Mit einem Wisch ist alles weg – und Neues da. In Sepia-Farben tanzt ein Pärchen über den Augustusplatz, dann fließt die Szene über in ein sich zuprostendes Duo in Auerbachs Keller. Das lächelnde Messemännchen tritt auf. Historische Leipzig-Ansichten wie auf Postkarten. Dann formt sich lautlos rieselnder Sand zum Sonnenuntergang überm Cospudener See. Zu Synthiepop mit Enya-Stimme fügen sich die an die Wand projizierten Tableaus in »Bilder meiner Stadt – Sandstory of Leipzig« zusammen. Ganz auf Sand gebaut ist die Produktion, die Momente erzeugt zwischen Kitsch und Poesie. Und immer wieder durch die Kunstfertigkeit der Sandmalerin am Projektortisch beeindruckt.
»Magisch« nennt Regisseur und Produzent Dimitrij Sacharow diese »Träume aus Sand« beim Gespräch in der kreuzer-Redaktion. Der Geschäftsführer des Sandtheaters konnte leider nicht wie versprochen einen Maltisch mitbringen. Damit entfällt die Gelegenheit für die Journalisten, einmal selbst auszuprobieren, wie schwierig es ist, mit nichts als Sand zu inszenieren.
Das Malen mit Sand ist eine alte Trickfilm-Technik. Auf einem Leuchttisch werden mit dem körnigen Material Bilder erstellt, die wie Scherenschnitte oder Schattentheater aussehen. Trägt man die Sandschicht hauchdünn auf, entstehen transparente Flächen, durch die Licht dringt. Sandanimation live auf die Bühne zu bringen, hat Regisseur Sacharow zufolge in Osteuropa begonnen. In einer ukrainischen Variante der »Got Talent«-Show trat 2008 eine Künstlerin auf. »Sie löste einen Hype aus«, so Sacharow. »Das war die Geburtsstunde des modernen Sandtheaters.« Als er entsprechende Anfragen erhielt, holte der Produzent erste Künstlerinnen nach Deutschland. Das war 2015. Unter seiner Leitung wurde zum Beispiel Natalya Netselya bekannt, eine Finalistin beim RTL-»Supertalent«. Das erste Sandtheater eröffnete er daraufhin in Berlin. In Leipzig gibt es seit fünf Jahren eins, das in Shows im Krystallpalast eingebunden war und eigene Vorführungen im Central Kabarett hat. In der Stadt sitzt auch das Unternehmensbüro.
Bundesweit zeigt das »einzige deutsche Repertoire-Sandtheater« (Sacharow) Inszenierungen, erarbeitete mit den Brandenburger Symphonikern schon eine Version von Wagners »Ring«. Klassische Filmanimationen gehören ebenfalls zum Repertoire. So wirkte das Sandtheater bei einer Arte-Doku über das altägyptische Papyrus Ebers in der Leipziger Unibibliothek mit.
Verwendet wird runder Wüstensand aus der Kalahari. »Der ist so fein, da kannst du mit einem Pinsel malen.« Jedoch entsteht »alles nur mit den Händen«, so Regisseur Sacharow, was dann mit Projektoren oder einer LED-Wand fürs Publikum sichtbar wird. Alle engagierten Performerinnen verfügen über einen entsprechenden künstlerisch-handwerklichen Hintergrund, haben etwa Grafikdesign oder Kunst studiert. Acht bis zehn Jahre dauere das Erlernen der Technik, »bis sie ihre eigene Stilistik, den richtigen Schwung finden. Das ist wie bei einem Sushi-Meister, der den richtigen Schnitt erst erlernen muss.«
Analog zum Theater erstellt der Regisseur eine Story, gemeinsam werden Bilder gefunden, diese dann mit Musik und O-Tönen unterlegt. Neben Stadtgeschichten steht »Der kleine Prinz« auf dem Spielplan. In »Hans Zimmer – Die Geschichte eines Wunderkindes« erklingt wie in einem Medley Filmmusik des Komponisten zu Motiven aus Blockbustern wie »Der Fluch der Karibik« und »James Bond«.
Sandtheater ist dem Regisseur zufolge eine Art »passive Meditation«. »Wenn zur Musik die Bilder ineinanderfließen, entsteht Infotainment mit heilender Wirkung.« Er spricht auch von »metaphysischen und psychotherapeutischen Effekten«, Klappern gehört auch hier zum Handwerk. »Die Leute werden berieselt, wir zeigen viel zum Lachen, nicht nur ernste Themen.«
Damit das Sandtheater noch besser als wirkliche Bühnenkunst erlebbar wird, suchen Dimitrij Sacharow und sein Ensemble nach einem Theatersaal als Aufführungsort. Perspektivisch stellt er sich vor, die Technik im Bildungs- und therapeutischen Bereich einzusetzen. Dort sollen die Menschen dann mit dem Material selbst malen und sich ausprobieren. »Vielleicht finden wir dabei sogar neue Talente. Wir sind ja die erste Generation und das Sandtheater hat als Kunstform weitere verdient.«
> Mehr Infos finden Sie auf der Internetseite des Sandtheaters.