Thomas Lenk ist Professor für Finanzwissenschaft und Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen und Public Management an der Uni Leipzig. Als stellvertretender Vorsitzender des unabhängigen Beirats des Stabilitätsrates der Bundesrepublik Deutschland überwacht er die Haushaltsführung von Bund und Ländern. Mit dem kreuzer blickt er auf die Finanzpolitik in Sachsen und die Frage, ob die Schuldenbremse zukünftige Generationen bedroht.
Herr Lenk, die schwarz-grün-rote Koalition ist in Sachsen seit gut vier Jahren im Amt. Wie sehen Sie die Leistung des Finanzministeriums unter Hartmut Vorjohann (CDU) in dieser Legislatur?
Wenn ich mir im Koalitionsvertrag die Finanzpolitik anschaue, dann hat man sich sehr viel vorgenommen und das meiste davon auch abgearbeitet. Die Regierung hat einen guten Job gemacht. Die Investitionen wurden auf einem hohen Niveau gehalten, lagen 2021 aber erstmals unter dem Durchschnitt der übrigen ostdeutschen Kommunen. An der Grundsteuerreform ist man noch dran. Bei der Fördermittelvereinfachung ist noch ein ganzes Stück zu gehen. Trotzdem: Die letzten Jahre waren schwierig, die Coronakrise hat die öffentlichen Haushalte massiv belastet. Bund und Land haben hier stabilisierend auf die kommunalen Haushalte eingewirkt, insbesondere über die Kompensation der Gewerbesteuerausfälle. Und wir durften wegen Corona auch die Ausnahmeregel der Schuldenbremse mal so richtig testen. Und da ist Sachsen durchaus einen speziellen Weg gegangen: Sachsen hat in Deutschland die härteste Schuldenbremse. Achim Truger, der im Sachverständigenrat der Bundesregierung sitzt, hat das als gefährlichen Sonderweg bezeichnet. Den Spielraum des Grundgesetzes nutzt Sachsen nicht aus.
Die meisten Bundesländer lassen sich 20 bis 30 Jahre Zeit, um ihre während der Coronakrise aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen, Sachsen hat mit acht Jahren sehr kurze Tilgungszeiten.
Wenn Sachsen innerhalb von acht Jahren die Corona-Schulden abbauen will, muss ein entsprechender Haushaltsüberschuss vorliegen oder an anderer Stelle empfindlich gekürzt werden. Wenn ich mir den Überschuss anschaue, der in den Jahren vor der Coronakrise bei rund 110 Euro pro Einwohner im Jahr lag, ich aber wegen des kurzen Tilgungszeitraums jährlich deutlich mehr Schulden abbauen muss, als ich Rücklagen habe, wird es schwierig. Das Geld steht dann für andere Dinge nicht zur Verfügung. Wir müssen uns gerade wegen des gesellschaftlichen Zusammenhalts auch politisch entscheiden, wie wir in der Gegenwart die Prioritäten setzen.
In der Präambel des Koalitionsvertrags steht, man wolle zukünftigen Generationen solide Finanzen und eine leistungsfähige und moderne öffentliche Infrastruktur übergeben. Ist man dem gerecht geworden?
Das ist schwierig und eine langfristige Aufgabe. Wenn man fragt, wodurch zukünftige Generationen belastet werden oder wovon sie einen Nutzen haben, ist die Grundfrage: Erhöhe ich für die neue Schule die Steuern oder kann ich im Haushalt was anderes kürzen, um das zu finanzieren? Dann wird es direkt von der jetzt lebenden Generation finanziert. Oder mache ich Schulden mit dem Argument, das Schulhaus hält viele Jahre und darin werden Kinder ausgebildet, die heute noch nicht geboren sind.
Das Neuverschuldungsverbot steht ja aber auch im Koalitionsvertrag.
Die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzen, die wir uns demokratisch gegeben haben, müssen eingehalten werden. Investitionen in unsere Zukunft dürfen aber nicht an einer schwarzen Null scheitern. Das heißt nicht, dass ich hier der Verschuldung das Wort reden will, aber gerade diese Zukunftsaufgaben müssen finanziert werden. Trotzdem bewirkt die schwarze Null, wenn Steuererhöhungen und Kürzungen an anderen Stellen nicht ausreichen, dass etwa marode Schulgebäude und Brücken hinterlassen werden. Dann steht zwar die schwarze Null und es werden weniger Schulden hinterlassen, aber wir vererben eine marode Infrastruktur. Oder es wird zu wenig für den Klimaschutz getan. Das ist dann eine politische und gesellschaftliche Abwägung.
Die CDU ist gegen eine Reformierung der Schuldenbremse, SPD und Grüne befürworten diese. Wie lösen wir das Problem, dass wir uns Gesetze gegeben haben, die solche Investitionen fast unmöglich machen?
Ändern! Auch Schuldenbremsen sind nicht statisch und müssen von Zeit zu Zeit angepasst werden. Das Problem ist: Die Sachsen haben ihre Schuldenbremse in die Verfassung geschrieben und brauchen für Änderungen Zweidrittelmehrheiten. Aber so, wie sich die politischen Konstellationen gerade abzeichnen, bekommt man die Verfassung nicht geändert.