»Ich hätte solche Workshops in meiner Schulzeit gebraucht«, ist heute Abend der Konsens unter den Ehrenamtlichen des Vereins RosaLinde Leipzig. Ein Verein für queere Begegnung, Bildung, Selbsthilfe- und Freizeitgruppen sowie eine Beratungsstelle für queere Menschen, Angehörige und Familie zu Fragen rund um sexuelle Orientierungen, geschlechtliche Identitäten sowie queeren Lebensweisen. In Lindenau findet am Dienstag das monatliche Projekttreffen der Ehrenamtlichen aus dem Schulprojekt für queere Bildungsarbeit statt. Normalerweise wird über die letzten Workshops reflektiert und werden die zukünftigen geplant. Heute sprechen sie über das Ende ihres Projekts. Denn ihr Antrag auf Förderung für queere Bildungsarbeit wurde abgelehnt. Geld, das jährlich in bis zu 100 Workshops fließt, in 50 Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte und die Koordination von 30 Regenbogen-AGs sowie die Betreuung von vier »Schulen der Vielfalt«. Im letzten Jahr erhielt RosaLinde dafür rund 160.000 Euro.
Das Geld dafür kommt aus dem Fördertopf des Länderprogramms »Weltoffenes Sachsen«, initiiert vom sächsischen Sozialministerium. Aus diesem Topf müssen viele Projekte gefördert werden, es gebe aber zu wenig Geld, sagt RosaLinde-Projektleiterin Johanna Heinrich. Sie koordiniert und organisiert die Workshops an den Schulen. Ihre beiden Kolleginnen und Kollegen sind für die Bildungsprojekte »Regenbogen AGs« und »Schule der Vielfalt« zuständig, die aus dieser Förderung mitfinanziert wurden. Das Sozialministerium entscheidet nicht selbst über die Förderungen. Die Sächsische Aufbaubank (SAB) liest die Anträge der Vereine, prüft und bewertet sie und entscheidet nach Punktesystem über die Zu- oder Absage.
Workshops an 64 Schulen abgesagt
RosaLinde habe nicht genug Punkte erreicht, um für eine Förderung in Frage zu kommen, sagt Juliane Morgenroth, Pressesprecherin des Sozialministeriums, gegenüber dem kreuzer. Grundsätzlich werden Projekte bezuschusst, die demokratische Werte und weltoffene Kultur in Sachsen stärken. Die SAB entscheidet nach inhaltlichen Schwerpunkten, die durch den Programmbeirat beschlossen werden und auf der Website einzusehen sind. Auf Anfrage des kreuzer antwortet SAB-Pressesprecher Volker Stößel, er könne nichts zu den Umständen der Entscheidung sagen, da die SAB dem Verwaltungsgeheimnis verpflichtet sei. Die SAB stehe aber mit dem Verein im Austausch, sagt Stößel. Für 2024 konnten von den 43 eingereichten Neuanträgen nur 16 Anträge zur Förderung ausgewählt werden. Insgesamt erhalten die Projekte zur Demokratieförderung 6,5 Millionen Euro.
Johanna Heinrich leitet seit Januar das Schulprojekt von RosaLinde. Ab April könnte sie schon wieder arbeitslos sein. Momentan suchen die drei Festangestellten, die für die Bildungsprojekte zuständig sind, nach alternativen Förderungen. Heinrich musste bereits 64 Schulen absagen, die für das Jahr fest eingeplant waren. »Es gibt keine anderen Projekte, keine Vereine oder Gruppen in Leipzig und Nordsachsen, die das machen, was der RosaLinde e.V. macht«, sagt Heinrich. Einzigartig sei vor allem, dass die Ehrenamtlichen ihre Erfahrungen und Comingout-Geschichten teilen sowie anonyme Fragen der Kinder beantworten würden. In Sachsen gibt es zwei weitere Vereine, die queere Bildungsarbeit machen. Der Verein Gerede in Dresden und der Verein Different People in Chemnitz.
