter Familienname werden genannt, Fotos des Mannes veröffentlicht. Der Autor des Beitrages geht ausführlich auf die Lebensgeschichte des Opfers ein. Er schreibt, dass die Polizei im »Schwulen-Milieu« und in der »homosexuellen Cross-Dresser-Szene« ermittle. Der Beschwerdeausschuss stellt einen Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte des Getöteten fest, da die Presse das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen achten müsse und eine identifizierende Darstellung von Opfern nicht zulässig sei. Der Beschwerdeausschuss kritisiert auch den Text, in dem das Leben des Getöteten detailliert beschrieben wird. Durch zusätzlich vorgenommene Spekulationen über das Intimleben des Toten werde dessen Persönlichkeitsrecht verletzt. Ein öffentliches Interesse an einer detaillierten Darstellung der Lebensgeschichte des Mannes und von Dritten angestellten Vermutungen bestehe nicht.
Sächsische Zeitung (0524/10/1): Verstoß gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) im Jahr 2010 (nicht-öffentliche Rüge)
Eine Regionalzeitung berichtet über den Fortgang bei der Aufklärung eines Tötungsdelikts. Das Opfer wird als »20-jährige Yvonne S. aus (…)« bezeichnet. Zum Beitrag gestellt ist ein gepixeltes Foto der jungen Frau. Die Zeitung mutmaßt, der Tod der Frau dürfte der Fall mit dem meisten Sex-Appeal sein. Die Ermittler müssten die Frage klären, ob die Frau bei exzessiven Sexspielen ermordet oder Opfer eines Unfalls geworden sei. Der Beschwerdeausschuss spricht eine nicht-öffentliche Rüge aus. Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben einen Anspruch auf besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des Geschehens sei das Wissen um die Identität in der Regel unerheblich. Ausnahmen könnten bei Personen der Zeitgeschichte oder bei besonderen Begleitumständen gerechtfertigt sein. Beide Ausnahmen lägen hier nicht vor.
Dresdner Morgenpost (BK1-327/06), Verstoß gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) im Jahr 2007
Die Dresdner Morgenpost berichtet über einen tödlichen Autounfall unter der Überschrift »Drei Kinder weinen um tote Mutter«. Ein Foto der Unfallstelle wird abgedruckt, auf dem das zerstörte Auto, das zugedeckte Opfer sowie Schuhe, Strümpfe und ein Teil des linken Hosenbeins zu sehen sind. Die Zeitung nennt den abgekürzten Namen des Opfers, dessen Arbeitsstelle und den Wohnort. Der Beschwerdeausschuss kommt zu dem Urteil, die Zeitung habe die Persönlichkeitsrechte des tödlich verunglückten Opfers verletzt. Sowohl das Foto mit teilweise sichtbaren Details und die Schilderung der persönlichen Merkmale der Frau seien nicht akzeptabel. Die Identifizierung werde durch die Summe der Angaben möglich. Ein öffentliches Interesse an der tragischen Verkehrsunfallbilanz eines Tages könne die Redaktion zwar geltend machen, nicht aber ein öffentliches Interesse an der identifizierbaren Darstellung der tödlich verunglückten Mutter.
Dresdner Morgenpost (BK1-107/04): Verstoß gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) im Jahr 2004
Die Dresdner Morgenpost berichtet über die Selbsttötung eines 64-jährigen Rentners. Sie nennt den Vornamen, den abgekürzten Familiennamen und den Beruf des Mannes und veröffentlicht ein Foto des Betroffenen mit Augenbalken sowie seines Wohnhauses. Er habe sich umgebracht, schreibt das Blatt, weil seine Frau keinen Sex mehr mit ihm wollte. Die Dachzeile des Artikels lautet: »Weil Oma keinen Sex wollte«. Die 68-Jährige wird mit den Worten zitiert: »Sein ekelhaftes Gegrapsche war einfach unerträglich«. Mit der Veröffentlichung des Bildes und den Angaben zur Person wurde die vom Pressekodex gebotene Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Selbsttötung grob missachtet, stellt der Beschwerdeausschuss fest. Hinzu komme, dass in dem Beitrag über die Motive des Mannes abwertend spekuliert wird.
Und der kreuzer so?
… wurde noch nie gerügt und bekam zuletzt am 4. Juli 2017 Post vom Beschwerdeausschuss des Presserats, damals noch in die Büttnerstraße 10. Die »Entscheidung des Beschwerdeausschusses 2 in der Beschwerdesache 0219/17/2-BA« wird auf vier Seiten dargelegt. Unter der Überschrift »Vermintes Gelände« hatte in der März-Ausgabe des Jahres 2017 sowie online ein Artikel über das Westwerk gestanden, wo eine Initiative und mehr als tausend Demonstrierende sich gegen die kommerzielle Nutzung des Gebäudes stemmten. Beschwerde gegen den Artikel wegen angeblichen Verstoßes gegen Pressekodex-Ziffer 2 (Sorgfalt) hatte die der damaligen Redaktion gegenüber als Pressesprecherin der Initiative Auftretende eingereicht – deren Initiative im Artikel kritisch betrachtet worden war und nach dessen Veröffentlichung »unangemeldet in der Redaktion vorstellig« wurde.
Auf zwei Seiten »A. Zusammenfassung des Sachverhalts« (inklusive Zusammenfassung der Stellungnahme des damaligen kreuzer-Chefredakteurs Andreas Raabe zur Beschwerde) und knapp eine Seite »B. Erwägungen des Beschwerdeausschusses«, in der alle Beschwerdepunkte als unbegründet eingeschätzt werden, folgen ganze zwei Zeilen »C. Ergebnis«: »Insgesamt liegt damit kein Verstoß gegen die publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserats vor, so dass der Beschwerdeausschuss die Beschwerde für unbegründet erklärt.« Und schließlich: »Die Entscheidung ergeht einstimmig.« Unterschrift des stellvertretenden Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses.
Schönster Satz in dem Brief: »Der KREUZER berichtet seit 46 Jahren intensiv und regelmäßig über die Kreativ-, Off- und Subkultur Leipzigs.« Seit 46 Jahren, so, so … BENJAMIN HEINE