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Sport

Dabei sein ist nicht alles

Das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig stemmt sich gegen Budgetkürzungen im Sport

  Dabei sein ist nicht alles | Das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig stemmt sich gegen Budgetkürzungen im Sport  Foto: IAT

Das Gebäude ist kaum zu übersehen: ein grüner Block unweit von Zentralstadion und Arena. Hinter der auffälligen Fassade verstecken sich die Büroräume von 135 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Messinstrumente und Messplätze des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT). Steffen Kerner, ein eher kleiner Mann mit Brille und rotblondem Bart, ist stellvertretender Forschungsbereichsleiter der Biomechanik und Sporttechnologie. Er versucht für die komplizierten Geräte hier einfache Worte zu finden. Was einem vermeintlich aus dem Fitnessstudio bekannt vorkommt, wird im IAT nicht zum Muskelaufbau, sondern zur Messung von Muskelaktivitäten, Stoß-, Wurf- oder Zug-Kraft und Ausdauer gebraucht. So nutzen Athletinnen und Athleten hier beispielsweise ein Gerät mit dem zauberhaften Namen Quantum 1080 Syncro: sieht aus wie ein Gerät zum Bankdrücken, misst aber, wie hoch Sportlerinnen und Sportler eine Stange aus der Rückenlage stoßen können: bis zu 1,05 Meter – mit einer 15 Kilo schweren Stange.

In einem anderen Raum sind gerade zwei Leichtathleten auf dem Laufband. Da das IAT einzigartige Bedingungen in Deutschland bietet, sind auch regelmäßig Sportlerinnen und Sportler aus Bundes- und Olympiakader zu Gast. Die beiden Läufer, die heute ihren Leistungstest absolvieren, werden von Trainingswissenschaftler Daniel Fleckenstein betreut. Sie laufen 2.000 Meter in einer vorgegebenen Geschwindigkeit, bekommen dann Blut abgenommen – und wieder von vorne. Artur Beimler, Deutscher U23-Meister 2022 über 1.500 Meter, erklärt, dass so ermittelt werde, wie hoch sein Laktatwert bei Belastung steigt. Aus den Ergebnissen lassen sich Rückschlüsse auf den aktuellen Trainingszustand ziehen. Dass das IAT die Athletinnen und Athleten bei dieser Leistungserhebung unterstützt, sei extrem wichtig, sagt Beimler. Nur dadurch sei ihm der Sprung vom Nachwuchs zu den Profis möglich. Einer seiner Unterstützer ist Daniel Fleckenstein. Er betreut die Forschungsgruppe Lauf/Gehen nicht nur hier am Institut, sondern begleitet die Athletinnen und Athleten auch bei drei bis vier Trainingslagern und Wettkämpfen im Jahr. So sei eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Aktiven, aber auch den Trainerinnen und Trainern möglich, sagt Fleckenstein. Genau dieses Vertrauen brauche es, um Trainingsmethoden zu verändern und Rückstände anzusprechen.

Erst drohte die Kürzung, jetzt soll das IAT 5,4 Millionen Euro mehr erhalten

Ebendieses Vertrauen stand aber auf der Kippe, als dem IAT im Sommer Budgetkürzungen angekündigt wurden. Fleckenstein berichtet von besorgten Anrufen seiner Schützlinge, die das gemeinsame Projekt in Gefahr sahen. »Ich verstehe nicht, wie kurzfristig Gelder gekürzt werden sollen und dann Gelder wieder zugesprochen werden können. Da fehlt für mich der langfristige Plan«, sagt der Wissenschaftler.

Aber von Anfang an: Im Juli dieses Jahres ging ein Aufschrei durch den Sport. In einem Entwurf des Bundes-Haushaltsplans für 2024 war vorgesehen, den Forschungszentren IAT in Leipzig und FES (Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten) in Berlin insgesamt vier Millionen Euro vom Etat zu kürzen – etwa 20 Prozent. Das hätte nach Angaben der Institutionen verheerende Folgen für IAT und FES, da diese projektbasiert finanziert werden. Das bedeutet, dass die Projekte über vier Jahre geplant werden, auch wenn das Geld jährlich neu vergeben wird. So hagelte es Kritik und prominente Stimmen wie Bob-Olympiasieger Francesco Friedrich und Bahnrad-Olympiasiegerin Franziska Brauße stellten sich hinter IAT und FES. Brauße machte beim MDR im Juli deutlich: »Ohne FES und IAT könnten wir mit unserem Sport aufhören.« Die Kritik trug Früchte und der Haushaltsentwurf wurde überarbeitet. Im neuen Entwurf wird den beiden Institutionen jetzt sogar mehr Geld zugesprochen – 5,4 Millionen Euro mehr. Dies wird mit der Tarifsteigerung im öffentlichen Dienst begründet.

Nachholbedarf bei der Forschung im Parasport

Zurück im IAT: Von den Laufbändern, auf denen gerade die Leistungstests durchgeführt werden, geht es zum Büro des Direktors im ersten Stock. Dort erwartet uns Marc Oliver Löw – 43 Jahre, grauer Bart, freundliches Gesicht. Er hat zu den angekündigten Kürzungen nur eine kurze Erklärung erhalten: »Wir standen mit dem Innenministerium und Parlamentariern im Austausch. Uns wurde mitgeteilt, dass es nicht an der Leistung festgemacht wurde. Die Befunde der Kürzungen waren finanzieller Natur.« Dies legt auch eine Erklärung des SPD-Abgeordneten Frank Ullrich aus Thüringen nahe, dem Vorsitzenden des Sportausschusses des Bundestages: »Der gegenüber dem Vorjahr absinkende Ansatz beim FES und beim IAT geht auf den durch die Bundesregierung eingeschlagenen Konsolidierungskurs zurück.« Die nun angekündigten Erhöhungen, die Löw bis zur tatsächlichen Verabschiedung des Haushalts noch mit Vorsicht betrachtet, »verbessern die Rahmenbedingungen für nächstes Jahr im Vergleich zu diesem Jahr nicht. Wir können somit die Tarifsteigerung, die im März greift, mitgehen«, erklärt Löw.

Wie erfolgreich das IAT ist, sieht man an den Erfolgen, an denen das Institut unmittelbar beteiligt war: 63 Prozent der deutschen Olympia-Medaillen wurden mit IAT-Beteiligung gewonnen. Rund 2.000 Bundeskaderathletinnen und -athleten werden in 19 Projekten in olympischen Sommersportarten, sieben Projekten in olympischen Wintersportarten sowie vier Projekten in paralympischen Sportarten durch das IAT unterstützt. In Zukunft soll vor allem die Zahl der paralympischen Erfolge zunehmen: »Es gibt noch nicht so viel Forschung und somit viele Themenfelder, die man noch gemeinsam bearbeiten kann. Um dauerhaft im Para-Sport leistungsfähig zu bleiben oder werden zu wollen, darf man definitiv nicht aufhören zu investieren«, sagt IAT-Direktor Löw.


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