»Queere Themen haben im Lehramtstudium keinen Platz«
Angefragt wird RosaLinde von den Schulen, vor allem nach queerfeindlichem Benehmen oder einem Outing in der Klasse. Meistens, weil Lehrerinnen und Lehrer mit dem Thema überfordert sind. »Die Lehrkräfte, die darüber aufklären wollen, sind meist selbst nicht queer. Es ist wichtig, dass wir als Externe kommen«, sagt Kay. Kay ist seit September 2023 im Ehrenamt. »Egal wie anstrengend die Workshops sind, jedes Mal gibt es mir ein gutes Gefühl und zeigt mir wie wichtig es ist, dass wir da sind. Man sieht, dass es was bringt«, sagt Kay.
Die Ehrenamtlichen sind meistens zwischen 18 und 27 Jahre alt. Die Lehrkräfte sind bei den Workshops nicht anwesend. Das erleichtere die freie Meinungsäußerung und Fragerunde, sagt Johanna Heinrich. Sie studierte selbst mal Lehramt und weiß: »Queere Themen haben im Lehramtstudium keinen Platz. Gleichzeitig beobachten wir mehr Queerfeindlichkeit an den Schulen.« Die Workshops seien daher sehr gefragt. Ale, eine Person aus dem Ehrenamt, betont außerdem, dass die Schülerinnen und Schüler keine realistische Vorstellung von queeren Menschen haben: »Kinder brauchen Fallbeispiele, um zu verstehen, dass queer sein nicht so ist wie das, was man im Fernsehen sieht. Sie können ihnen viel ähnlicher sein, als sie gedacht hätten. Das ist die Magie des Projekts. Ein Beispiel: Ich bin der einzige Ausländer im Projekt. Im ländlichen Sachsen kann ich Vorbild für andere Kinder sein, die auch in der Minderheit sind. Ich habe es geschafft Deutsch zu lernen, mich zu integrieren und ich bin schwul. Es gibt Menschen, die mir ähnlich sind. Das ist ein wichtiger Bezug zur Realität, den die Kinder sonst nicht haben.«
RosaLinde muss jährlich um Projekte bangen
Für die Mitwirkenden ist es unverständlich, dass das Projekt zu Ende geht. Auch für Sarah, eine der Ehrenamtlichen: »Ich bin wütend. Das ergibt politisch für mich keinen Sinn. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt war dieser Austausch enorm wichtig.« Kay sagt: »Ich hätte solche Workshops in meiner Schulzeit gebraucht. Wir sind auch im ländlichen Raum unterwegs, dort ist es noch wichtiger, der Rechtsruck nimmt zu. Ich frage mich, wie man da solche Projekte nicht mehr fördern kann.« Unabhängig von der abgelehnten Einzelförderung für das Bildungsprojekt erhalte RosaLinde weiterhin Förderung des Sozialministeriums, sagt Juliane Morgenroth. Zum Beispiel würde aktuell das Projekt »Queer Refugees Network« in den Jahren 2024 und 2025 mit insgesamt 605.000 Euro aus der Förderrechtlinie Integrative Maßnahmen durch das Sozialministerium gefördert. In diesem Projekt werden queere Geflüchtete von RosaLinde im Asylprozess begleitet.
»Unsere Arbeit sollte nicht abhängig von solchen Fördergeldern sein. Jedes Jahr müssen wir neue Anträge stellen und um unser Geld und damit um unsere Projekte bangen. Wir brauchen eine Regelförderung«, fordert Johanna Heinrich. »Wir existieren seit 30 Jahren in diesem Format. Jetzt wissen wir nicht, ob es jemals weitergehen wird.« Laut Sozialministerium könne der Verein für 2025 einen neuen Antrag stellen, sagt Pressesprecherin Morgenroth. Allerdings könne sich das Bildungsteam bis dahin nicht über Wasser halten, wenn die Förderung für 2024 ausbleibt, sagt Johanna Heinrich. Und selbst dann: »Neue Fördergelder für dieses Jahr zu beantragen, das dauert und bis eine Zusage und das Geld kommen, könnten wir erst im Herbst weitermachen«, sagt Heinrich. Noch ist nicht alles geklärt. Der Verein plant, bei der SAB in den Widerspruch zu gehen. Johanna Heinrich bleibt hoffnungsvoll: »Nächsten Monat ist unser letztes Projekttreffen. Da füllen wir dann den Lottoschein aus«.