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Kinder & Familie

Kitapersonal in der Krise

Der empfohlene Personalschlüssel in Kitas würde in Sachsen laut Kultusministerium 840 Millionen Euro kosten  

  Kitapersonal in der Krise | Der empfohlene Personalschlüssel in Kitas würde in Sachsen laut Kultusministerium 840 Millionen Euro kosten    Foto: Adobe Stock

Juliane ist seit fünf Jahren Erzieherin in Leipzig. In der Krippe kümmert sie sich um die Kinder, die unter drei Jahre alt sind. Sie möchte ihren vollen Namen und ihren Arbeitsort nicht öffentlich machen, um Kolleginnen und Kollegen sowie sich selbst zu schützen. Sie ist Teil eines Stammtisches für soziale Berufe in Leipzig und Mitglied bei Verdi. Dort engagierte sie sich für die Mahnwachen, die im Oktober und November vor dem Neuen Rathaus in Leipzig unter dem Motto »Es donnert in den Kitas!« stattfanden. Sie sollten auf die Notlage in den Einrichtungen aufmerksam machen. Katharina Raschdorf, Verdi-Gewerkschaftssekretärin, sagt: »Wir können sagen, dass das System auf den Kollaps zugeht.«  

Im bundesweiten Vergleich liegt Sachsens Personalschlüssel auf dem vorletzten Platz: In der Krippe sind es 5,2, im Kindergarten 11,5 Kinder pro Erzieherin oder Erzieher. Diesen Wert legt der sächsische Landtag fest, neben der eigentlichen Betreuungszeit fließen dabei auch Zeit für Elterngespräche, Weiterbildungen sowie Vor- und Nachbereitung ein. Allerdings werden Urlaubs- und Krankentage nicht berücksichtigt. »Nicht nur Erzieher haben Urlaub und sind mal krank, sondern auch die Kinder, so dass auch nicht immer alle Kinder in den Gruppen da sind«, sagt Susann Meerheim, Sprecherin des sächsischen Kultusministeriums. In der Realität führe es aber häufig zur Überlastung der Erzieherinnen und Erzieher, wenn Kolleginnen und Kollegen wegen Krankheit oder Urlaub ausfallen, berichtet Juliane. »Ich habe selten Zeit, mich mit drei Kindern hinzusetzen, eine Geschichte zu lesen und mal über ein Buch zu sprechen, was eigentlich auch in der Krippe schon möglich ist – aber ich habe eben mehr als drei Kinder«, so die Erzieherin. Nötig wäre in ihren Augen also vor allem mehr Personal. 

6.800 Vollzeitstellen in der Krippe, 7.400 im Kindergarten nötig 

Eine Verbesserung des Personalschlüssels sei in Sachsen im Vergleich zu den alten Bundesländern deutlich teurer: »Die Öffnungszeiten der Einrichtungen und die durchschnittlichen Betreuungszeiten der Kinder sind viel länger. Das Personal ist höher qualifiziert, wodurch ebenfalls höhere Kosten anfallen«, sagt Susann Meerheim vom Kultusministerium. Laut dem Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme der Bertelsmann-Stiftung empfehlen Expertinnen und Experten einen Betreuungsschlüssel von 1 zu 3 in der Krippe und 1 zu 7,5 im Kindergarten. »So eine Verbesserung würde in der Krippe fast 400 Millionen Euro zusätzlich kosten und über 6.800 neue Vollzeitstellen bedeuten, in den Kindergartengruppen um die 440 Millionen Euro und über 7.400 neue Vollzeitstellen. Unabhängig von den Kosten stünde das Personal in der Größenordnung nicht zur Verfügung«, so Meerheim weiter. Das ist auch Katharina Raschdorf bewusst: »Es kostet natürlich Geld, mehr Personal in das System zu stecken, mehr Personal entsprechend gut und qualitativ auszubilden und mit einer Ausbildungsvergütung zu versehen«, so die Gewerkschaftssekretärin. Laut Verdi erhalten bisher nur sieben Prozent der angehenden Erzieherinnen und Erzieher eine Vergütung in ihrer Ausbildung. Die Mehrheit macht ihre Ausbildung an einer Fachschule. In Leipzig bildet die Stadt selbst aus und vergütet ihre Auszubildenden – laut Verdi keine Selbstverständlichkeit. Juliane musste dafür sogar Schulgeld zahlen. Gute frühkindliche Bildung sei aber vor allem eine Investition in die Zukunft: »Die Kinder jetzt in der Kita sind die Fachkräfte von morgen«, so Raschdorf.  

