Das Museum der bildenden Künste hat am Dienstagabend bereits geschlossen, doch im Foyer ist noch etwas los. Ein Podiumsgespräch ist angesetzt. Zum Thema »Dealing with it – Über den künstlerischen Umgang mit Rassismuserfahrung« sind drei Gäste eingeladen: Sarah Blaßkiewitz, Filmemacherin, Rapper Amewu und Nadine Kiala, die als Kulturmanagerin und Kuratorin arbeitet und Mitglied bei der Initiative »N-Wort stoppen« ist. Moderiert wird der Abend von Soziologin und Autorin Katharina Warda.
Etwa dreißig Personen sitzen im Publikum, meist jung, weiblich und weiß. »Kein Wunder, dass so wenig Leute hier sind, bei der restriktiven Anmeldung und mit kaum Werbung«, sagt eine junge Frau halblaut zu ihrem Begleiter. Denn wer an der Veranstaltung teilnehmen wollte, musste sich vorher anmelden und angeben, ob er in seinem Leben bereits Rassismus erfahren hat oder nicht. Das sollte eine »paritätische Zusammensetzung« des Publikums ermöglichen. »Die Veranstaltung sollte Personen mit Rassismuserfahrung ansprechen«, sagt Olga Vostretsova, Verantwortliche für Diversität beim MdbK. »Das Anmeldeverfahren sollte eine Situation schaffen, in der sich alle wohl fühlen und eine Ermächtigungserfahrung für Personen mit Rassismuserfahrung sein.« Trotzdem: abgelehnt wurde laut Vostretsova niemand. Inwiefern ein solches Verfahren dann seinen Zweck erfüllt, sei dahingestellt. Während der Veranstaltung ist die Anmeldung kein Thema, der Fokus liegt ganz auf den Gästen. Alle drei sind im künstlerischen Bereich tätig und haben selbst Rassismuserfahrung. Wie das ihre Arbeit beeinflusst, sei unterschiedlich.
Regisseurin Saskia Blaßkiewitz, die ihren Debütfilm »Ivie wie Ivie« in ihrer Geburtsstadt Leipzig drehte, berichtet, dass sie Rassismus eigentlich gar nicht thematisieren wollte. Dann sei das Bedürfnis jedoch sehr stark geworden. Schnell dreht sich das Gespräch auf dem Podium dann auch um das Thema Sprache und die Verwendung von rassistischen Begriffen. Zum Beispiel um den Begriff »Schoko«, der im Verlauf des Filmes dekonstruiert und den Zuschauenden wieder weggenommen werden soll. Auch das N-Wort fällt im Film: »Es war klar, dass ich dieses Wort im Film einmal aussprechen muss, damit jeder merkt, wie hart dieses Wort ist, wie weh das tut und wie viel Angst es auslösen kann«, erklärt Blaßkiewitz ihre Entscheidung. Zustimmendes Nicken auf dem Podium. »In dem Fall hat mich das N-Wort persönlich nicht gestört, weil ich es als Mittel der Kunst wahrgenommen haben«, sagt Kulturmanagerin Nadine Kiala. Sie hätte sich trotzdem eine Triggerwarnung oder einen Disklaimer am Anfang des Films gewünscht, da die Verwendung des Wortes bei Betroffenen eine Retraumatisierung auslösen könne. Die Initiative »N-Wort stoppen«, in der Kiala Mitglied ist, wurde Anfang 2020 gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, das Wort so weit wie möglich aus dem deutschen Sprachgebrauch zu verbannen.
Inwiefern es dann trotzdem von Schwarzen Menschen in der Kunst eingesetzt werden kann und darf, ist ebenfalls Thema an diesem Abend im MdbK. Rapper Amewu verzichtet in seinen Texten komplett auf diesen und ähnliche Begriffe. Natürlich seien gerade Rap und HipHop geprägt von US-amerikanischen Künstlerinnen und Künstlern. »Da ist die Verwendung des Begriffs natürlich viel präsenter. Da musste selbst ich während meiner Zeit in New York manchmal schlucken«, berichtet Amewu. Ob sich die Schwarze Community den Begriff auch in Deutschland zurückerobern könnte, so wie es etwa bei den Worten »schwul« oder »queer« passiert ist, stellt die Moderatorin Warda zur Diskussion. Das werde mit dem N-Wort so schnell nicht passieren, da sind sich alle Gäste einig. In Deutschland sei das Wort mit der Geschichte verbunden, die zur Entmenschlichung Schwarzer Menschen geführt hatte. Daher gäbe es nichts zu reclaimen. Zu groß sei auch die Gefahr, dass das Wort dann wieder unreflektiert verwendet werde.
Einen Wendepunkt, auch für die Kunst, sehen Amewu, Blaßkiewitz und Kiala in der Black Lives Matter Bewegung, die nach dem gewaltsamen Tod an George Floyd im Sommer 2020 auch in Deutschland viel Aufmerksamkeit bekam. Die Bewertung der Bewegung geht allerdings auseinander. »BLM hat mir eine Unterstützung vermittelt. Ich wusste plötzlich, ihr seid da draußen irgendwo. Davor habe ich mich eher allein gefühlt«, beschreibt Blaßiewitz, wie die Bewegung den Prozess zu ihrem Film »Ivie wie Ivie« beeinflusst hat. Anders war es für Rapper Amewu: »Ich war Teil der Rap-Szene, aber irgendwie auch nicht, weil ich mich klar gegen rassistische Sprache positioniert habe«. Er sei früher viel von Aktivistinnen und Aktivisten eingeladen worden, »vermutlich, weil sie wussten, dass sie mich nicht zensieren müssen«, sagt er mit einem Schmunzeln. Nach BLM sei es anders geworden. Plötzlich sei es cool gewesen, Haltung zu zeigen, in seinem musikalischen Umfeld seien einzelne Leute aufgetreten, die sich vorher bedeckt gehalten hatten. »Das kam mir irgendwie opportunistisch vor«, sagt Amewu.
Rassismuserfahrungen haben sein Leben stark geprägt. »Vermutlich wäre ich heute Journalist oder Psychologe. Der Rap war ein Raum, wo mich die Leute nicht genervt haben, wo ich nicht mit den ganzen Institutionen dealen musste.« Institutionen im kulturellen Bereich seien oft noch sehr weiß, betont auch Nadine Kiala: »Das sind Orte, die nicht offen sind für Menschen mit Diskriminierungserfahrung«.
Das MdbK hat sich mit der Veranstaltung bemüht, genau diese Menschen anzusprechen. Der Blick ins Publikum zeigt aber, dass es dafür offensichtlich viel mehr braucht, als die persönliche Anmeldung zu einer Veranstaltung.