Die Hälfte der Deutschen würde gern selbst ein Buch veröffentlichen. Das geht jedenfalls aus einer Studie von »Books on Demand«, dem größten deutschen Selfpublishing-Dienstleister, hervor. Gibt es also zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen doch noch die vielbeschworene Gemeinschaft der Dichter und Denker, die sogar derart eigenständig agiert, dass ihr das Urteil eines herkömmlichen Verlegers egal sein kann? Denn das ist das Versprechen und Potenzial von Print-on-Demand: Jeder und jede kann mithilfe von Onlineplattformen wie Lulu oder Blurb das eigene Buch selbst gestalten – und veröffentlichen. Gedruckt wird ein Buch erst, wenn es bestellt wird, so dass Schreibende nicht mehr für die erste Auflage in Vorkasse gehen müssen.
Dass dieses Verfahren auch Fallstricke und Schattenseiten birgt, zeigt die Wechselausstellung »Schmuddelkind der Branche? Books on Demand« im Deutschen Buch- und Schriftmuseum. In den Vitrinen des kleinen goldenen Kabinetts warten Bücher auf uns, manche aufgeschlagen, manche in mehreren Versionen. Ein Booklet bringt uns die Ausstellungsstücke näher, die in Kategorien wie »Fehleranfälligkeit«, »Trash/Kanon«, »Remediation« oder »Reprint« eingeteilt sind. Es dauert einen Moment, bis man in diese Welt hineinfindet und ihre Begrifflichkeiten einzuordnen weiß.
Grundlage der Ausstellung ist das digitale Archiv der Library of Artistic Print on Demand. Die Grenze zwischen Kunstwerk und Fehlschlag ist hier bewusst fließend, denn viele Exponate zeigen, was beim Digitaldruck von Dateien, die häufig gar nicht oder nur flüchtig geprüft werden, alles schiefgehen kann. Nicht verarbeitete Schriftzeichen, unleserliche Scans, schwankende Druck- und Farbqualität: Für alles gibt es ein Beispiel, das im Sinne der Glitch Art zum Kunstwerk erklärt wurde. In der Abteilung »Trash/Kanon« sind Bücher zu sehen, die etwa den gesamten Text eines Videospiels, Spam-E-Mails eines Jahres oder das Kommunistische Manifest in der Schriftart Comic Sans enthalten. Print on Demand ermögliche es, »traditionelle Machtstrukturen der Buchwelt ins Wanken« zu bringen, indem Inhalte gedruckt werden, »die bisher nicht als buchwürdig galten«. Dass der Kanon (welcher Kanon gemeint ist, bleibt im Ausstellungstext offen) von solchen Kreationen »erweitert und diversifiziert« wird, erscheint zweifelhaft, denn zumindest der literarische Kanon dürfte von ihnen weitgehend unberührt bleiben. Spannender erscheinen da Projekte wie Nanni Balestrinis Roman »Tristano. № 6982 von 109 027 350 432 000 möglichen Romanen«, bei dem jedes gedruckte Exemplar eine individuelle Anordnung des Textes enthält.
Die Ausstellung regt zum Nachdenken über den Stellenwert, die Potenziale und Grenzen des Mediums Buch an. Allerdings bleiben die Betrachtenden dabei im wahrsten Sinne des Wortes unberührt, denn man wünscht sich unwillkürlich, diese Seltsamkeiten, die so anders sind als ihre Kameraden im Buchladen, durchzublättern und zu begreifen.
> »Schmuddelkind der Branche? Books on Demand«: bis 18.2., Deutsches Buch- und Schriftmuseum