Für William Rambow, den Sprecher für Kinder und Jugend der Linken im Leipziger Stadtrat, ist das ein Teufelskreis: »Wir müssen eine Perspektive schaffen: für Menschen, die in den Beruf einsteigen wollen, und für die Erzieherinnen und Erzieher, damit sie ihre Arbeit weiterhin gerne machen, ohne dass sie danach völlig ausgebrannt sind.« Den Beruf müsse man mit mehr Gehalt attraktiver machen. Außerdem solle die niedrige Geburtenrate in Leipzig dazu genutzt werden, die Kitagruppen in Zukunft zu verkleinern, statt Einrichtungen zu schließen, findet er.  

»Schaffe ich das noch 35 Jahre mit dieser krassen Belastung?«

Den sächsischen Bildungsplan zu erfüllen sei mit der momentanen personellen Aufstellung undenkbar, schätzt Katharina Raschdorf ein. »Wenn ich gerade so die Aufsichtspflicht schaffe, wie dann auch noch das?«, fragt sich Erzieherin Juliane fast täglich. Die bundesweite Studie des Deutschen Kitaleitungskongresses (DKLK) zeigt: Neun von zehn Kitaleitungen berichten, dass sich der Personalmangel vor allem negativ auf die pädagogische Qualität auswirke und pädagogische Angebote wie Bewegungsspiele oder Projekttage ausblieben. »Ich kann meinen pädagogischen Ansprüchen nicht gerecht werden. Man hat Ideale, wenn man diesen Erzieherberuf ergreift. Und es ist ein schöner Beruf. Ich liebe den Beruf, ich möchte den gerne machen« – Juliane wird emotional, wenn sie darüber spricht. Dann sagt sie: »Ich kann meinen Beruf eigentlich gar nicht so ausüben, wie ich das gerne möchte und wie ich es in der Ausbildung gelernt habe. Und das ist bei ganz vielen so. Das führt zu unglaublicher Frustration.« Sie kenne niemanden, der momentan zufrieden ist. Viele würden den Beruf vorm Renteneintritt verlassen: »Wir unterhalten uns häufig darüber: Schaffe ich das noch 35 Jahre mit dieser krassen Belastung?«, erzählt die Erzieherin. Der von der Stadt angelegte Springerpool zur personellen Entlastung sei eine gute Idee, aber nur eine kurzfristige Lösung, findet sie. Denn mehr, vor allem wechselnde Bezugspersonen seien für die Kinder ein Stressfaktor: »Man merkt der Gruppe an, wenn das Personal ständig wechselt, wenn Stellen nicht besetzt werden können und immer wieder neue Springer da sind. Die Kinder sind dann jedes Mal ganz anders und entsprechend schwieriger ist es, sie aufzufangen und zur Ruhe zu bringen«, so Juliane. »Meiner Meinung nach fehlt ein großer gesellschaftlicher Aufschrei«, resümiert die Erzieherin aus Leipzig.


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1 Kommentar(e)

Cornelia 23.02.2024 | um 19:52 Uhr

Ich arbeite in Sachsen Anhalt in einer Kita. Seit Jahren verschlechtern sich die Bedingungen.Aus kleinen Gruppen werden Gruppen mit 45 Kinder (3 bis 6 Jahre) und mehr als 20 Kinder in einer Gruppe unter 3 Jahre. Über Jahre habe ich versucht so zu arbeiten. Was tun wir unseren Kindern an? Wir haben keine Lobby. Kritik am Bildungssystem und deren Bedingungen wird nicht akzeptiert. Die langjährigen Hilferufe nach mehr Personal wurden immer wieder abgeschmettert . Entweder gibst du deine Ideale auf und versuchst durchzuhalten oder du verzweifelst immer mehr und kannst nicht mehr. Ich bin seit Monaten im Krankenstand und ich werde nicht zurück kehren. Cornelia