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Kultur

Sprich zu uns, Pergament

Gebrochene Rücken, chirurgische Nadeln und eine tote Ziegenherde – ein Besuch in der Restaurierungswerkstatt und Buchbinderei der Unibibliothek

  Sprich zu uns, Pergament | Gebrochene Rücken, chirurgische Nadeln und eine tote Ziegenherde – ein Besuch in der Restaurierungswerkstatt und Buchbinderei der Unibibliothek  Foto: Wolfgang Eschenhagen

 

Vorbei am Foyer der Albertina, ein paar Treppenstufen hinunter. Hinter einer dicken Tür befinden sich die lichtdurchfluteten Räume der Restaurierungswerkstatt und Buchbinderei der Universitätsbibliothek. Hier arbeiten drei Angestellte in der Buchbinderei und fünf in der Restaurierung – einige Tätigkeiten können jedoch alle, erklärt Jörg Graf, Leiter der Werkstatt.

Wir betreten diese und stehen direkt im ersten Bereich, der Buchbinderei. Auf dem großen Werkstatttisch liegen kleinere und größere Bücherstapel. Die Schäden daran sind vielfältig: kaputte Buchrücken, lose Seiten und abgegriffene Einbände. Eine Buchbinderin bearbeitet gerade konzentriert ein Buch aus dem Bestand der UBL, das sie einem alten Karren entnommen hat. »Der Freihand-Bestand der UB sowie Ausleihanfragen haben immer Vorrang«, so Graf.

Der Weg zur Restaurierungswerkstatt führt am Nassraum vorbei. Hier stehen die großen Geräte still, die sonst die Buchseiten ausbessern, um sie haltbar zu machen.

Am Ende der Werkstatt liegt der etwa dreimal so große Restaurierungsraum mit riesigen Tischen. Im Gegensatz zur Buchbinderei kümmert man sich hier hauptsächlich um alte bis sehr alte Bücher, wobei der Erhalt der Originalität und Reversibilität – die Möglichkeit, Eingriffe rückgängig machen zu können – dabei immer im Vordergrund stehen.

Die Fachbereiche, die für die Erhaltung der Bestände zuständig sind, arbeiten oft eng zusammen, beispielsweise wenn es ums Finden gemeinsamer Lösungen für die Bearbeitung bestimmter Bestände geht.

Die Ziegenherde im Buch

In der Restaurierungswerkstatt angekommen, stellt Graf begeistert ein altes Buch vor. Dieses auf den ersten Blick unscheinbare Werk entfaltet erst durch die ansteckenden Erzählungen Grafs über die kulturellen Hintergründe seine Besonderheit: Es handelt sich um ein altes Klosterbuch aus der Renaissance. Restauratorin Fanny Bartholdt stößt während Grafs Erzählungen dazu. Beide überlegen, wie sie den insektendurchfressenen Holzeinband für die weitere Benutzung stabilisieren können. Für einen Moment scheint es, als ob sie dabei ihre Umgebung vergessen und ganz in ihrer Passion aufgehen. Beide schlagen Vorgehen zur Bearbeitung des kaputten Einbands vor und diskutieren enthusiastisch.

Als die nächsten Schritte geklärt sind, schlägt Bartholdt die Seiten des Klosterbuches auf und fährt vorsichtig mit ihrer Hand über einige Ungereimtheiten auf dem Material. Diese kleinen Löcher stehen für die Qualität des Pergaments. Für eine Doppelseite des Klosterbuches brauchte es die Haut von einer Ziege, so dass gerade »vor uns eine ganze Ziegenherde liegt«, erläutert Bartholdt. Auf dem Pergament sind verhornte, gelbliche Unreinheiten: Das sind Narben der Tiere, die sie zu ihren Lebzeiten erfahren haben. An kleineren Reparaturen mit Nadel und Faden lässt sich zudem ableiten, dass die fragilen Schätze dort bereits vor Jahrhunderten stabilisiert, manchmal sogar hervorgehoben wurden – Restaurierung im Lauf der Zeit.

Kaputte Rücken und Gehirnchirurgie

In der Werkstatt gibt es ein Buch mit besonders schönem, weinrotem Samteinband, mit dem sich Bartholdt seit Monaten beschäftigt. Der zerfetzte Samt stellt für die Restauratorin noch das kleinste Problem dar: Der Buchrücken ist derartig kaputt, dass nicht einmal das übliche Werkzeug zur Restaurierung seinen Dienst tut. Alle Nadeln und dazugehörigen Fäden der Werkstatt sind zu dick. Glücklicherweise kennt einer ihrer Kollegen einen Gehirnchirurgen, der Proben spezieller kleinster Nadeln mit angeklebtem Faden in die Werkstatt senden konnte. Bartholdt legt die Utensilien aus der Gehirnchirurgie in ihre Handfläche, so dass der Faden kaum noch zu erkennen ist. Auch die gekrümmte chirurgische Nadel ist nur knapp halb so groß wie die anderen in der Werkstatt.

Das Schöne an der Arbeit in der Restaurierungswerkstatt sei, dass »es all meine Interessen und Fähigkeiten vereint«, sagt Bartholdt. Dazu gehörten »ein gutes räumliches Sehvermögen und der Mut, neue Dinge auszuprobieren«, für die man manchmal über den Tellerrand hinausschauen müsse – und natürlich ein geschichtliches und kulturelles Interesse, um respektvoll mit den Artefakten umzugehen. Dieser Respekt ist in der Art und Weise, wie Bartholdt und Graf über die Bücher sprechen und sie berühren, eindeutig zu erkennen.

Und apropos respektvoller Umgang mit Büchern: Für die Lieblingsschmöker zu Hause hat Graf noch einen Tipp. Fallen Seiten heraus, solle man sie mit einem wasserlöslichen Klebestift vorsichtig wieder ankleben. »Unter gar keinen Umständen Klebeband nutzen!« 


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