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»Wir brauchen substanzielle Förderung, vor allem für den sozialen Wohnungsbau«

Dieter Rink widmet sich als Soziologe am UFZ der Transformation von Städten nach Ende der DDR – und spricht im Interview über den Wohnungsmarkt in Leipzig

  »Wir brauchen substanzielle Förderung, vor allem für den sozialen Wohnungsbau« | Dieter Rink widmet sich als Soziologe am UFZ der Transformation von Städten nach Ende der DDR – und spricht im Interview über den Wohnungsmarkt in Leipzig  Foto: Sandra Schubert

Wie schätzen Sie den Wohnungsmarkt in Leipzig ein?

Ich nehme ihn als ziemlich angespannt wahr, rein statistisch haben wir mittlerweile mehr Haushalte als Wohnungen. Der hohe Leerstand ist Vergangenheit. Ich sehe vor allem im preiswerten Segment eine große Knappheit. Die Mietbelastungsquote liegt in Leipzig mit 29 Prozent zwar unter der Belastbarkeitsgrenze von 30 Prozent, viele Haushalte haben aber in den letzten Jahren Mieterhöhungen bekommen, ein beträchtlicher Teil rechnet demnächst damit und fürchtet, diese nicht bezahlen zu können. Viele Daten zeigen, dass Leipzig immer noch ärmer ist als die meisten vergleichbaren Großstädte in Deutschland. Das zeigt etwa der Anteil der Menschen, die Bürgergeld beziehen, aber auch das Durchschnittseinkommen.


Wer bietet preiswerte Wohnungen an, abgesehen von der stadteigenen LWB?

Da sind vor allem die großen Genossenschaften, es gibt auch noch private Vermieter. Man muss sehen, dass es in den weniger gefragten Stadtvierteln – wie Grünau oder Paunsdorf – noch preiswerte Wohnungen gibt. Das Problem ist, dass neue und modernisierte Wohnungen überwiegend teuer auf den Markt kommen. Allerdings ist die Bauwirtschaft jetzt in die Krise geraten, durch hohe Kosten für Energie, Baumaterial, Tarife und steigende Zinsen in der Baufinanzierung. Begonnene Projekte werden zu Ende geführt, neue Bauvorhaben gibt es aber kaum noch. Zu diesen Problemen kommt noch hinzu, dass der Gebäudesektor – Stichwort Heizungsgesetz – in den kommenden 20 Jahren Klimaneutralität erreichen muss: Wir stehen vor einer neuen Sanierungswelle, diesmal in allen Beständen.


In den letzten Jahren wurden teilweise stark überhöhte Preise für Grundstücke und Gebäude bezahlt. Jetzt melden erste Immobilienunternehmen Insolvenz an, da sie durch die gestiegenen Kosten und Zinsen ihre Schulden nicht mehr bedienen können.

Ich glaube, dass wir substanzielle Förderungen brauchen, vor allem für den sozialen Wohnungsbau. Dort kommen viel zu wenige Wohnungen neu auf den Markt und selbst die sind nicht unbedingt preiswert. Die Zuschüsse für Sozialwohnungen sind zwar erhöht worden, um auf die gestiegenen Preise zu reagieren – wenn aber die Fördersumme nicht aufgestockt wird, dann verringert sich die Zahl der geförderten Wohnungen. Ich finde es sinnvoll, dass auch durch Modernisierung zusätzliche Sozialwohnungen geschaffen werden können. Angesichts der Sparvorhaben der Regierung sehe ich hier aber wenig Chancen, dass es zusätzliche Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau vom Bund gibt. Für die Baubranche wird die Krise zum Problem, weil die Firmen nun Personal entlassen. Das wird fehlen, wenn die Baukonjunktur in ein paar Jahren wieder anspringt. Auch für die energetische Sanierung und den Umbau des Heizungssystems braucht man Personal.


Bund, Länder, die Stadt Leipzig oder die privaten Immobilienunternehmen – wer könnte die Probleme auf dem Wohnungsmarkt abmildern?

