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Stadtleben

In Hausschuhen und ohne Jacke

Anwohnende berichten von willkürlichen Dursuchungen und Identitätsfeststellungen am 13. Dezember in Connewitz

  In Hausschuhen und ohne Jacke | Anwohnende berichten von willkürlichen Dursuchungen und Identitätsfeststellungen am 13. Dezember in Connewitz  Foto: Leon Heyde

»Im Winter ist es kalt, sehr geehrte Staatsgewalt«, unter diesem Slogan startete vor zwei Wochen eine Spendenaktion für Winterjacken auf der Seite gofundme.com. Die Organisatoren der Crowdfunding-Kampagne berichten davon, dass Menschen in der Nacht vom 13. Auf den 14. Dezember in Connewitz willkürlich festgenommen und mit auf die Polizeiwache in der Dimitroffstraße genommen wurden. Dort seien sie in der Nacht teilweise ohne ihre Jacken wieder entlassen worden. Berichte von Betroffenen, die dem kreuzer vorliegen, decken sich mit diesen Vorwürfen.

Am 13. Dezember, der in der Szene stellvertretend für das Kürzel ACAB (»All Cops are Bastards«) steht, sollen laut einer Polizeimeldung vom Tag danach in Connewitz »an verschiedenen Orten insgesamt drei Mülltonnen« festgestellt worden seien, »die entzündet und teilweise durch Feuer komplett zerstört worden waren.« Insgesamt habe die Polizei etwa ein Dutzend Tatverdächtige im Alter von 18 bis 39 Jahren mit auf eine Polizeidienstelle genommen. Dort seien sie erkennungsdienstlich erfasst und in der Nacht wieder entlassen worden. Der Staatsschutz ermittle wegen des Anfangsverdachts des Landfriedenbruchs.

Anwohnerin berichtet, als Zeugin und Beschuldigte belehrt worden zu sein

Dem kreuzer liegen die Berichte von zwei Anwohnenden aus der Stockartstraße vor, die Schilderungen lassen auf willkürliche Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen schließen. Laut Anwohnenden sei die Stockartstraße von mindesten 20 Polizeibeamten und -beamtinnen umstellt worden.

Eine Anwohnerin berichtet davon, mit einem Bekannten kurz vor Mitternacht von einem anderen Haus in der Stockartstraße zu ihrem eigenen Haus in der derselben Straße gelaufen zu sein. Nachdem sie den Hauseingang bereits geöffnet gehabt hätte, sei sie durch Polizeibeamte weggedrängt und an einer Straßenecke einer Identitätsfeststellung unterzogen worden. Auf Nachfrage der Anwohnerin hätten die Beamten die Maßnahmen damit begründet, dass sie des Landfriedensbruchs einige hundert Meter entfernt in der Hildebrandtstraße beschuldigt sei. Die Anwohnerin behauptet, die Stockartstraße an diesem Abend nie verlassen zu haben. Zudem hätten die Polizeibeamten bemerken müssen, dass sie auch nicht aus Richtung Hildebrandtstraße zu ihrem Haus gelaufen kam, sagt die Anwohnerin.

Polizei bestätigt, »Oberbekleidung« sichergestellt zu haben

Im Anschluss hätten die Beamten die Anwohnerin sowohl als Beschuldigte als auch als Zeugin belehrt. Beides schließt sich gegenseitig aus, weil Beschuldigte im Gegensatz zu Zeugen keine Aussagen gegenüber der Polizei machen müssen, um sich im Zweifel nicht selbst zu belasten. Erklärt hätten die Beamten diesen Widerspruch gegenüber der Anwohnerin nicht.

Unterdessen habe die Anwohnerin für ihren nichtdeutschsprachigen Bekannten übersetzt, den die Polizisten ebenfalls kontrolliert hätten. Als die Beamten erklärt hätten, der Bekannte müsse als Beschuldigter mit auf das Polizeirevier in der Dimitroffstraße kommen, habe die Anwohnerin einen Dolmetscher für ihn gefordert. Die Beamten hätten daraufhin Fotos von der Anwohnerin gemacht und ihr Bekannter sei aufs Revier gebracht worden. Dort sei seine Jacke eingezogen und er um 3:30 Uhr wieder entlassen worden.

Präzise Antworten der Polizei zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich

Auf kreuzer-Anfrage bestätigte Polizei-Sprecherin Susanne Lübcke, dass in der Nacht »mehrere Tatverdächtige zunächst auf eine Polizeidienststelle gebracht und deren Oberbekleidungen sichergestellt bzw. beschlagnahmt« wurde. Aufgrund anhaltender Ermittlungen könnten keine näheren Angaben dazu gemacht werden.

Konkrete Fragen zu dem Bericht der Anwohnerin konnte die Polizei Leipzig bis zum Redaktionsschluss nicht beantworten. Man sei aber bereit, im neuen Jahr weitere Nachforschungen anzustellen, wenn konkretere Informationen zu den Personen gegeben werden können. Auch Fragen zu einem zweiten Bericht eines Anwohners der Stockartstraße, der dem kreuzer vorliegt, konnte die Polizei nicht beantworten.

Dieser berichtete davon, dass Beamte mehrere Minuten lang mit ihren Taschenlampen in seine Wohnung geleuchtet hätten, weshalb er nicht habe schlafen können. Als er sich bei den Beamten erkundigt habe, wie lange der Einsatz noch dauere, hätten die Beamten geantwortet, dass ihn das nichts angehe und er auf einem Sofa im von der Straße abgewandten Teil seiner Wohnung schlafen solle.

In Hausschuhen in der Identitätsfeststellung

Zurück im Haus habe der Anwohner vom Fenster aus Nachbarn auf der Straße gesehen. Er sei wieder auf die Straße getreten, um von den Nachbarn zu erfahren, ob diese etwas über den Einsatz wüssten. Während des Gesprächs sei er plötzlich von Polizeibeamten »weggeschliffen« und an eine Mauer gestellt worden.

Auf Nachfrage hätten die Beamten ihm mitgeteilt, dass er Beschuldigter einer Brandstiftung sei. Weil er nur mit dünnem Pullover, Jogginghose und Hausschuhen bekleidet gewesen sei, habe ihm seine Lebensgefährtin eine Jacke sowie eine Mütze gebracht. Beide Kleidungsstücke seien durchsucht und ihm durch die Polizei schließlich übergeben worden.

Die Beamten hätten im Anschluss Fotos des Anwohners gemacht – nach dessen Protest auch nochmal ohne die nachträglich gereichten Kleidungsstücke. Die gesamte Maßnahme soll etwa anderthalb Stunden gedauert haben.


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