Die Stadt Leipzig hat in den vergangenen Jahren eine Menge in der Wohnungspolitik getan. Seit 2017 haben wir eine soziale Wohnraumförderung. Es gibt jetzt soziale Erhaltungsgebiete, in denen Sanierungsmaßnahmen genehmigungspflichtig sind, um Gentrifizierung zu verhindern. Wir haben seit 2018 die abgesenkte Kappungsgrenze, Mieten dürfen innerhalb von drei Jahren maximal um 15 Prozent angehoben werden. Im Jahr 2016 wurde die Konzeptvergabe gestartet, durch die Grundstücke der Stadt nach ökologischen und sozialen Kriterien und nicht nach Höchstgebot vergeben werden. Bereits 2017 hat die Stadt neue Eigentümerziele für die LWB festgelegt. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft soll jetzt ihren Bestand wieder ausbauen. Dann wurde 2022 die Mietpreisbremse in Leipzig eingeführt, wir haben einen qualifizierten Mietspiegel, ein Programm zur Aktivierung des Leerstands und anderes mehr. Aus meiner Sicht hat die Stadt die zur Verfügung stehenden Instrumente im Prinzip ausgereizt. Jetzt sind vor allem der Bund und die Länder an der Reihe: Die Bauwirtschaft, Sozialverbände und der Mieterbund fordern ein Sondervermögen für den sozialen Wohnungsbau, ähnlich dem für die Bundeswehr, mit einem Umfang von 50 Milliarden Euro.


Am 9. Juni wird der Leipziger Stadtrat gewählt. Denken Sie, dass die Wohnungspolitik im Wahlkampf eine große Rolle spielen wird?

Ja, auf alle Fälle. Also ich rechne damit, dass Wohnen dort ein zentrales Thema wird, für die Leipziger Bevölkerung ist es jedenfalls sehr wichtig, wie Befragungen zeigen. Auch die vielen seit zwei Jahren aus der Ukraine nach Leipzig Geflüchteten müssen nach und nach in den normalen Wohnungsmarkt integriert werden, können sich aber oft neue Wohnungen zu zwölf bis vierzehn Euro pro Quadratmeter einfach nicht leisten.


Sie sagen, die Stadt habe getan, was ihr wohnungspolitisch möglich ist. Hat dann das Ergebnis der Kommunalwahl überhaupt einen Einfluss darauf, wie sich das Thema weiter entwickelt?

Auf alle Fälle. Wenn ich mir die üblichen Positionen von CDU und FDP anschaue, dann setzen sie vor allem auf private Unternehmen und Eigentümerinnen und darauf, dass alles durch Neubau gelöst wird. Da werden oft Sickereffekte betont – die in einem angespannten Wohnungsmarkt wie Leipzig aber nicht funktionieren. Die Wohnungsfrage drängt vor allem für die unteren Einkommensgruppen. Wer mehr Geld hat, hat ohnehin mehr Optionen, bei teuren Wohnungen oder dem Eigenheim. Allerdings muss man dazu sagen, dass die Parteien noch an ihren Wahlprogrammen arbeiten, die muss man abwarten.


Reichen die drei großen Entwicklungsgebiete am Bayerischen, am Eutritzscher Freilade- und am Hauptbahnhof aus, um den benötigten Wohnraum zu schaffen? Oder müsste auch der öffentliche Nahverkehr ins Umland stärker ausgebaut werden, damit Menschen dorthin ausweichen?

Natürlich braucht es auch das und es passiert ja auch schon: Das mitteldeutsche S-Bahn-Netz soll weiter ausgebaut werden, in den nächsten Jahren werden weitere Städte daran angeschlossen. Das ist alles sinnvoll. Aber es ergibt natürlich keinen Sinn, wenn Menschen, die in der Stadt gebraucht werden, sich hier aber keinen Wohnraum mehr leisten können, täglich lange pendeln. Diese Menschen müssen hier in der Stadt wohnen können.


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